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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


VII. Fremdenrecht

2. Ausweisung und Abschiebung

       34. Das BVerfG lehnte mit Beschluß vom 12.11.1998 (2BvR 1828/98 - BayVBl 1999, 163) im sog. Fall Mehmet50 den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei ab, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a BVerfGG nicht gegeben seien. Der Beschwerdeführer hatte gegen die Durchsetzung seiner sofort vollziehbaren Ausreisepflicht vergebens die Fachgerichte angerufen und begehrte vom BVerfG die vorläufige Außervollzugsetzung seiner Ausreisepflicht mittels einstweiliger Anordnung. Das BVerfG lehnte dies ab und führte dazu aus, daß die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend darlege, inwieweit der angegriffene Beschluß des VGH gegen das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verstoßen könne. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene gerichtliche Entscheidungen, die allein über die sofortige Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entschieden hätten. Das Hauptsacheverfahren biete ausreichend Möglichkeit, behaupteten Grundrechtsverletzungen abzuhelfen, so daß der Beschwerdeführer zunächst darauf zu verweisen sei. Soweit sich Grundrechtsrügen auf das Eilverfahren bezögen, gehe es nur um ein kurzfristiges Verlassen des Bundesgebietes bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsache, nicht aber um die Frage, ob dem Beschwerdeführer ein grundrechtlicher Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zustehe. Grundrechtsverstöße auf Grund der Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes habe der Beschwerdeführer erstmals in der Verfassungsbeschwerde gerügt, so daß der Zulässigkeit dieser Rügen die mangelnde Rechtswegerschöpfung entgegenstehe.

       35. Nach der Auffassung des BVerfG in seinem Beschluß vom 26.2.1998 (2 BvR 185/98 - InfAuslR 1998, 241) ist die Suizidgefahr eines ausreisepflichtigen, abgelehnten Asylbewerbers asylrechtlich und als zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis irrelevant. Eine Suizidgefahr sei ein nur vorübergehend abschiebehindernder Umstand, der typischerweise mit dem Vollzug einer Abschiebung verbunden und daher dem Abschiebestaat zuzurechnen sei. Abzuschiebende müßten bis zur tatsächlichen Durchführung der Abschiebung derartige Gefahren geltend machen können. Die mit der Abschiebung betrauten Behörden hätten dem angemessen zu begegnen und die notwendigen Vorkehrungen gegebenenfalls durch ein vorübergehendes Absehen von der Abschiebung bzw. eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung zu treffen. Aus der Suizidgefahr könnten sich insoweit tatsächliche Abschiebungshindernisse ergeben, die in jedem Stadium zu beachten seien.

       36. Das BVerwG urteilte am 29.9.1998 (1 C 8/96 - NVwZ 1999, 303), daß die Ausländerbehörde bei der Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen nicht aufgrund Assoziationsrechtes verpflichtet sei, über das deutsche Recht hinaus die Gründe ihrer Entscheidung bekannt zu geben und eine Ausreisefrist zu setzen. Ein seit 1974 in der Bundesrepublik lebender türkischer Staatsangehöriger wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Seine Anfechtungsklage, Berufung und Revision blieben erfolglos. Das BVerwG führte dazu aus, daß der Kläger mit seiner Straftat die Voraussetzungen einer Regelausweisung gem. §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2, 47 Abs. 1 Nr. 1, 48 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfülle und der Begründungspflicht des § 39 Abs. 1 NRW-VwVfG genüge getan worden sei. Auch liege kein Ausnahmefall vor, da weder überdurchschnittliche Bindungen an Deutschland noch außergewöhnliche Umstände zu erkennen seien, die einer Rückkehr des Klägers und seiner Familie in die Türkei entgegenstünden. Auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG bestünden keine Bedenken, da sich der Grad des Schutzes dieses Grundrechtes wesentlich an dem Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Ausländers orientiere. Soweit sich der Anwendungsbereich mit dem des Art. 6 GG decke, vermittle auch Art. 8 EMRK keinen weitergehenden Schutz, da eine Verletzung des konventionsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zwar bei Ausländern in Betracht komme, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden seien,51 doch liege ein solcher Fall hier nicht vor. Weiter enthalte die Ausweisung keine Ausführungen zu Fragen des Assoziationsrechtes, verstoße damit aber nicht gegen den ARB 1/80,52 weil sich dem Assoziationsrecht eine über das nationale Recht hinausgehende Begründungspflicht nicht entnehmen lasse. Zwar sehe Art. 6 RL 64/221/EWG53 eine Begründungspflicht vor, doch ergänze diese an die Mitgliedstaaten gerichtete Richtlinie nicht zugleich das Assoziationsrecht. Auch Art. 48 EGV regele lediglich die materiell-rechtlichen Grundlagen und Grenzen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, enthalte aber keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen des Verwaltungsverfahrens. Eine über nationales Recht hinausgehende Pflicht zur Bestimmung einer Ausreisefrist habe ebensowenig bestanden, weil dieses Gebot Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei und der Gewährung effektiven Rechtsschutzes diene, das nationale Recht insoweit aber mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sei. Die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit stehe in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, so daß der Ausweisung auch kein Aufenthaltsrecht des Klägers gem. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 entgegenstehe. Schließlich erlaube auch Art. 3 Abs. 3 ENA54 eine Ausweisung von Personen, die gegen die öffentliche Ordnung besonders schwerwiegend verstoßen hätten, was den schwerwiegenden Gründen des § 48 Abs. 1 AuslG entspreche.

