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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


VII. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

       17. In zwei am gleichen Tage verkündeten Urteilen erklärte das BVerwG, daß das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG unter einem Terrorismusvorbehalt steht. Wegen der Ähnlichkeit der zugrundeliegenden Sachverhalte wird nur eines dieser Urteile in der Argumentation nachgezeichnet. Lediglich einige ergänzende Argumentationsstränge des zweiten Urteils werden skizziert. Im Mittelpunkt der Entscheidung des BVerwG vom 30.3.1999 (9 C 31/98 - NVwZ 1999, 1346 ff.) stand die Frage nach den Voraussetzungen und Wirkungen des in § 51 Abs. 3 AuslG normierten Ausschlusses des Anspruchs auf Abschiebungsschutz für politische Flüchtlinge i.S. des § 51 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 AuslG. Kläger war ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, der im September 1989 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und dort Asyl mit der Begründung beantragte, daß er in seinem Wohnort Sympathisant der TDKP (Türkische Revolutionäre Kommunistische Partei) und seit 1986 aktives Mitglied der GKB (Genc Komünistler Birligi) gewesen sei. Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag abgelehnt hatte, verwies der Kläger in einem hiergegen gerichteten Klageverfahren auf seine auch dem türkischen Geheimdienst bekannte Betätigung für die Arbeiterpartei Kurdistans und ihre Unterorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistan (PKK). Wegen dieser Betätigung habe er sich in Deutschland in einem Prozeß vor dem LG Rotttweil verantworten müssen. Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Das BVerwG führte aus, daß die Bestimmung des § 51 Abs. 3 AuslG nicht nur den Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 i.V.m Abs. 2 S. 2 AuslG ausschließt, sondern zugleich den Asylanspruch nach Art. 16 a GG beschränkt. Dies bedeute, daß der Asylantragsteller, der vor einer bestandskräftigen Anerkennung den Tatbestand des § 51 Abs. 3 AuslG verwirklicht habe, seine Anerkennung als Asylberechtigter nicht mehr verlangen könne. Verfassungsrechtlich sei dieses Ergebnis nicht zu beanstanden, da das Asylgrundrecht hier mit dem Verfassungswert der Sicherheit des Staates als verfaßter Ordnungs- und Friedensmacht kollidiere und auch für die Gewährung des Asylrechts eine Opfergrenze bestehe, die unter Abwägung prinzipiell gleichrangiger Güter und unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen sei. Eine Lösung im Wege praktischer Konkordanz sei hier nicht auf einer Art Mittelweg möglich, da das den abwehrrechtlichen Kern des Asylgrundrechts bildende Abschiebungsverbot seinem Wesen nach nicht teilbar sei. Die Entscheidung des Gesetzgebers für einen präventiven Schutz dokumentiere zudem, daß er eine ausschließlich repressive Reaktion durch den Einsatz strafrechtlicher Mittel für unzureichend gehalten habe. Unter der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sei bei der gebotenen engen Auslegung in Abgrenzung vom polizeirechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit nur die innere und äußere Sicherheit des Staates zu verstehen. Die innere Sicherheit umfasse den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Diese sei auch gefährdet durch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Volksgruppen in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Ausländer selbst könne eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dadurch darstellen, daß er eine Organisation unterstütze, die ihrerseits die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Dies sei v.a. dann der Fall sei, wenn die Organisation aus diesem Grunde nach Vereinsrecht verboten sei. Die Unterstützung müsse jedoch in qualifizierter Weise entweder durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär erfolgen. Das Vorliegen einer solchen Unterstützung sei in einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln und in erster Linie eine Frage der tatrichterlichen Würdigung. In seinem zweiten, ebenfalls am 30.9.1999 verkündeten Urteil (9 C 23/98 - NVwZ 1999, 1349 ff.), dem ein sehr ähnlicher Sachverhalt zugrunde lag, leuchtete das BVerwG den Terrorismusvorbehalt des Asylgrundrechts genauer aus und erklärte, daß sich derjenige nicht auf Art. 16 a GG berufen könne, der den politischen Kampf mit terroristischen Mitteln vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus fortsetze oder erstmals im Rahmen exilpolitischer Aktivitäten aufnehme. Die Betätigung politischer Überzeugungen unter Einsatz terroristischer Mittel werde von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich mißbilligt. Eine solche mit der Kammer-Rechtsprechung des BVerfG33 übereinstimmende Sicht sei auch auf die Fälle anzuwenden, in denen der Asylbewerber erstmals von deutschem Boden aus die Umsetzung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln betreibe. Es werde in diesem Fall nicht der Schutz des Asylrechts in einer neuen Friedensordnung, sondern ein Kampfplatz zur Unterstützung des völkerrechtlich geächteten Terrorismus gesucht.

