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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


VI. Fremdenrecht

Allgemeine Fragen der Einreise und des Aufenthalts

       13. Das BayObLG betonte in einem Beschluß vom 18.06.1999 (4 St RR 51/99 - StV 2000, 368 f.), daß der Begriff des Vertragsstaats des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)22 nur solche Staaten erfaßt, in denen das Abkommen bereits in Kraft getreten ist. Das Fehlen der Bekanntmachung des Inkrafttretens des Beitritts eines Landes zum SDÜ im deutschen Bundesgesetzblatt sei für die Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht ohne Belang und stelle keinen Verstoß gegen die nulla poena sine lege Regel dar. Art. 82 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz verlange bei Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen lediglich die Angabe des Inkrafttretens mit einer hinreichenden Bestimmtheit. Zu befinden hatte das Gericht über zwei Einschleusungsfälle, die einerseits die Einschleusung rumänischer Staatsbürger aus Tschechien über Österreich nach Italien im November 1997, zum anderen die Einschleusung rumänischer Staatsbürger im Dezember 1997 aus Tschechien nach Österreich betrafen. Das Gericht führte aus, daß eine Strafbarkeit des Schleusers im ersten Fall schon nach dem insoweit einschlägigen § 92 a Abs. 4 AuslG nicht gegeben ist, weil für Österreich das SDÜ erst am 1.12.1997 in Kraft getreten ist. Für die Weiterschleusung von Österreich nach Italien scheitere die Strafbarkeit an dem in § 92 a Abs. 4 AuslG enthaltenen Erfordernis, daß in Italien dem § 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AuslG entsprechende Vorschriften bestehen müssen. Hingegen ergebe sich die Strafbarkeit des Schleusers im zweiten Fall daraus, daß zum Tatzeitpunkt das SDÜ in Österreich in Kraft getreten sei und auch eine dem § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG entsprechende Strafbestimmung existiere. Eine Verletzung des nulla poena sine lege Grundsatzes folge nicht daraus, daß zur Tatzeit das Inkrafttreten des Beitritts Österreichs zum SDÜ noch nicht im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht worden sei. Es zähle allein, daß die Strafbarkeit der Einschleusung auf einem zur Tatzeit bestehenden Gesetz beruhe, dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall allein davon abhänge, daß das Inkrafttreten des Beitritts Österreichs zum SDÜ mittels einer förmlich gesetzten Rechtsnorm verkündet worden sei. Das hierfür erforderliche Zustimmungsgesetz habe der Deutsche Bundestag am 13.5.1997 beschlossen und am gleichen Tage ausgefertigt sowie im Bundesgesetzblatt verkündet. Zwar habe nach dem auch bei Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen Anwendung findenden Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG jedes Gesetz den Tag seines Inkrafttretens zu bestimmen. Jedoch sei bei einem Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag das Inkrafttreten dieses Vertrages aufschiebend bedingt und hänge davon ab, ob und wann der völkerrechtliche Vertrag selbst verbindlich werde. Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG verlange im übrigen lediglich, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes mit hinreichender Bestimmtheit zu regeln sei. Dem Rechtsstaatsprinzip sei bereits dann Genüge getan, wenn der Rechtsunterworfene verläßlich vom Inhalt einer Rechtsnorm Kenntnis erlangen könne. Hierfür genüge die Kenntnis des Inhalts der völkerrechtlichen Vereinbarung mit Österreich, der erfolgten Zustimmung Deutschlands sowie des Umstandes, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens von der noch ausstehenden Ratifizierung anderer Staaten abhängig sei.

