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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


XIII. Europäische Gemeinschaften

8. Wettbewerbs- und Kartellrecht

       115. Nach Ansicht des BGH in seinem Urteil vom 5.2.1998 (I ZR 211/95 - EuZW 1998, 474), ist die Generalklausel des § 1 UWG bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonform auszulegen. Vergleichende Werbung sei danach grundsätzlich zulässig, sofern die Voraussetzungen des Art. 3a Abs. 1 lit. a-h RL 97/55/EG156 erfüllt seien. Eine Konkurrentin nahm die Beklagte u.a. auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch, weil die Beklagte für ihren Vertrieb von Tennisschlägern mit dem Slogan "Billige Composite Rackets muten wir Ihnen nicht zu" warb. Das Berufungsgericht untersagte der Beklagten die Verwendung der Werbeaussage und gab dem Antrag auf Schadensersatzfeststellung statt, wies den Zahlungsantrag in der Anschlußberufung des Beklagten jedoch ab. Der BGH sah in der Werbeaussage eine nach § 1 UWG unzulässige vergleichende Werbung und führte dazu aus, daß er nach Erlaß der RL 97/55/EG nunmehr seine Rechtsprechung mit Blick auf eine richtlinienkonforme Auslegung des § 1 UWG ändere. Der Begriff der vergleichenden Werbung bedürfe dabei keiner Änderung, doch sei an ihrem bisherigen grundsätzlichen Verbot nicht mehr festzuhalten. Vergleichende Werbung sei nun vielmehr als grundsätzlich zulässig anzusehen, sofern die Voraussetzungen des Art. 3a Abs. 1 lit. a-h RL 97/55/EG erfüllt seien. Es sei geboten, die Richtlinie bei der Auslegung des § 1 UWG schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu berücksichtigen. Dabei ermögliche die Generalklausel die Änderung des deutschen (Richter-) Rechts: Solange sich die Konformität mittels Auslegung im nationalen Recht herstellen lasse und soweit dem Gesetzgeber kein Spielraum bei der Umsetzung bleibe, seien die Bedenken unbegründet, daß eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Gesetze durch die Gerichte vor Ablauf der Umsetzungsfrist in die Kompetenz des Gesetzgebers eingreife. Im übrigen wirke sich die Richtlinie unmittelbar auf das Merkmal der Sittenwidrigkeit in § 1 UWG aus, weil in einem Verhalten, das der europäische Gesetzgeber als grundsätzlich zulässig erachtet habe, kein Verstoß gegen die guten Sitten gesehen werden könne, der einen Wettbewerbsverstoß begründe. Die beanstandete Werbeaussage sei allerdings auch bei richtlinienkonformem Verständnis wettbewerbswidrig i.S.d. § 1 UWG, weil sie entgegen Art. 3a Abs. 1 lit. e RL 97/55/EG die Waren der betroffenen Mitbewerber herabsetze.

