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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


X. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

c) Das Recht des Angeklagten auf die Vermutung seiner Unschuld (Art. 6 Abs. 2 EMRK)

       72. Das BVerwG urteilte am 17.6.1998 (1 C 27.96 - DVBl. 1998, 1028), daß eine Ausweisung nach § 46 Nr. 2 AuslG nicht voraussetze, daß der Ausländer wegen des Gesetzesverstoßes, der eine Straftat darstelle, verurteilt worden sei. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK stehe dem nicht entgegen. Der Kläger hatte eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, die ihm aufgrund einer Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilt wurde. Nunmehr unstreitig hatte jedoch zu keiner Zeit zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden. Der Kläger wurde ausgewiesen, weil er den Straftatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG erfüllt habe, indem er die Ausländerbehörde mehrfach mit Erklärungen getäuscht habe, er lebe von seiner Ehefrau nicht getrennt. Dem Kläger sei die Ursächlichkeit seiner Erklärungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch bewußt gewesen. Die Ausweisung wurde durch das OVG bestätigt und auch die Revision blieb erfolglos. Das BVerwG führte dazu aus, daß die auf § 92 AuslG gestützte Ausweisung nicht deshalb rechtswidrig sei, weil der Kläger wegen der Straftat nicht verurteilt worden sei. Zum einen setzte § 46 Nr. 2 AuslG nicht voraus, daß der Ausländer wegen eines Gesetzesverstoßes, der eine Straftat darstellt, verurteilt worden sei, zum anderen stehe die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK einer Ausweisung nicht entgegen, weil die Ausweisung eine ordnungsrechtliche und keine strafrechtliche Maßnahme sei. Die Unschuldsvermutung beziehe sich aber nur auf den Schuldvorwurf in einem Strafverfahren und schütze nur den wegen einer strafbaren Handlung Angeklagten. Art. 8 EMRK böte ebensowenig Ausweisungsschutz, da die Vorschriften des AuslG mit ihrem differenzierten Regelungswerk grundsätzlich den Maßstäben und Anforderungen des Art. 8 EMRK entsprächen und Art. 8 EMRK angesichts der betroffenen Gemeinwohlinteressen keinen weitergehenden Schutz vermitteln könne. Auch Art. 3 Abs. 3 ENA86 stehe der Ausweisung nicht entgegen, da Voraussetzung u.a. der ordnungsgemäße Aufenthalt seit mehr als zehn Jahren sei, woran es aber fehle, wenn dafür erforderliche Aufenthaltserlaubnisse lediglich aufgrund von Täuschungen erlangt worden seien. Schließlich habe der Kläger auch keine Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus Art. 6 und 8 ARB 1/80.87 Art. 6 ARB 1/80 vermittle einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn ein türkischer Arbeitnehmer mindestens ein Jahr in ordnungsgemäßer Beschäftigung bei einem Arbeitgeber gestanden habe. Der Kläger habe aber während seines Studiums nur jeweils bis zu drei Monate tätig sein dürfen und dadurch die erforderliche Beschäftigungszeit nicht erreicht. Solche unfreiwilligen Unterbrechungen würden auch nicht als unschädliche Unterbrechungen i.S.d. Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 zählen. Art. 8 Abs. 2 ARB 1/80 richte sich seinem Wortlaut nach an die Arbeitsverwaltungen der Mitgliedstaaten und gebe ihnen auf, sich unter bestimmten Voraussetzungen bei der Arbeitsvermittlung zugunsten türkischer Staatsangehöriger "zu bemühen." Subjektive Rechte türkischer Arbeitnehmer seien aus diesem Wortlaut nicht abzuleiten.

      



      86 Europäisches Niederlassungsabkommen vom 13.12.1955, BGBl. 1959 II 998.
      87 Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980, abgedruckt in: Assoziierungsabkommen und Protokolle EWG-Türkei sowie andere Basisdokument, 327 (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel 1992).