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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


V. Staatsangehörigkeit

3. Mehrfache Staatsangehörigkeit

       24. Das BVerwG urteilte am 29.9.1998 (1 C 20/96 - NJW 1999, 963), daß ein deutscher Staatsangehöriger, der durch ausdrückliche Willenserklärung die italienische Staatsangehörigkeit erwerbe, nicht nach Art. 1 Abs. 1 MSÜ41 die deutsche Staatsangehörigkeit verliere, wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik beibehalte. Die deutsche Klägerin strebte aufgrund ihrer Ehe mit einem italienischen Staatsangehörigen den Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft an, beabsichtigte aber, auf Dauer ihren Aufenthalt im Bundesgebiet beizubehalten. Sie begehrte nach Ablehnung eines entsprechenden Antrags die Feststellung, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verliere, wenn sie die italienische Staatsangehörigkeit erwerbe, solange sie sich gewöhnlich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Nach Auffassung des BVerwG tritt ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 RuStAG nur für Deutsche ein, die im Inland nicht ihren dauernden Aufenthalt haben. Zwar verliere gem. Art. 1 Abs. 1 MSÜ ein volljähriger Deutscher seine Staatsangehörigkeit, wenn er infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung die Staatsangehörigkeit eines anderen Vertragsstaates erwerbe, unabhängig davon, ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland beibehalte. Italien habe aber in einem Vorbehalt zum MSÜ den Verlust der italienischen Staatsangehörigkeit davon abhängig gemacht und Art. 8 Abs. 1 MSÜ erlaube diese Art von Vorbehalt ausdrücklich. Die Bundesrepublik sei ihrerseits nach Art. 8 Abs. 3 Satz 1 MSÜ nur im Rahmen des italienischen Vorbehalts zur Anwendung des Art. 1 Abs. 1 MSÜ völkerrechtlich verpflichtet. Art. 21 Abs. 1 WÜRV42 führe nach dem Gegenseitigkeitsprinzip zum gleichen Ergebnis, da das MSÜ nicht in die Kategorie von Abkommen zähle, die dem Gegenseitigkeitsprinzip nicht zugänglich seien. Im übrigen sei der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit kaum durchzuhalten und deutlichen Erosionen ausgesetzt. Nur soweit aber eine völkervertragliche Pflicht dazu bestehe, könne § 25 Ab. 1 RuStAG durch das MSÜ modifiziert werden. Dies sei hier nicht der Fall.

       25. Nach Ansicht des VG Berlin in seinem Urteil vom 25.8.1998 (23 A 170/98 - NVwZ-RR 1999, 452) hat ein Wehrpflichtiger seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Art. 6 MSÜ43 dort, wo er sich tatsächlich nicht nur vorübergehend aufhält. Bei Studenten sei dies regelmäßig der Studienort. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts sei nicht identisch mit dem Begriff des ständigen Aufenthalts i.S.d. § 1 WPflG. Der in Belgien geborene Kläger war Sohn eines deutsch-französischen Paares und besaß beide Staatsangehörigkeiten. Er optierte in Brüssel nach Art. 6 Abs. 2 MSÜ für die Ableistung des Wehrdienstes in Frankreich und nahm daraufhin ein Studium an der TU Berlin auf, wo er zum Wehrdienst einberufen wurde. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Nach Ansicht des VG sind die Voraussetzungen für die Einberufung nach § 21 Abs. 1 S. 1 WPflG hier erfüllt. Zwar müsse der Kläger nach Art. 5 Abs. 1 MSÜ seine Wehrpflicht nur in einem Staat erfüllen und er habe gem. Art. 6 Abs. 2 MSÜ für die Ableistung seines Wehrdienstes in Frankreich optiert, doch könne er dies der Einberufung nicht gem. Art. 6 Abs. 3 MSÜ entgegenhalten, da hiernach das Heranziehen zum Wehrdienst in einem anderen Vertragsstaat nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Wehrpflichtige seine Wehrpflicht bereits erfüllt habe, was hier aber nicht der Fall sei. Der Kläger habe zum Einberufungszeitpunkt auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Art. 6 Abs. 1 MSÜ in der Bundesrepublik gehabt. Das MSÜ unterscheide zwischen dem dauerndem Aufenthalt von grundsätzlich unbeschränkter Dauer und dem gewöhnlichem Aufenthalt, an dem ein Wehrpflichtiger sich tatsächlich nicht nur vorübergehend aufhalte. Der Gesetzgeber habe damit bewußt einen anderen Begriff gewählt als im WPflG, so daß der Kläger seinen ständigen Aufenthalt i.S.d. § 1 Abs. 2 WPflG im Ausland haben könne, während er zugleich seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach dem MSÜ im Inland habe und folglich hier zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet sei.

      



      41 Übereinkommen über die Verringerung von Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963, BGBl. 1969 II 1953.
      42 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969, BGBl. 1985 II 926.
      43 Übereinkommen über die Verringerung von Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963, BGBl. 1969 II 1953.