       37. Aus der Sicht des BVerwG in seinem Urteil vom 27.4.1998 (9 C 13/97 - DÖV 1999, 118) kann die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG sein. Bei weit verbreiteten Erkrankungen wie Aids könne allerdings eine allgemeine Gefahr i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG vorliegen, die eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 54 AuslG erfordere. Ein Staatsangehöriger der demokratischen Republik Kongo beantragte erfolglos in der Bundesrepublik Asyl, wurde zur Ausreise aufgefordert und ihm seine Abschiebung angedroht. In seiner Klage machte er Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG wegen einer Krebserkrankung aus einer HIV-Infektion geltend, die nur in Deutschland und nicht in seinem Herkunftsland behandelt werden könne. Das VG und das OVG wiesen seine Klage ab. Das BVerwG hob das Urteil des OVG zu § 53 Abs. 6 AuslG auf und verwies die Sache zur Entscheidung zurück. Das OVG habe zwar zu Recht ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK abgelehnt, weil eine unmenschliche Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK nur ein vorsätzliches, auf eine bestimmte Person zielendes Handeln sei, dessen Urheber ein Staat bzw. eine staatsähnliche Gewalt sein müsse. Hier fehle es aber an der Zielgerichtetheit der Rechtsgutbeeinträchtigung und an deren staatlicher Urheberschaft, woran der Senat entgegen der Ansicht des EGMR weiter festhalte. Rechtsfehlerhaft sei indessen die Ablehnung des Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG, da im Zielstaat drohende Gefahren ausschließlich von § 53 AuslG erfaßt würden und die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen unzureichender medizinischer Behandlung im Zielstaat folglich nur ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG sein könne. Vorliegend könne die Anwendbarkeit des § 53 AuslG jedoch nach § 54 AuslG gesperrt sein, wenn eine allgemeine Gefahr vorliege. Die Immunschwäche Aids könne als eine in Afrika verbreitete Krankheit eine solche allgemeine Gefahr sein, so daß das OVG hätte prüfen müssen, ob dies auch für das Heimatland des Klägers zutreffe.