       116. Der BGH erklärte mit Urteil vom 15.10.1998 (I ZR 69/96 - GRUR Int. 1999, 453) Werbevergleiche auch bei nicht identischen Produkten für zulässig, sofern sie nur funktionsidentisch seien und aus Sicht der Verbraucher als Substitutionsprodukte in Betracht kämen. Vergleichende Werbung sei nur herabsetzend oder verunglimpfend i.S.d. Art. 3a Abs. 1 lit. e RL 97/55/EG,157 wenn über die normalen Wirkungen eines Werbevergleichs hinaus besondere Umstände den Vergleich in unangemessener Weise abfällig, abwertend oder unsachlich erscheinen lassen würden. Auch eine unlautere Rufausnutzung i.S.d. Art. 3 a Abs. 1 lit. g RL 97/55/EG setze besondere wettbewerbswidrige Umstände voraus, die über die bloße Nennung der Marke, des Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers hinausgehen würden. Ein Vertriebsbeauftragter der Modeschmuck vertreibenden Beklagten schrieb an eine mögliche Vertriebsinteressentin: "Es handelt sich dabei um hochwertigen Designer-Modeschmuck zu akzeptablen Preisen. Vergleichen Sie einmal mit dem Katalog von P... L...!" Die Klägerin beanstandete dies als unzulässige vergleichende Werbung und beantragte, die Beklagte zur Unterlassung bei voller Haftung zu verurteilen. LG und OLG verurteilten die Beklagte antragsgemäß, ihre Revision hatte hingegen Erfolg. Der BGH führte dazu aus, daß es bereits an einem Verstoß gegen § 1 UWG fehle, weil nach der inzwischen geänderten Rechtsprechung des BGH die vergleichende Werbung grundsätzlich zulässig sei, sofern die Voraussetzungen des Art. 3a Abs. 1 lit. a-h RL 97/55/EG, wie hier, erfüllt seien. Bei der angegriffenen Werbeaussage handele es sich um einen Vergleich, der eine Gleichwertigkeit der Produkte geltend mache und die eigenen Produkte als preisgünstiger im Vergleich zu denen der Klägerin darstelle. Die vergleichende Werbung erfülle die Voraussetzungen des Art. 3a Abs. 1 lit. a-h RL 97/55/EG, weil die Angaben zum Preis-Leistungs-Verhältnis nicht irreführend i.S.d. lit. a seien, weil Waren für den gleichen Bedarf bzw. für dieselbe Zweckbestimmung i.S.d. lit. b verglichen würden, weil die Richtigkeit der Behauptungen über verglichene Eigenschaften für am Vertrieb Interessierte entsprechend lit. c mit zumutbarem Aufwand im Wege eines Selbstvergleiches der Kataloge nachgeprüft werden könne, weil der Preisvergleich auch nicht als pauschal herabsetzend im Sinne von lit. e gewertet werden könne und weil es letztlich auch an einer Rufausnutzung in unlauterer Weise nach lit. g fehle. Zu lit. b merkte der BGH an, daß es lediglich auf den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung ankomme und das Informationsinteresse der Verbraucher für einen Werbevergleich auch nicht identischer Produkte spreche, sofern diese nur funktionsidentisch seien und aus Sicht der angesprochenen Verbraucher als Substitutionsprodukte in Betracht kämen. Weiter mache die Gleichstellung von Herabsetzung und Verunglimpfung in lit. e deutlich, daß nicht jede herabsetzende Wirkung, die einem kritischen Werbevergleich immanent sei, ausreiche, sondern über die mit jedem Werbevergleich verbundenen negativen Wirkungen hinaus besondere Umstände hinzutreten müßten, die den Vergleich in unangemessener Weise abfällig, wertend oder unsachlich erscheinen lassen würden. Schließlich reiche allein die namentliche Nennung der Klägerin, verbunden mit einer Aufforderung zu einem Eigenvergleich, nicht für eine Rufausnutzung in unlauterer Weise i.S.v. lit. g aus, da andernfalls jede vergleichende Werbung unzulässig wäre.