       18. Die vorstehend skizzierte Argumentation des BVerwG zum Terrorismusvorbehalt bei Art. 16 a GG lehnte der VGH Kassel in seinem Urteil vom 13.12.1999 (12 UE 2984/97.A - NVwZ-Beilage I 9/2000, 103 f.) ab. Der vorbehaltlos formulierte und trotz der Änderung des Art. 16 Abs. 2 GG in Art. 16 a GG so beibehaltene Schutzbereich des Asylgrundrechts sei allenfalls durch andere Grundrechte oder in gleichem Verfassungsrang stehende Rechte als verfassungsimmanente Schranken beschränkbar. Weder aus der Grundrechtsordnung noch aus dem Völkerrecht lasse sich eine Einschränkung dieses Schutzbereiches oder eine Verwirkung dieses Grundrechts für Terroristen ableiten. § 51 Abs. 3 AuslG sei als einfaches Gesetzesrecht, das nicht nur Grundrechtspositionen schütze, nicht zur Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken des Art. 16 a Abs. 1 GG geeignet. Zugrunde lag der Entscheidung wiederum ein den vorstehend besprochenen Fällen des BVerwG im wesentlichen vergleichbarer Sachverhalt. Das Gericht führte im Einzelnen aus, daß durch die Änderungen im Rahmen des Asylkompromisses und die damit direkt in den neuen Art. 16 a GG aufgenommenen Beschränkungen der grundsätzlich vorbehaltlos und unbedingt formulierte Asylanspruch nicht geändert worden ist. Zwar habe der Verfassungsgeber eine engere Auslegung des Schutzbereiches des Art. 16 II S. 2 GG a.F. in Betracht gezogen. Er habe zuletzt jedoch ausdrücklich die vorbehaltlose Regelung im Blick auf völkerrechtliche Regelungen beibehalten. Auf der Ebene des Vertragsvölkerrechts stimme die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention (Genf-Konv.)34 im wesentlichen mit der des Art. 16 a GG überein. Die Einschränkung dieses Begriffs in Art. 1 F Genf-Konv. erfasse nur Kriegsverbrecher und ähnliche Fälle sowie Straftäter ohne politischen Hintergrund, nicht jedoch Terroristen. Der in Art. 33 Abs. 2 Genf-Konv. statuierte Ausschluß des Refoulement-Verbots des Art. 33 Abs. 1 bei Personen, die aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen seien oder die wegen zuvor begangener Verbrechen oder schwerer Vergehen eine Gefahr für die Allgemeinheit des Staates darstellten, gehe in seiner Formulierung deutlich über die Erfassung des Terrorismus hinaus und schließe in ihrer zweiten Alternative auch die rein kriminelle Strafbarkeit ein. Gegen eine Ausdehnung auf den Flüchtlingsstatus und damit auf den Schutzbereich des Art. 16 a GG spräche vor allem, daß die von Art. 33 Abs. 2 Genf-Konv. in den Blick genommenen Ausnahmetatbestände erst nach Aufnahme im fremden Staat entstanden sein könnten und damit - soweit eine Asylgewährung nach Art. 16 a GG erfolgt sei oder begehrt werde - in der Verfassungssystematik als Verwirkungsgründe i.S. des Art. 18 GG zu betrachten seien. Auch sonst enthielten weder das Völkervertragsrecht noch das allgemeine Völkerrecht allgemein verbindliche Regelungen über den Ausschluß von Terroristen von der Asylgewährung. Die vielfach in bilateralen und multilateralen Verträgen über die Auslieferung getroffenen entsprechenden Vereinbarungen formulierten in aller Regel einen Vorbehalt zu Gunsten der Möglichkeit der Asylgewährung trotz geäußerter Auslieferungsbegehren. Auch die unter den Europaratsstaaten geschlossene Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus35 sei nicht geeignet, den Begriff der politischen Verfolgung und damit den Schutzbereich des Asylgrundrechts einzuschränken. Diese sehe vor, daß an die Stelle der Auslieferung die eigene Strafverfolgung des Aufnahmestaates treten könne (Art. 6, 7 der Terrorismuskonvention). Eine Ausnahme vom Vorrang der Auslieferung komme jedoch dann in Betracht, wenn Gründe für die Annahme beständen, daß eine typische Asylsituation vorliege (Art. 5). Damit aber sei die Ausgangssituation wieder hergestellt, nämlich die Feststellung des Tatbestandes der Verfolgung i.S. des Art. 1 A der Genf-Konv. als Rechtfertigung für den an sich völkerrechtsverletzenden Eingriff in die Personalhoheit des die Auslieferung begehrenden Staates. Es sei bisher nicht zu einer völkerrechtlich verbindlichen Ausnahme des Terroristen von der Asylwürdigkeit gekommen, weil in der Völkerrechtsgemeinschaft keine Einigkeit über den Begriff des politischen Delikts bestehe. Das politische Delikt könne gerade umgekehrt zur Asylgewährung auch in Fällen zuvor begangener Gewaltanwendung führen, wie zahlreiche auch neuere Beispiele aus der Staatenpraxis zeigten. Die Europäische Menschenrechtskonvention bestimme etwa aus humanitären Gründen Grenzen für die Auslieferung und die sonstige Verbringung in andere Staaten. Auch enthalte die UN-Konvention gegen Folter ein Verbot der Auslieferung bei drohender Folter, so daß jedenfalls in diesen Fällen eine Aufnahmeverpflichtung des Fluchtstaates auch nach Völkerrecht bestehe. Eine Einschränkung des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts des Art. 16 a GG könne mithin nur im Rahmen der innerstaatlichen Verfassungssystematik in Form kollidierender Grundrechte in Betracht kommen. Allenfalls dem Tatbestandsmerkmal der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland könne ein vergleichbarer Rang eingeräumt werden.




      33 BVerfG, NVwZ 1982, 261.

      34 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl. 1953 II 559, ergänzt durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967, BGBl. 169 II 1293.

      35 Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.1.1977, BGBl. II, 1978, 321-327.