       38. Das VG Frankfurt a. M. urteilte am 29.3.1999 (9 E 30919/97.A(2) - InfAuslR 1999, 300), daß die Gefahr einer zwangsweisen Genitalverstümmelung im Heimatland keine Asylberechtigung, aber Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 und 6 AuslG begründe. Eine Angehörige eines Stammes der westlichen Elfenbeinküste beantragte erfolglos Asyl, weil sie bei Rückkehr in ihre Heimat mit einer Genitalverstümmelung zur rechnen habe. Das VG bestätigte diese Entscheidung und führte u.a. aus, daß Zwangsbeschneidungen keine ausgrenzende politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG seien, weil Beschneidungen gerade den Zweck verfolgen würden, betroffene Mädchen bzw. Frauen als vollwertiges Mitglied in den Kreis der Stammesfrauen aufzunehmen und der Familie gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Die Genitalverstümmelungen würden auch ausschließlich von den einzelnen Stämmen des Landes praktiziert und könnten nicht dem Staat zugerechnet werden. Jedoch sei der Klägerin nach § 51 Abs. 1 AuslG Abschiebungsschutz zu gewähren. Das BVerwG leite zwar aus der Verwendung des Begriffs der politischen Verfolgung in § 51 Abs. 2 S. 2 AuslG ab, daß auch bei § 51 Abs. 1 AuslG eine staatliche Verfolgung vorliegen müsse und der Gesetzgeber Art. 33 Nr. 1 GFK authentisch in dieser Weise interpretiert habe.55 Nach Ansicht des VG sind jedoch die sachlichen Voraussetzungen des Abschiebungsschutzes in § 51 Abs. 1 AuslG, der den Begriff der politischen Verfolgung nicht enthalte, abschließend aufgezählt. Eine andere Auslegung würde die zusätzliche Anwendung von Art. 33 Nr. 1 GFK neben § 51 Abs. 1 AuslG erfordern, weil eine beschränkende Auslegung der GFK aufgrund der völkerrechtlichen Regeln ausscheide. Damit müßte Abschiebungsschutz nach Art. 1 a) Nr. 2 GFK nicht nur im Rahmen des Asylverfahrens, sondern auch außerhalb davon geprüft werden, so daß das Ziel des Gesetzgebers verfehlt würde, Asylverfahren in einem einzigen Verfahren klären zu lassen. Abschiebungsschutz nach Art. 33 GFK unterscheide sich schon darin wesentlich von jenem aus Art. 16a Abs. 1 GG, da die Konvention keine politische Verfolgung verlange, sondern Art. 1 a) Nr. 2 GFK bewußt auf das Wort "Staat" verzichte und die begründete Furcht vor einer Verfolgung im Heimatland wegen eines Konventionsmerkmale ausreichen lasse. Das BVerwG habe sich insoweit unzureichend mit dem Wortlaut des Art. 1 a) Nr. 2 GFK auseinandergesetzt und sowohl die Auffassung des BGH, als auch die Zielsetzung des Abkommens in der Präambel der GFK unterschlagen. Auch der Gesetzgeber sei sich des Unterschiedes bewußt gewesen, wie die Regelungsgeschichte des § 28 AuslG erkennen lasse. Die Maßgeblichkeit der GFK für die Auslegung des unterverfassungsrechtlichen Flüchtlingsrechts sei auch durch Art. K.2 MV,56 Art. 28 SDÜ57 und den gemeinsamen Standpunkt des Rates der EU vom 4.3.199658 bestätigt worden. Insbesondere werde aus Ziff. 5.2. GemStandPkt deutlich, daß auch nichtstaatliche Verfolgungen in den Anwendungsbereich der GFK fallen würden. Bei der Klägerin ergebe sich ein Abschiebungsverbot aus § 51 Abs. 1 AuslG, weil ihr bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mit einer Zwangsbeschneidung ein lebensbedrohender Eingriff in ihre konventionsgeschützte körperliche Unversehrtheit drohe. Auch aus § 53 Abs. 4 AuslG ergebe sich ein Abschiebungshindernis, weil der Klägerin mit einer Zwangsbeschneidung in ihrem Heimatland die reale Gefahr drohe, einer mit Art. 3 EMRK nicht zu vereinbarenden Behandlung ausgesetzt zu werden und Art. 3 EMRK es deutschen Stellen verbiete, Maßnahmen zu ergreifen, die einen Menschen der realen Gefahr einer unzulässigen unmenschlichen Behandlung aussetzen würden. Dem stehe auch nicht entgegen, daß diese Gefahr nicht unmittelbar durch den Staat verursacht werde, da der EGMR ausdrücklich anerkannt habe, daß auch von nichtstaatlichen Stellen verursachte reale Gefahren im Zielstaat eine Abschiebung entgegenstehen könnten.59 Der anders lautenden Rechtsprechung des BVerwG sei nicht zu folgen, da der EGMR für die Auslegung der EMRK die letzte Entscheidungsbefugnis besitze.