       117. Das OLG Düsseldorf urteilte am 28.8.1998 (U (Kart) 19/98 - NZS 1998, 567), daß für Hersteller ein kartellrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen Festbetragsregelungen aus europäischem Kartellrecht i.V.m. den nationalen Transmissionsvorschriften bestehe. Die Antragstellerin vertrieb u.a. Inkontinenzhilfen und verlangte von den Verbänden der gesetzlichen Kranken- und Ersatzkassen die Unterlassung der Festsetzung von Festbeträgen nach einem 1993 verabschiedeten Festbetragsgruppensystem für ärztlich verordnete Inkontinenzartikel. Das OLG gab dem Antrag statt und führte u.a. aus, daß die beanstandete Festbetragsfestsetzung gegen Art. 85 Abs. 1 EGV verstoße und der Antragstellerin daher Abwehransprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 BGB analog zustünden. Die Mitgliedskassen der Antragsgegner seien "Unternehmen" i.S.d. Art. 85 Abs. 1 EGV, da nach der Rechtsprechung des EuGH158 allein die "wirtschaftliche Tätigkeit" konstitutiv für diesen im weitesten Sinne zu verstehenden gemeinschaftsrechtlichen Begriff sei, der angesichts Art. 90 Abs. 1 EGV uneingeschränkt auch für öffentliche Unternehmen gelte. Die Festbetragsfestsetzung stelle ihrem Zweck und ihren Auswirkungen am Markt nach zumindest eine "mittelbare Festsetzung" der Ankaufspreise dar und sei deshalb als zielgerichtete Beeinflussung der Preise für wirtschaftliche Leistungen der Marktgegenseite selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit. Daß die Zahlungen der Krankenkassen auf versicherungspflichtige Sozialversicherungsbeiträge zurückgehen würden, sich ihre Tätigkeit an dem Grundsatz der nationalen Solidarität ausrichte und die Leistungen von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht würden, mache sie weder zu "Einrichtungen," die nicht Unternehmen i.S.d. Art. 85 EGV seien, noch nehme dies ihren Tätigkeiten den Charakter des Wirtschaftlichen. Der EuGH habe im Fall CCMSA159 zu deren Qualifizierung als "Unternehmen" ausdrücklich an ihre Tätigkeit angeknüpft, weil sie "zu Verhaltensweisen führen könne," die die Wettbewerbsregeln unterbinden sollten. Danach seien die Antragsgegnerinnen nur dann keine Unternehmen i.S.d. Art. 85 EGV, wenn deutsche Rechtsvorschriften ihnen das beanstandete wettbewerbswidrige Verhalten strikt vorschreiben würden. Indessen hätten die Krankenkassen mit den Festbetragsfestsetzungen Raum für eigenständige unternehmerische Entscheidungen, die neben massiver Einflußnahme auf die Abgabepreise der Erbringer medizinischer Sach- und Dienstleistungen auch in erheblicher Weise Einfluß auf den Leistungsumfang gegenüber den Versicherten und auf die Verwendung der Mittel hätten. Die Festbetragsfestsetzung sei auch geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, da diese Voraussetzung nach der Rechtsprechung des EuGH immer schon dann erfüllt sei, wenn die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecke.160 De facto führe die Festbetragsfestsetzung, selbst wenn sie jeweils nur für ein Land der Bundesrepublik gelte, in ihrer Gesamtheit zu einem System von Wettbewerbsbeschränkungen mit preisregulierender Zielrichtung.

       118. Das OLG Düsseldorf war in seinem Urteil vom 16.6.1998 (U (Kart) 15/97 - WuW 1998, 713) der Auffassung, daß ein nach Art. 85 Abs. 1 EGV verbotenes Kartell, das die Kommission unter einer aufschiebenden Bedingung freigestellt habe, bis zum Eintritt der Bedingung verboten bleibe und die zugrundeliegenden Verträge solange nichtig seien. Ein früheres Praktizierten des Kartells geschehe auf eigene Gefahr und könne nach § 823 Abs. 2 BGB zu Schadensersatzansprüchen von unmittelbar betroffenen Marktteilnehmern führen. Ein Hauptkonkurrent der Deutschen Telekom machte Schadensersatz geltend, weil ihm durch die Vermarktung von Global-One-Produkten vor der Freistellung des Zusammenschlusses der Telekom mit ihren ausländischen Partnern Vertragsabschlüsse entgangen seien. Das OLG führte dazu aus, daß unstreitig der Zusammenschluß von Global One nach Art. 85 Abs. 1 EGV verboten gewesen sei und der Freistellung gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV bedurft habe. Aus der bedingten Freistellung folge auch, daß die Kooperation vor der Freistellung verboten gewesen sei. Eine Freistellungsablehnung habe nach h.M. rückwirkende Kraft und mache den vorläufig vollziehbaren Vertrag endgültig nichtig. Nach Art. 85 Abs. 1 EGV verbotene geschäftliche Aktivitäten würden anerkanntermaßen eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB zumindest gegenüber betroffenen Wettbewerbern begründen. Für schützenswertes Vertrauen bestünden keine Anhaltspunkte, da Bedingungen und Auflagen in Art. 8 Abs. 1 KartellVO161 ausdrücklich vorgesehen und es folglich allein das Risiko der Beklagten gewesen sei, eine rückwirkende Freistellung ihres Kartells ohne Bedingungen zu erwarten.