       14. Mit Urteil vom 30.3.1999 entschied das OVG Hamburg (OVG Bf VI 25/96 - InfAuslR 1999, 536 ff.), daß die Vorschriften der UN-Kinderkonvention23 in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich keine Anwendung finden und damit keine ausländerrechtlichen Individualrechte gewähren. Kläger war ein 1983 geborener togoischer Staatsangehöriger, der 1995 über einen bestellten Amtsvormund die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und hilfsweise die Erteilung einer Duldung beantragte. Mit Bescheid vom 21.6.1995 lehnte dies die Beklagte unter Androhung der Abschiebung ab. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Das Gericht erklärte, daß das Ausländerrecht zwar in diesem Fall keine Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gewährt, jedoch nicht die Erteilung einer solchen Befugnis aufgrund anderer Rechtsgrundlagen sperrt. Allerdings ergebe sich aus dem Grundgesetz und namentlich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG kein unmittelbarer Grundsatz des Inhalts, daß im Rahmen ausländerrechtlicher Entscheidungen über den Aufenthalt eines unbegleiteten Minderjährigen die Frage des Kindeswohls in der Weise zu berücksichtigen sei, daß eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen sei. Auch die UN-Kinderkonvention schaffe keine Rechtsansprüche, da sie in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich keine Anwendung finde und keine ausländerrechtlichen Individualrechte gewähre. Dies folge aus Nrn. I und IV der von der Bundesrepublik Deutschland bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgegebenen Erklärung24, nach der das Übereinkommen lediglich völkerrechtliche Staatenverpflichtungen begründe und nichts in dem Übereinkommen dahin ausgelegt werden könne, daß die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt sei. Diese Erklärung sei ein rechtlich relevanter und zulässiger Vorbehalt i.S.d. Art. 51 der UN-Kinderkonvention. Nach der maßgeblichen Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 1 lit. d des Wiener Übereinkommens vom 23.5.1969 über das Recht der Verträge25 bedeute "Vorbehalt" eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrages oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag einseitig abgegebene Erklärung, durch die der Staat bezwecke, die Rechtswirkungen einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern. Verstoßen werde dabei nicht gegen Art. 51 Abs. 2 UN-Kinderkonvention, da der Vorbehalt nur einzelne Bestimmungen des Abkommens betreffe und deshalb mit Sinn und Zweck des Abkommens nicht unvereinbar sei. Auch die Regelungen des Minderjährigenschutzabkommens seien nicht einschlägig, da sie sich lediglich auf den zivilrechtlichen Schutz von Minderjährigen und nicht auf Maßnahmen nach dem Ausländergesetz bezögen. Die nach der Kollisionsregel des Art. 1 dieses Abkommens zuständigen Behörden hätten darüber hinaus nach Art. 2 ohnehin das innerstaatliche Recht und damit auch das Ausländerrecht anzuwenden. Auch aus Art. 8 EMRK sei nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht die Verpflichtung zu entnehmen, die Wahl des Wohnsitzes zu achten und dem Ausländer Einreise und Aufenthalt zu ermöglichen.26 Aus § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 oder 8 EMRK folge die Unzulässigkeit der Abschiebung schon deshalb nicht, weil eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers auch dann nicht vorliege, wenn er in Togo auf sich allein gestellt sei. Art. 8 EMRK könne schon deshalb nicht betroffen sein, weil § 53 Abs. 4 AuslG lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse erfasse und der Vollzug der Abschiebung als Eingriff in das Privatleben des Klägers allenfalls die Verletzung eines geschützten Rechts in der Bundesrepublik Deutschland darstellen könne.

