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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


X. Internationaler Menschenrechtsschutz

3. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

       86. Das VG Frankfurt a.M. urteilte am 9.11.1998 (9 E 1570/98 (V) - NVwZ-RR 1999, 325), daß eine Teilzeitbeschäftigung auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit beruhe und Einstellungen, die generell in Teilzeitform erfolgen würden, unzulässig die allgemeine Chancengleichheit im Arbeitsmarkt verkürzen würden. Der Kläger hatte sich um eine Lehrstelle als Studienrat an einem hessischen Gymnasium beworben und ein Einstellungsangebot im Beamtenverhältnis auf Probe im Umfang von 80 % der regelmäßigen Arbeitszeit erhalten, die sich nach Ablauf von fünf Jahren auf 90 % erhöhen sollte. Der Kläger nahm dieses Angebot an, erhob aber nach Erhalt der Ernennungsurkunde Widerspruch. Die Beschäftigung als Teilzeitkraft habe nicht seinem Wunsch und seinem Interesse entsprochen, doch sei ihm keine andere Wahl geblieben, als das Angebot zu den genannten Bedingungen anzunehmen, um sich die Chance zum Eintritt und die Arbeit im öffentlichen Schuldienst des Landes nicht zu verbauen. Er beantragte eine Beschäftigung im Umfang einer Vollzeitstelle sowie Zahlung bzw. Nachzahlung der Vergütungsdifferenz. Die Klage hatte Erfolg. Nach Auffassung des Gerichtes verstößt § 85c Abs. 1 S. HessBG, auf den sich die einseitige, antragslos verfügte Teilzeitbeschäftigung stütze, u.a. gegen das Recht auf Arbeit und das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen der ESC106 und des IPwskR107 und sei daher nach Art. 67 S. 2 HessVerf. ungültig. Art. 6 Abs. 1 IPwskR garantiere das Recht auf Arbeit und Art. 7 IPwskR erkenne die Rechte jedes einzelnen auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen an. Darüber hinaus erklärten die Vertragsstaaten in Teil I ESC, geeignete Voraussetzungen dafür schaffen zu wollen, daß jedermann seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit unter gerechten Arbeitsbedingungen verdienen könne. Das Recht auf Arbeit enthalte auch eine soziale Ausrichtung in Gestalt einer qualifizierten Chancengleichheit für alle Menschen. Von einer Erfüllung dieses Rechtes auf Arbeit könne nur ausgegangen werden, wenn dem jeweiligen Anspruchsteller ein Vollzeitarbeitsplatz zur Verfügung stehe. Werde die allgemein geltende regelmäßige Wochen- oder Jahresarbeitszeit unterschritten, so sei das Recht allenfalls teilweise erfüllt, da der Grundsatz gleicher Arbeit für alle gelte. Die vorliegende Regelung sei mit dem Prinzip der allgemeinen Chancengleichheit unvereinbar, weil Arbeitsuchende auf Dauer verbindlich davon abgehalten würden, eine Vollzeitbeschäftigung erreichen zu können. Es werde eine absolute Sperre errichtet, deren Überwindung allein vom Dienstherrn zugelassen werden könne, ohne daß der Betroffene irgendeine rechtlich begründete Aussicht besäße. Da die Regelung nur für nach ihrem Inkrafttreten neu eingestellte Beamte gelte, sei sie zugleich eine Unterscheidung nach dem Status der Betroffenen, die mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 IPwskR unzulässig sei: Die Vertragsstaaten würden sich darin nämlich verpflichten, die im Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung zu gewährleisten. Auch das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen aus Art. 7 IPwskR und Teil I Nr. 2 ESC sei verletzt, da die Neueingestellten keine Möglichkeit hätten, ihren Arbeitsstatus beim Beklagten zu verlassen und sich entsprechend zu verbessern. Ihnen werde ein Sonderopfer aufgebürdet, ohne daß gerade ihnen die Entstehung der dafür ursächlichen Arbeitsmarktklage einseitig zugerechnet werden könne. Weiter falle die Hauptlast des finanziellen Minderverdienstes typischerweise in die ersten fünf Berufsjahre, in denen altersbedingt die Gründung einer Familie, Lebensgemeinschaft, die Geburt von Kindern falle, weshalb auch die Pflichten aus Art. 10 IPwskR und Teil II Art. 16 ESC zum Schutz von Ehe und Familie ins Gewicht fielen. Die Kammer sieht sich in ihrer Auffassung durch die RL 97/81/EG108 bestätigt, da ihr der Grundsatz zu entnehmen sei, daß Teilzeitarbeit nur freiwillig ausgeübt werden solle. Aus Art. 8 IPwskR ergebe sich seine Anwendbarkeit unabhängig vom Status oder von der Zuordnung des Beschäftigungsverhältnisses zum öffentlichen Recht oder zum Privatrecht. Gleiches gelte für den Anwendungsbereich der Europäischen Sozialcharta, wie sich aus der Rechtsprechung des EuGH109 und aus einem Vorbehalt in Teil II Art. 5 S. 2, 3 ESC ergebe. Die Rechte aus beiden Dokumenten seien entgegen zweier Denkschriften der Bundesregierung110 auch einklagbar, da den Zustimmungsgesetzen Transformationswirkung beigemessen werden müsse. Die Rechte seien ihrem Inhalt und Zweck nach geeignet, innerstaatliche Wirkungen wie ein entsprechendes nationales Gesetz auszulösen, da die Anerkennung jener Rechte keine weiteren Schritte zur Umsetzung mehr erfordere. Sie könnten u.a. gestützt auf Art. 67 S. 2 hess. Verf. Vorrang vor dem hess. BG beanspruchen, da dieser den unbedingten Vorrang eines jeden Staatsvertrags für die Dauer seiner Verbindlichkeit vor jedem Landesgesetz anordne. § 85 c Abs. 1 hess. BG sei deshalb gem. Art. 67 S. 2 hess. Verf. ungültig und könne somit die verfügte Teilzeitbeschäftigung nicht tragen. Im Wege der Gleichbehandlung sei der Kläger daher ohne Rücksicht auf § 85c hess. BG wie jeder andere Beamte zu behandeln und von der einseitig angeordneten Belastung zu verschonen.

      



      106 Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961, BGBl. 1965 II 1122.
      107 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II 1569, in Kraft getreten am 3.1.1976, BGBl. 1975 II 428.
      108 Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15.12.1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit - Anhang: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, ABlEG Nr. L 014 vom 20.1.1998, 9-14.
      109 EuGH, Urteil vom 19.3.1964, Rs. 75/63, Slg. 1964, 347; Urteil vom 23.3.1982, Rs. 53/81, Slg. 1982, 1035.
      110 BT-Drs. IV/2117, 28; BT-Drs. 7/685, 18.