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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


IV. Wirkungen und Grenzen staatlicher Souveränität

       16. Der BGH sah in seinem Urteil vom 5.5.1998 (5 StR 494/97 - NJ 1998, 326) den Anwendungsbereich des § 258 StGB nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, so daß Strafvereitelungen auch durch Ausländer im Ausland begangen werden könnten. Jedoch unterliege die Strafbarkeit dann völkerrechtlichen Einschränkungen und dies besonders, wenn die Hilfeleistung im staatlichen Auftrag erfolgt sei. Mangels einer völkerrechtlichen Pflicht zur Auslieferung von Straftätern sei das Unterlassen der Auslieferung allein noch keine Strafvereitelung. Das LG Berlin hatte drei ehemalige MfS-Mitarbeiter der versuchten Strafvereitelung für schuldig befunden, weil sie auf Weisung des Ministers Mielke ehemaligen RAF-Mitgliedern den Aufenthalt in der DDR und den Erwerb ihrer Staatsangehörigkeit ermöglicht hatten. Die Revision führte zum Freispruch. Der BGH führte aus, daß die DDR Staat i.S.d. Völkerrechts und damit Völkerrechtssubjekt gewesen sei. Ihre Souveränität und Gleichberechtigung seien daher zu achten, wenn eine Handlung auf dem Gebiet der DDR nach dem Strafrecht der Bundesrepublik beurteilt werden solle. Das Ubiquitätsprinzip des § 9 Abs. 1 StGB widerspreche dem nicht, da bei einem Erfolgsdelikt wie § 258 StGB auch auf den Ort des Erfolgseintritts abgestellt werden könne. Jedoch sei die DDR völkerrechtlich auch aus dem Grundlagenvertrag34 weder zur Auslieferung von RAF-Aussteigern an die Bundesrepublik noch zu einer Mitteilung verpflichtet gewesen. Auch das Angebot an im Ausland befindliche RAF-Mitglieder, in der DDR Schutz vor Strafverfolgung zu finden, könne angesichts der Übung einiger Staaten noch völkerrechtlich gedeckt sein. Die Angeklagten hätten daher zumindest in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB gehandelt. Der BGH verneinte auch eine Verurteilung nach § 233 StGB-DDR aus übergangenem Strafanspruch, weil die Angeklagten auf Befehl des Ministers Mielke gehandelt hätten und sie als Militärpersonen gemäß § 258 Abs. 1 StGB-DDR für Handlungen aufgrund von Befehlen nur dann strafrechtlich verantwortlich seien, wenn die Ausführung des Befehls offensichtlich gegen die anerkannten Regeln des Völkerrechts oder Strafgesetze verstoßen hätte. Dies sei aber nicht der Fall, wenn der Verzicht auf Strafverfolgung das Ziel verfolge, terroristisches Potential ruhig zu stellen.

       17. Nach Auffassung des BGH in dem Beschluß vom 11.12.1998 (2ARs 499/98 - NStZ 1999, 236) reicht das Weltrechtsprinzip der §§ 6 Nr. 1; 9 StGB zur Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Straftaten von Ausländern an Ausländern im Ausland nicht ohne einen legitimierenden inländischen Anknüpfungspunkt aus, wofür der inländische Aufenthalt des Tatopfers nicht genüge. Ein nach Deutschland eingereister Bosnier zeigte Mißhandlungen und Tötungsverbrechen einer serbischen Gruppe bei der Vertreibung muslimisch-bosnischer Zivilisten aus ihrem Dorf an. Die StA regte daraufhin die Bestimmung eines zuständigen Gerichtes gem. § 13a StPO an, was der BGH ablehnte, weil die Taten nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterlägen. Zwar gelte dafür das deutsche Strafrecht nach dem Weltrechtsprinzip des § 6 Nr. 1 StGB (Völkermord) und des § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 146 II 1, 147 GK-IV,35 doch reiche dies zur Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Straftaten von Ausländern an Ausländern im Ausland nicht ohne einen legitimierenden inländischen Anknüpfungspunkt aus, weil andernfalls die völkerrechtlich gebotene Beachtung der Souveränität anderer Staaten kaum zu gewährleisten sei und die inländische Strafjustiz mit der uneingeschränkten Verpflichtung zu "weltweiter" Verfolgung von Straftaten überfordert wäre. Als legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt genüge der Aufenthalt des Tatopfers aber nicht, weil dessen Aufenthalt von zufälligen, tat- und täterunabhängigen Umständen abhänge und zu einer uferlosen, völkerrechtlich bedenklichen Ausdehnung der inländischen Strafverfolgung führen würde. Anders verhalte es sich mit dem inländischen Aufenthalt Beschuldigter, doch lägen dafür hier keine Anzeichen vor.

