Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


Inhalt | Zurück | Vor

Kai Peter Ziegler


XIII. Europäische Gemeinschaften

1. Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht

       98. Das BVerfG präzisierte in seinem Beschluß vom 22.6.1998 (2 BvR 532/98 - NJW 1998, 3187), daß sich aus der Begründung seines Beschlusses vom 31.3.1998 ergebe,123 daß das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Rat der EG zum Teilnehmerkreis der dritten Stufe der EWU das Integrationsprogramm des MV124 nicht verletze. Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seiner grundrechtsgleichen Gewährleistung aus Art. 38 Abs. 1 GG durch den Kabinettsbeschluß vom 27.3.1998, demzufolge die Bundesregierung der Empfehlung zu Art. 109 j Abs. 2 EGV der EG-Kommission vom 25.3.1998 zum Teilnehmerkreis der dritten Stufe der EWU bei ihrem Abstimmungsverhalten im Rat zu folgen beabsichtige. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil das BVerfG die Fragen bereits in dem Beschluß des 2. Senats vom 31.3.1998 entschieden habe. Zu Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG könne auf die Begründung des Senatsbeschlusses verwiesen werden. Auch die Rüge einer Verletzung der grundrechtsgleichen Gewährleistung aus Art. 38 Abs. 1 GG habe keine Aussicht auf Erfolg, da der Senat entschieden habe, daß Maßstab und Ablauf des Eintritts in die dritte Stufe der EWU im Vertrag geregelt seien und im Zustimmungsgesetz in der Verantwortung des Gesetzgebers Rechtsverbindlichkeit gewinnen würden. Die Entscheidung über den Beginn der EWU mit bestimmten Teilnehmerstaaten könne auch den Eintritt in ihre dritte Stufe hinreichend demokratisch legitimieren.

       99. Das BVerwG bestätigte mit Urteil vom 23.4.1998 (3 C 15/97 - EuZW 1998, 730), daß der EuGH seine Kompetenzen nicht überschreite, wenn er die nationalen Gesetzgeber bei der Regelung von Ausschlußfristen und Vertrauensschutz für die Rückabwicklung gemeinschaftswidrig gewährter Subventionen beschränke. Die Rechtsprechung des EuGH125 zur Unbeachtlichkeit der Ausschlußfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG verletze keine rechtsstaatlich unverzichtbaren Grundrechtsgewährleistungen. Die Betreiberin einer Aluminiumhütte beschloß deren Stillegung, was das beklagte Land mit einer Überbrückungshilfe von DM 8 Mio. für fünf Jahre abwenden konnte. Die Beihilfen wurden der Kommission zunächst nicht gemeldet und dann entgegen ausdrücklicher Hinweise der EG-Kommission auf die Unzulässigkeit der Zahlungen vor abschließender Stellungnahme der Kommission ausgezahlt. Die Kommission stellte fest, daß die Beihilfe gegen Art. 93 Abs. 3 EGV verstoße, mit Art. 92 EGV unvereinbar sei und daher zurückgefordert werden müsse. Die Betreiberin berief sich auf Vertrauensschutz, doch erkannte der EuGH in einer Klage der Bundesrepublik auf eine Vertragsverletzung wegen Nichtumsetzung der Kommissionsentscheidung. Das beklagte Land nahm daraufhin die Bewilligungsbescheide zurück und forderte die Klägerin zur Rückzahlung der Beihilfe auf. Das VG gab der Anfechtungsklage statt, das OVG wies die Berufung des Beklagten ab. In der Revision setzte das BVerwG das Verfahren für eine Vorlage an den EuGH aus. Nach Entscheidung des EuGH gab das BVerwG der Revision des Beklagten statt und führte aus, daß das angefochtene Urteil mit Art. 93 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 EGV in der verbindlichen Auslegung des EuGH nicht vereinbar sei, weil die Verpflichtung zur Rücknahme einer Beihilfebewilligung trotz Verstreichens der Ausschlußfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG weiter bestehe, wenn die Kommission eine rechtswidrig gewährte Beihilfe durch bestandskräftige Entscheidung für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt und ihre Rückforderung angeordnet habe. Nach der Rechtsprechung des BVerfG126 sei die Kompetenz des EuGH aus Art. 177 EGV zwar nicht schrankenlos, doch habe der EuGH die Grenzen des EGV hier nicht überschritten. Die Art. 92, 93 EGV über die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen und das Kontrollrecht der Kommission seien unmittelbar anwendbares Recht, dessen Auslegung nach Art. 177 Abs. 1 lit. a EGV eine originäre Aufgabe des EuGH sei. Dazu gehöre auch die Feststellung der Einschränkungen nationaler Rückabwicklungsvorschriften. Das Urteil des EuGH setze keine unverzichtbaren Grundrechtsgewährleistungen außer Kraft, da der EuGH nationalen Vertrauensschutz bei der Rückabwicklung von Subventionen für vereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erklärt habe. Die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission sei in Art. 93 EGV aber zwingend vorgeschrieben, so daß Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit von Beihilfen nur bei Einhaltung des Verfahrens vertrauen dürften. Darüber hinaus könne ein Betroffener schutzwürdiges Vertrauen mit einer Klage gegen die Kommissionsentscheidung nach Art. 173 EGV geltend machen.