       15. In seinem Urteil vom 2.8.1999 stellt der hessische VGH (12 UE 1471/99 - GewArch 2000, 21 ff.) klar, daß die Rückbeförderungspflicht eines Beförderungsunternehmers betreffend eines von ihm beförderten und an der Grenze zurückgewiesenen Ausländers nicht von einem Verschulden abhängt. Die Klagebefugnis eines ausländisches Luftverkehrsunternehmens ergebe sich jedenfalls aufgrund eines möglichen Eingriffs in die ihm durch die Betriebsgenehmigung i.V.m. einem zweiseitigen Luftverkehrsabkommen gewährte, öffentlich-rechtliche Rechtsposition. Streitgegenstand waren dem Kläger, einem in Bahrain ansässigen Luftverkehrsunternehmen, auferlegte Personalkosten für die amtliche Begleitung zweier von ihm beförderter Ausländer auf den Fahrten zwischen Flughafen und Polizeigewahrsam. Das Gericht führte aus, daß die Klagebefugnis des ausländischen Luftverkehrsunternehmens sich aus der nach den §§ 20, 21 a S. 1 Luftverkehrsgesetz27 verliehenen Betriebsgenehmigung i.V.m. den Bestimmungen des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7.12.194428 - ICAO - und des zu ihren Gunsten anwendbaren, am 5.11.1993 in Kraft getretenen deutsch-bahrainischen Luftverkehrsabkommen vom 18.06.199129 ableiten läßt. Auch wenn in diesem Abkommen überwiegend Rechte der Vertragsparteien, also der Bundesrepublik Deutschland und des Staates Bahrain, vereinbart worden seien, ergäben sich doch aus den einzelnen Vertragsbestimmungen subjektive Rechtspositionen der Klägerin. Auch sprächen gewichtige Gründe dafür, daß die Klägerin als ausländische juristische Person jedenfalls in begrenztem Umfang am Schutz der Grundrechte teilhaben könne. Aus einem Umkehrschluß zu Art. 19 Abs. 3 GG folge nicht zwingend, daß Grundrechtsschutz nur inländischen juristischen Personen zu gewähren sei. Zu berücksichtigen sei nunmehr, daß aufgrund zahlreicher Abkommen mit ausländischen Staaten ausländischen natürlichen und juristischen Personen in weitem Umfang die Inanspruchnahme subjektiver Freiheitsrechte und wirtschaftlicher Betätigungsrechte gewährt worden sei. Das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gewinne so für ausländische juristische Personen eine ähnliche Geltung wie das Deutschengrundrecht des Art. 12 GG für Deutsche. In materieller Hinsicht hafte die Klägerin gemäß §§ 82 Abs. 3 S. 1, 83 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 AuslG für die Kosten der Rückbeförderung. Die Rückbeförderungspflicht sei Teil der auf europäischer Ebene verabredeten Maßnahmen zur Verhinderung illegaler Einwanderung und als solche sowohl mit Art. 33 der Genfer Konvention30 wie auch mit sonstigem Völkerrecht vereinbar.

       16. Ebenfalls zur Rückbeförderungspflicht des Luftfahrtunternehmers äußerte sich das BVerwG mit Urteil vom 23.11.1999 (1 C 12.98 - GewArch 2000, 324 f.). Das Gericht entschied, daß die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmers, an der Grenze zurückgewiesene Fluggäste zurückzubefördern, seine Betriebsrechte nicht berührt. Diese würden auch nicht durch das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention erweitert. Die Präambel des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Republik Algerien über den Luftverkehr vom 6.5.197631 bestimme, daß beide Vertragsparteien von den Grundsätzen und Bestimmungen des am 7.12.1944 in Chicago unterzeichneten Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt ausgingen32. Dieses Abkommen sehe in Art. 13 vor, daß die Gesetze eines Vertragsstaates u.a. über den Ein- und Ausflug von Fluggästen zu befolgen seien. Nach Standard 3.36 des Anhangs 9 zu diesem Abkommen stelle jeder Vertragsstaat sicher, daß eine Person, die nicht einreisen dürfe, in die Aufsicht des Beförderers zurücküberstellt werde. Die Betriebsrechte der Klägerin seien somit von vornherein durch die deutschen Einreise- und Beförderungsbestimmungen inhaltlich beschränkt. Das Grundrecht auf Asyl erweitere diese Betriebsrechte nicht, zumal die hier fraglichen Regelungen auch erst griffen, nachdem der Ausländer Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen. Eine Einreiseverweigerung könne nach § 18 a Abs. 4 S. 7 AsylVfG vor Abschluß des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht vollzogen werden.




      22 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.6.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6.1990, BGBl. 1993 II 1013.

      23 Konvention über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989, in Kraft getreten am 9.2.1990. Für Deutschland in Kraft getreten durch Gesetz vom 17.2.1992, BGBl. 1992 II 121.

      24 BGBl. 1992 II 990.

      25 Gesetz vom 3.8.1985, BGBl. II 926.

      26 Urteil vom 9.12.1997 - 1 C 12.96, BverwGE, Bd. 106, 13.

      27 Luftverkehrsgesetz vom 1.8.1922, RGBl. I 681; zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.08.1998, BGBl. I 2431 - LuftVG.

      28 Gesetz vom 7.4.1956, BGBl. II, 411.

      29 Gesetz vom 27.04.1993, BGBl. II 818.

      30 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl. 1953 II 559, ergänzt durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967, BGBl. 169 II 1293.

      31 BGBl. II 1979, 353, 896.

      32 BGBl. II 1956, 411, 934.