       18. Aus Sicht des OLG Köln in seinem Urteil vom 3.12.1998 (7 U 222/97 - IPRax 1999, 251) bedingt die völkerrechtliche Staatensouveränität, daß sich die Voraussetzungen von Amtshaftungsansprüchen für Taten, die während der nationalsozialistischen Herrschaft begangen wurden, auch dann nach deutschem Recht richten, wenn die Amtshaftungsdelikte im Ausland begangen wurden. Einschlägig sei § 839 BGB mit seiner damaligen staatsrechtlichen Verankerung in Art. 131 WRV. Die Bundesrepublik habe zwar für solche Reichsverbindlichkeiten des Deutschen Reiches einzustehen, doch stehe den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung aufgrund noch gültiger Gesetze ein Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch für Zwangsarbeit nicht zu. Die Kläger, ausländische Staatsangehörige, waren während des zweiten Weltkrieges wegen ihrer jüdischen Abstammung von Nationalsozialisten in besetzten Gebieten verfolgt, im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert und zur Zwangsarbeit in einer nahe Auschwitz gelegenen Waffenfabrik herangezogen worden, wofür sie kein Entgelt erhielten. Nach dem Krieg erhielten sie allerdings auf der Grundlage u.a. des BEG36 Kapitalentschädigungen und/oder Renten. Die Kläger nahmen nun die Bundesrepublik auf Schadensersatz bzw. Zahlung einer Entschädigung für die geleistete Zwangsarbeit in Anspruch. Nach Auffassung des OLG sind die Voraussetzungen von Amtshaftungsansprüchen zwar gegeben, da zur Tatzeit deutsches Recht auch auf im Ausland begangene Amtshaftungsdelikte Anwendung gefunden habe. Dies ergebe sich aus dem völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität, der die staatliche Immunität für hoheitliches Handeln festlege. Die Bundesrepublik habe daher in Funktionsnachfolge des deutschen Reiches für Ansprüche nach § 839 BGB i.V.m. Art. 131 WRV einzustehen. Das Heranziehen der Kläger zur Zwangsarbeit sei auch keinesfalls durch Art. 52 HLKO37 gedeckt. Jedoch sei die Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen wie auch von öffentlich-rechtlichen Entschädigungsansprüchen nach § 8 Abs. 1 BEG ausgeschlossen, da dieser vorsehe, daß Ansprüche wegen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen abschließend und ausschließlich nach dem BEG befriedigt und Schadensausgleich nach dem allgemeinen Delikts- und Entschädigungsrecht ausgeschlossen werden sollte. Davon nicht erfaßte wiedergutmachungsrechtliche Vorschriften seien hier nicht einschlägig. Das BEG habe wegen drohenden Staatsbankrotts nur einen begrenzten Ausgleich vorgesehen, der ganze Schadenstatbestände oder Personenkreise ausgenommen habe, aber von Art. 134 Abs. 4, 135a GG so erlaubt worden sei und weder die Eigentumsgarantie noch den Gleichbehandlungsgrundsatz verletze. Der Gesetzgeber habe im BEG bewußt davon abgesehen, für materielle Schäden aus Zwangsarbeit einen Ausgleich zu gewähren, wie sich aus vorangegangenen Gesetzeskodifikationen und völkerrechtlichen Verträgen, die keine Regelung für Zwangsarbeit vorgesehen hätten, sowie aus § 5 Abs. 2 Nr. 3 AKG38 ergebe, der die positive wie negative Exklusivität des BEG bestätige. Weiter erscheine auch die Abgrenzung zur nicht erfaßten Wiedergutmachung sinnlos, wenn sie auf dem Wege über Haftungsansprüche nach allgemeinem Haftungsrecht umgangen werden könne. Ehemalige polnische Staatsangehörige erführen nach dem BEG eine Schlechterstellung gegenüber anderen Verfolgten, da sie Ansprüche nur unter besonders engen Voraussetzungen geltend machen könnten, doch sei auch dies durch die damalige Finanzschwäche der Bundesrepublik gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe im übrigen nach dem persönlichen Territorialitätsprinzip zwischen in der Bundesrepublik lebenden Verfolgten und außerhalb lebenden Verfolgten unterschieden: Im Ausland lebende Verfolgte sollten sich danach an ihre Heimat- bzw. Sitzstaaten wenden, die ihrerseits völkerrechtliche Verträge zur Entschädigung der ausländischen Verfolgten mit der Bundesrepublik abschließen sollten und in erheblichem Umfang abgeschlossen hätten. Schließlich lasse sich nicht aus Art. 5 Abs. 2 LondonerSchuldenAbk39 folgern, daß Entschädigungsansprüche nach allgemeinem Haftungsrecht bestünden, da der Wortlaut solche Ansprüche weder voraussetze noch habe begründen wollen. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag40 habe deshalb auch keine Entschädigungsansprüche von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung aufleben lassen können.

      



      34 Vertrag vom 21.12.1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, BGBl. 1973 II 421.
      35 IV. Genfer Abkommen vom 12.8.1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, BGBl. 1954 II 917.
      36 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18.9.1953, BGBl 1953 I 1387.
      37 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18.10.1907, RGBl. 1910, 107.
      38 Allgemeines Kriegsfolgengesetz vom 5.11.1957, BGBl. III 653-1, veröffentlichte bereinigte Fassung, zuletzt geändert durch Art. 67 des Gesetzes vom 5.10.1994, BGBl. 1994 I 1389.
      39 Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27.2.1953, BGBl. 1953 II 333.
      40 Vertrag über die Abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12.9.1990, BGBl. 1990 II 1318.