       39. Nach der Ansicht des BVerwG in seinem Urteil vom 24.11.1998 (1 C 8.98 - InfAuslR 1999, 106) hat ein Ausländer ein Ausreise- oder Abschiebungshindernis i.S.d. § 30 Abs. 3 AuslG grundsätzlich zu vertreten, wenn es auf der freiwilligen Aufgabe seiner Staatsangehörigkeit ohne Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit beruht. Zu den zumutbaren Anforderungen des § 30 Abs. 4 AuslG könne auch ein Wiedereinbürgerungsantrag an den Staat der früheren Staatsangehörigkeit gehören, wenn dieser nicht von vornherein aussichtslos erscheine. Rumänische Staatsangehörige stellten in der Bundesrepublik einen Asylantrag und bei der Rumänischen Botschaft einen Ausbürgerungsantrag. Die Aufenthaltsduldungen der Kläger sahen ein Erlöschen im Falle der Ausreise vor. Ohne Anzeige an die deutschen Behörden nahm der Kläger seinen Ausbürgerungsantrag zurück und reiste mehrfach mit seinem rumänischen Paß zwischen Rumänien und Deutschland hin und her. Nach erzwungener Ausreise beantragten die Kläger erneut die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und verwiesen auf eine Bestätigung der rumänischen Botschaft über die antragsgemäße Entlassung aus der rumänischen Staatsangehörigkeit. Sie erhielten jedoch nur Duldungen. VG und OVG wiesen Verpflichtungsklagen für Aufenthaltsbefugnisse ab, und auch die Revision blieb erfolglos. Das BVerwG führte dazu u.a. aus, daß die Kläger ihr Begehren nicht auf § 30 Abs. 3 AuslG stützen könnten, weil dies voraussetze, daß einer freiwilligen Ausreise oder Abschiebung Hindernisse entgegenstünden, die sie nicht zu vertreten hätten. Ein objektives Hindernis liege aber nur in der freiwilligen Aufgabe der rumänischen Staatsangehörigkeit ohne Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit, was die Kläger aber zu vertreten hätten. Sie hätten ihre freiwillige Ausreise bzw. ihre Abschiebung damit zumindest wesentlich verzögert, weil sie mit Aufgabe ihrer Staatsangehörigkeit auch ihren Individualanspruch auf Rückkehr aufgegeben und den zwischenstaatlichen Anspruch des Aufnahmestaats gegenüber dem Heimatstaat auf Rücknahme vereitelt hätten. Der Ausnahmefall der Unzumutbarkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Staatsangehörigkeit ihres Heimatstaates, etwa aufgrund unheilbar zerstörter Bindungen zu dem Staat wegen schwerer staatlicher Verfolgung, sei hier nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 AuslG seien nicht erfüllt, da hiernach ausnahmsweise eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden könne, soweit der ausreisepflichtige Ausländer zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses nicht verweigere. Nach dieser Obliegenheit habe er alles in seiner Kraft stehende und zumutbare dazu beizutragen, etwaige Abschiebungshindernisse zu überwinden. Die Kläger hätten aber einen nach Art. 8 und 9 rum. StAG möglichen, nicht von vornherein aussichtslosen und zumutbaren Antrag auf Wiedererwerb der rumänischen Staatsangehörigkeit nicht gestellt.

       40. Aus Sicht des BayObLG in seinem Beschluß vom 9.1.1998 (3Z BR 4/98 - NVwZ-Beilage 5/1998, 54) steht Art. 31 Abs. 1 GFK der Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers nicht entgegen. Ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, der wegen Ablehnung seines Asylantrags bereits aus der Bundesrepublik ausgereist war, reiste erneut ein und stellte einen Asylfolgeantrag, der ebenfalls abgelehnt wurde. Zur Sicherung seiner Abschiebung ordnete das AG Abschiebungshaft an. Die sofortige Beschwerde an das LG blieb ebenso erfolglos wie die sofortige weitere Beschwerde an das BayObLG. Der Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG sei gegeben, und auch Art. 31 Abs. 1 GFK stehe der Haft nicht entgegen, da diese Bestimmung nur Strafen gegen Flüchtlinge wegen unreccfmäßiger Einreise oder unreccfmäßigen Aufenthalts untersage, die Anordnung der Sicherungshaft zur Abschiebung als Präventivmaßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht jedoch keine Strafe i.d.S. sei.

       41. Der hessische VGH war in seinem Beschluß vom 24.3.1998 (13 TZ 1048/98 - InfAuslR 1998, 338) der Auffassung, daß Art. II Nr. 5 FHSV D-USA60 keinen Ausweisungsschutz gewähre, der über die Regelungen des Ausländergesetzes hinausreiche. Der Antragsteller war zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er wurde deshalb auf der Grundlage des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG in die USA ausgewiesen. Der Antragsteller klagte hiergegen erfolglos vor dem VG. Der VGH wies seine Beschwerde ab und führte dazu u.a. aus, daß Art. 2 Nr. 5 FHSV D-USA den Vertragsparteien das Recht vorbehalte, Maßnahmen gegenüber Staatsangehörigen des anderen Vertragsteils zu ergreifen, die zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig seien und damit auch Ausweisungen zu verfügen. Ein einschränkender Wille der Vertragsparteien hätte in dem Vertragstext deutlich zum Ausdruck kommen müssen, was jedoch anders als in Art. 3 Abs. 2 und 3 ENA61 gerade nicht erfolgt sei. Der FHSV D-USA könne der Ausweisung daher nicht entgegengehalten werden.