       100. Der BGH urteilte am 12.5.1998 (KZR 23/96 - NJW-RR 1999, 189), daß einem Wiederverkäufer, dem ein Warenhersteller die Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem verweigere, obgleich er die nach europäischem Kartellrecht zulässigen, qualitativen Voraussetzungen für die Aufnahme in das Vertriebssystem erfülle, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 85 Abs. 1 EGV kein unmittelbar auf Kontrahierung oder Belieferung gerichteter Anspruch zustehe. Eine Parfümeriebetreiberin wurde nach einem Rundschreiben einer Konkurrentin über ihre Rabatt- und Niedrigpreispolitik von ihren Lieferanten hochwertiger Kosmetikartikel nicht mehr beliefert. Während andere Vertriebsfirmen die Klägerin inzwischen überwiegend wieder belieferten, weigerte sich die Beklagte, mit der Klägerin einen Depotvertrag abzuschließen. Klage und Berufung blieben erfolglos, doch hielt das Berufungsgericht einen Kontrahierungsanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 85 Abs. 1 EGV für grundsätzlich möglich. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils in diesem Punkt. Der BGH führte dazu u.a. aus, daß Art. 85 EGV Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sei und sich daher Schadensersatzansprüche ergeben könnten, zumal die Klägerin zu dem Personenkreis gehöre, den Art. 85 EGV vor Wettbewerbsbeschränkungen durch verbotene selektive Vertriebssysteme schützen wolle. Ein Anspruch auf Belieferung sei vom Schutzzweck des Art. 85 EGV jedoch nicht erfaßt. Art. 85 EGV bewirke über Schadensersatzansprüche einen mittelbaren Zwang zur Gleichbehandlung, führe jedoch nicht zur Einschränkung der Freiheit, sich seinen Vertragspartner frei wählen zu können. Vielmehr stehe es dem Hersteller frei, einen Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EGV entweder durch eine diskriminierende Belieferung von Außenseitern oder durch eine Aufgabe oder Änderung seines Vertriebssystems zu beenden.

       101. Nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluß vom 7.4.1998 (10 S 878/97 - DÖV 1998, 888) können Unternehmer des Güterkraftverkehrs aus unterschiedlichen Durchführungsbestimmungen der Mitgliedstaaten zu VO 3820/85/EWG127 und 3821/85/EWG128 keine gemeinschaftsrechtswidrigen Wettbewerbsnachteile herleiten, da der Vollzug des Gemeinschaftsrechts in die eigenverantwortliche Kompetenz der Mitgliedstaaten falle. Ein Transportunternehmer wandte sich gegen Bestimmungen des FPersG,129 die den Einsatz von EG-Kontrollgeräten im Straßenverkehr vorsahen und den Unternehmer für die vollständige Abgabe der ordnungsgemäß durch die Fahrer ausgeführten Schaublätter verantwortlich machten. Die Bestimmungen waren zur Durchführung der VO 3820/85/EWG und 3821/85/EWG ergangenen und aus Sicht des Klägers ebensowenig mit Art. 76 und 78 EGV vereinbar wie die Verordnungen selbst. Klage und Berufung blieb erfolglos. Der VGH führte dazu aus, daß die Vereinbarkeit der auf Art. 75 EGV gestützten VO 3820/85/EWG und 3821/85/EWG mit den Bestimmungen über die gemeinsame Verkehrspolitik der Art. 74 ff. EGV außer Frage stehe. Auch die zur Durchführung dieser Verordnungen ergangenen innerstaatlichen Bestimmungen des FPersG würden nicht gegen europäisches Recht verstoßen, weil der Kläger wesentliche Zusammenhänge des Verhältnisses von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht verkenne, wenn er in einer nicht identischen Ausgestaltung der Durchführungsbestimmungen eine ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrung sehe. Die EG verfüge nur über die ihr im EGV übertragenen Regelungskompetenzen und selbst soweit sie Rechtsetzungskompetenzen besitze, falle der Vollzug des Gemeinschaftsrechts und insbesondere die Regelung des Verwaltungsverfahrens in die eigenverantwortliche Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten. Dem trage Art. 19 Abs. 1 VO 3821/85/EWG Rechnung, wenn er zur Durchführung der Verordnung die Mitgliedstaaten zum Erlaß von Rechts- und Verwaltungsvorschriften ermächtige. Würden die Mitgliedstaaten aber beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts ihnen eingeräumte Gestaltungsspielräume nutzen, so seien daraus resultierende unterschiedliche Durchführungsbestimmungen als Folge der Kompetenzaufteilung zwischen der EG und den Mitgliedstaaten hinzunehmen.

      



      123 Siehe oben Nr. 97.
      124 Vertrag vom 7.2.1992 über die Europäische Union, BGBl. 1992 II 1251.
      125 EuGH, Urteil vom 20.3.1997, Rs. C-24/95, Slg. 1997, 1591.
      126 BVerfG, NJW 1988, 1459 (1460).
      127 Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom 20.12.1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABlEG Nr. L 370 vom 31.12.1985, 1-7.
      128 Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates vom 20.12.1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr, ABlEG Nr. L 370 vom 31.12.1985, 8-21.
      129 Gesetz über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen vom 30.3.1971, BGBl. 1971 I 277, n.F. vom 19.2.1987, BGBl. 1987 I 640, BGBl. III 9231-8, zuletzt geändert durch Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts vom 23.6.1998, BGBl. 1998 I 1485.