       119. Laut Urteil des OVG Magdeburg vom 7.4.1998 (A 1/4 S 221/97 - LKV 1999, 31) verbietet Art. 1 Abs. 3 VO 1191/69/EWG162 i.d.F. der VO 1839/91EWG163 die Zahlung von Subventionen im ÖPNV, wenn sie nicht auf der Auferlegung oder Vereinbarung eines Verkehrsdienstes zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung beruhen. Ein Unternehmen, das von drei ehemaligen Landkreisen mit dem Zweck gegründet worden war, regionale private Busunternehmen mit der Durchführung des ÖPNV zu beauftragen, klagte gegen eine Stadt in einem der Landkreise, die ihre Aufträge an eine Konkurrentin der Klägerin vergeben hatte. Widerspruch und Klage blieben erfolglos, die Berufung hatte jedoch teilweise Erfolg. Das OVG führte dazu u.a. aus, daß die Verlängerung der Genehmigung der Konkurrentin der Klägerin rechtswidrig gewesen sei, weil die Leistungsfähigkeit der Konkurrentin nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Eine Bezuschussung der Konkurrentin durch den Landkreis sei deshalb mit dem Gemeinschaftsrecht nicht mehr vereinbar gewesen. Der Rat der EG habe, ermächtigt durch Art. 75 Abs. 1; 94 EGV, die VO 1191/69/EWG, geändert durch VO 1893/91/EWG, erlassen, deren Art. 1 Abs. 3 grundsätzlich die Zahlung von Subventionen und Zuschüssen der öffentlichen Hand an Verpflichtete öffentlicher Dienste in den Bereichen des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs verbiete. Gem. Art. 2 Abs. 1 VO 1191/69/EWG seien Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes diejenigen Verpflichtungen, die Verkehrsunternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht unter den gleichen Bedingungen übernehmen würden, worunter gem. Art. 2 Abs. 2 VO 1191/69/EWG auch die Betriebspflicht, die Beförderungspflicht und die Tarifpflicht zählen würden. Die Ausnahmeregelungen würden Subventionen nur erlauben, wenn sie auf der Auferlegung oder Vereinbarung eines Verkehrsdienstes zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung beruhten. Solange der beklagte Landkreis die Bedienung der streitigen Linien mit der Konkurrentin der Klägerin aber weder vertraglich vereinbart noch per Verwaltungsakt auferlegt habe, dürfe er die Konkurrentin der Klägerin danach nicht mehr finanziell unterstützen.

      



      156 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABlEG 1997 Nr. L 290, 18.
      157 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABlEG 1997 Nr. L 290, 18.
      158 EuGH, Urteil vom 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, 1979.
      159 EuGH, Urteil vom 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, 4013.
      160 EuGH, Urteil vom 18.6.1998, Rs. C-35/96, Slg. 1998, 3851.
      161 Verordnung (EWG) Nr. 17 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Art. 85 und 86 des Vertrages, ABlEG Nr. 13 vom 21.2.1962, 204-211.
      162 Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften Nr. 1191/69/EWG vom 26.6.1969, ABlEG 1969 Nr. 156/1.
      163 Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften Nr. 1893/91/EWG vom 20.6.1991, ABlEG 1991 Nr. 169/1.