       42. Das VG Wiesbaden war demgegenüber in seinem Beschluß vom 23.3.1998 (4 G 1137/97 - InfAuslR 1998, 291) der Ansicht, daß die "Meistbegünstigungsklausel" des Art. 3 Abs. 3 S. 3 FHSV D-USA zur Nichtanwendung des § 72 Abs. 1 AuslG auf US-Staatsangehörige führe, da auch der Status von EU-Angehörigen zu berücksichtigen sei. Ein US-Amerikaner befand sich mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet, deren Verlängerung wegen mehrerer Straftaten des Antragstellers abgelehnt wurde. Sein Widerspruch blieb auch gegen seine Ausweisung erfolglos, die Klage vor dem VG war dagegen erfolgreich. Aus der Sicht des VG ist eine Abschiebung nicht zulässig, da der Antragsteller ohne Aufenthaltsgenehmigung zwar ausreisepflichtig sei, Art. 3 Abs. 3 S. 3 FHSV D-USA jedoch die Vollziehbarkeit sperre. Danach dürften die Staatsangehörigen eines Vertragsteils nicht weniger günstig behandelt werden, als es Staatsangehörigen eines dritten Landes zustehe. Sowohl nach § 12 Abs. 9 AufenthG/EWG62, als auch nach § 4 Abs. 2 FreizügVO/EG63 finde § 72 Abs. 1 AuslG aber auf EU-Staatsangehörige keine Anwendung. Der Widerspruch eines EU-Staatsangehörigen habe deshalb aufschiebende Wirkung, so daß es an der Vollziehbarkeit der Abschiebung i.S.d. § 42 Abs. 2 S. 2 AuslG fehle. Ob der Antragsteller dabei die tatbestandlichen Voraussetzungen erfülle, könne offenbleiben, da die aufschiebende Wirkung nicht davon abhängig sei, daß der Ausländer tatsächlich Freizügigkeit genieße, sondern schon die Staatsangehörigkeit eines EWG-Mitgliedstaates genüge. Über Art. 3 Abs. 3 S. 3 FHSV D-USA müsse deshalb auch der Widerspruch des Antragstellers aufschiebende Wirkung haben.

      



      50 Siehe dazu auch unten Nr. [79].
      51 EGMR, Urteil vom 26.3.1992, Beldjoudi./.Frankreich, EuGRZ 1993, 556 und Urteil vom 26.9.1997, Mehemi./ .Frankreich, InfAuslR 1997, 430.
      52 Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980, abgedruckt in: Assoziierungsabkommen und Protokolle EWG-Türkei sowie andere Basisdokument, 327 (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel 1992).
      53 Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, ABlEG Nr. 56 vom 4.4.1964, 850-857.
      54 Europäisches Niederlassungsabkommen vom 13.12.1955, BGBl. 1959 II 998.
      55 BVerwGE 95, 42 (44 ff.).
      56 Vertrag vom 7.2.1992 über die Europäische Union, BGBl. 1992 II 1251.
      57 Übeinkommen "Schengen II" vom 19.6.1990, BGBl. 1993 II 1010.
      58 Gemeinsamer Standpunkt 96/196/JI des Rates vom 4.3.1996 aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt - betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, ABlEG Nr. L 63 vom 13.3.1996, 2-7.
      59 EGMR, Urteil vom 17.12.1996, Ahmed./.Österreich, InfAuslR 1997, 279.
      60 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954, BGBl. 1956 II 487.
      61 Europäisches Niederlassungsabkommen vom 13.12.1955, BGBl. 1959 II 998.
      62 Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 22.7.1969, BGBl. 1969 I 927, n.F. vom 31.1.1980, BGBl. 1980 I 116, BGBl. III 26-2, zuletzt geändert durch Viertes Änderungsgesetz vom 24.1.1997, BGBl. 1997 I 51.
      63 Verordnung über die allgemeine Freizügigkeit von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 17.7.1997, BGBl., 1997 I 1810, BGBl. III 26-2-1 (zur Umsetzung der Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28.6.1990 über das Aufenthaltsrecht, ABlEG Nr. L 180 vom 13.7.1990, 26-27, der Richtlinie 90/365/EWG des Rates vom 28.6.1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, ABlEG Nr. L 180 vom 13.7.1990, 28-29, und der Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29.10.1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten, ABlEG Nr. L 317 vom 18.12.1993, 59-60).