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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


VIII. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

       43. Das BVerfG erklärte in seinem Beschluß vom 5.8.1998 (2 BvR 153/96 - InfAuslR 1999, 37), daß auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung asylrechtsbegründend sein können. Ein libanesischer Staatsangehöriger beantragte vergeblich mit der Begründung in der Bundesrepublik Asyl, er sei wegen eines Wahlboykottaufrufs mittels Flugblättern inhaftiert und mißhandelt worden, habe jedoch vor seiner Verhandlung fliehen können. Das VG wies seine Asylklage ab, räumte jedoch ein Abschiebungshindernis gem. § 53 Abs. 4 AuslG ein. Gegen die Nichtzulassung der Berufung legte der Kläger Verfassungsbeschwerde ein, der das BVerfG stattgab. Das BVerfG führte dazu aus, daß auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung als gezielte Rechtsverletzungen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale politische Verfolgung sein könnten, da auch die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts liege. Es bedürfe einer besonderen Begründung, Taten, die eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen würden, aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen. Dafür komme der Rechtsgüterschutz in Betracht, sofern die staatlichen Maßnahmen einer zusätzlichen kriminellen Komponente gelten würden, die in den Taten zum Ausdruck gelange und über die Betätigung der politischen Überzeugung hinausgehe. Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung könne aber in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen würden, daß der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleide. Unmenschliche Behandlung und insbesondere Folter könnten sich als asylrelevante Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale oder im Blick darauf in verschärfter Form eingesetzt würden. Aus dem Urteil des VG werde nicht deutlich, inwieweit das Vorgehen gegen den Beschwerdeführer einem anderen Ziel habe dienen können, als ihn an der Betätigung seiner politischen Überzeugung zu hindern. Die Staatsschutzvorschriften hätten nicht ersichtlich die Verteidigung von Rechtsgütern gegen eine kriminelle Komponente zum Ziel, die über die Betätigung der politischen Überzeugung des Beschwerdeführers hinausreiche. Habe das VG aber mit einem besonders harten Vorgehen der libanesischen Strafverfolgungsbehörden gegen "politische" Straftäter einen "Politmalus" festgestellt, der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schwere körperliche und seelische Mißhandlungen zur Folge haben werde - wenn nicht in Form der Folter, so doch zumindest in Form der erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK - so sei unverständlich, warum das VG hieraus lediglich ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG ableite, eine drohende politische Verfolgung i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG jedoch ablehne.

       44. Das niedersächsische OVG folgte in seinem Urteil vom 23.1.1998 (1 L 525/97 - InfAuslR 1998, 197) der Rechtsprechung des BVerfG, daß die staatliche Verfolgung von separatistischen und politisch-revolutionären Taten grundsätzlich politische Verfolgung sein könne, selbst wenn der Staat hierdurch seinen eigenen Bestand oder seine politische Identität verteidige. Ein tunesischer Staatsangehöriger und Mitglied der Ennahdah-Bewegung reiste auf Umwegen in die Bundesrepublik ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte und die Abschiebung nach Tunesien angedroht erhielt. Das VG wies seine Verpflichtungsklage auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, bejahte jedoch ein Abschiebungshindernis gem. § 53 Abs. 4 AuslG. Das OVG gab der Berufung statt und führte dazu u.a. aus, daß der umfassende Schutz des Art. 16a GG vor politischer Verfolgung sich nach Rechtsprechung des BVerfG auch auf die Bestrafung politischer Delikte erstrecke, da der Schutzbereich nicht nur die politische Gesinnung als solche und ihre Bekundung, sondern auch ihre Betätigung umfasse.64 Liege die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylrechts, so könne eine staatliche Verfolgung von Taten, die eine Umsetzung politischer Überzeugung selbst in Form separatistischer und politisch-revolutionärer Aktivitäten darstellen würden, grundsätzlich politische Verfolgung sein - und zwar auch dann, wenn der Staat hierdurch das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidige. Diese Auslegung bedürfe allerdings eines Korrektivs, wobei wichtigstes Abgrenzungskriterium der Rechtsgüterschutz sei. Die staatliche Verfolgung von Straftaten gegen die Rechtsgüter anderer Bürger sei regelmäßig ebensowenig politische Verfolgung wie die Verfolgung einer Tat gegen ein politisches Rechtsgut, die nicht der politischen Überzeugung als solcher gelte, sondern einer in der Tat zum Ausdruck gelangten zusätzlichen kriminellen Komponente, deren Strafwürdigkeit der Staatenpraxis geläufig sei. Auch die staatliche Strafverfolgung mit Ziel der legitimen Terrorismusbekämpfung sei nicht asylbegründend. Nach diesen Grundsätzen sei der Kläger politisch verfolgt und asylberechtigt, weil er ohne konkrete Tatnachweise zu vier Jahren Gefängnis für die Mitgliedschaft in der islamistischen Ennahdah-Gruppierung verurteilt worden sei, die einen Gottesstaat fordere und zunehmend gewalttätig gegen den tunesischen Staat und seine Einrichtungen agiert habe. Der Kläger gehöre der gehobenen Parteihierarchie an, so daß eine asylrechtlich bedeutsame höhere Gefährdungslage zu bejahen sei. Das rigorose Vorgehen der tunesischen Behörden gegen Mitglieder der Ennahdah sei mit erheblichen Repressionen verbunden, die auch schwere körperliche Mißhandlungen bis hin zum Einsatz von Folterpraktiken erreichen und demnach eine Asylberechtigung begründen könnten.

       45. Das VG Leipzig urteilte am 21.12.1998 (A 2 K 30357/95 - InfAuslR 1999, 309), daß in Nigeria homosexuell veranlagten Personen politische Verfolgung drohe, weil das Ausleben gleichgeschlechtlicher Neigungen mit hohen Gefängnisstrafen belegt sei und Homosexuelle nicht nur als Störer der öffentlichen Ordnung und Moral bestraft würden, sondern in ihrer homosexuellen Veranlagung als persönlicher Eigenschaft getroffen werden sollten. Ein Nigerianer hatte in der Bundesrepublik erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragt, hatte mit seiner Klage vor dem VG jedoch Erfolg. Das VG führte u.a. auch aus, daß die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben seien. Es sei damit zu rechnen, daß die schicksalhaften und stabilen homosexuellen Neigungen des Klägers den nigerianischen Strafverfolgungsbehörden bekannt und zu einer hohen Haftstrafe führen würden. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe ihm daher aufgrund der Haftbedingungen in nigerianischen Gefängnissen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

      



      64 BVerfGE 80, 315.