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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

Europäische Menschenrechtskonvention

c) Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK)

       40. Mit Beschluß vom 8.2.1999 (BVerwG 1 B 2.99 - InfAuslR 1999, 330 f.) unterstrich das BVerwG, daß ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis auf der Grundlage der EMRK nicht stets schon dann vorliegt, wenn dem abzuschiebenden Ausländer in seinem Heimatland nicht alle Rechte der Konvention gewährleistet sind. Die Bundesrepublik Deutschland sei nicht aufgrund des Art. 8 EMRK ohne weiteres verpflichtet, ausländischen Ehegatten verschiedener Staatsangehörigkeit, von denen keiner ein Bleiberecht in Deutschland habe und die beide ausreisepflichtig seien, die Führung der Ehe in Deutschland zu ermöglichen. Zwar möge es einem gemeinsamen europäischen Menschenrechtsstandard entsprechen, daß die Staaten den eigenen Angehörigen das Zusammenleben mit einem ausländischen Ehepartner in ihrem Staatsgebiet grundsätzlich ermöglichen, wenn nicht ausnahmsweise schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegen den Aufenthalt des Ausländers sprächen. Sollte dies von Art. 8 EMRK gedeckt sein, so sei im zugrundeliegenden Fall Kroatien als Heimatstaat der Klägerin hieran gebunden, da es mit Wirkung vom 5.11.1997 der Konvention beigetreten sei.69 Es sei dann aber in erster Linie Sache der Klägerin und ihres Ehemannes, etwaige Ansprüche insoweit gegebenenfalls auf dem Rechtsweg in Kroatien durchzusetzen, selbst wenn damit eine zeitweise Trennung der Ehegatten verbunden sein sollte.

       41. Das OVG Bremen befand mit Urteil vom 18.5.1999 (1 A 33/99.A - NVwZ-Beilage I 10/1999, 101 f.), daß nicht jede Unterschreitung des von der EMRK für die Vertragsstaaten gewährleisteten Schutzstandards im Heimatstaat eines Ausländers ein konventionsrechtliches Abschiebungsverbot begründet. Ein solches Verbot bestehe nur dann, wenn dem Ausländer im Heimatstaat eine besonders krasse Verletzung eines fundamentalen Menschenrechts drohe, die der Verletzung des von Art. 3 EMRK geschützten Menschenwürdekerns vergleichbar sei. § 53 IV AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK stehe der Abschiebung eines Homosexuellen nach Äthiopien nicht entgegen. Der Kläger suchte im zugrundeliegenden Fall die Anerkennung als Asylberechtigter mit dem Argument zu erreichen, daß er homosexuell und als Transvestit in Erscheinung getreten sei, so daß er bei seiner Rückkehr nach Äthiopien mit Bestrafung und menschenverachtender Behandlung durch Vollzugsbeamte sowie mit der Ablehnung durch seine Familie zu rechnen habe. Seine Klage wurde auch in der Berufungsinstanz zurückgewiesen. Das OVG erkannte, daß der durch Art. 8 I EMRK gewährte Anspruch auf Achtung des Privatlebens zwar auch das Recht umfaßt, in seinem privaten Sexualverhalten respektiert zu werden und ungestört zu bleiben, was das Recht auf nicht öffentlich in Erscheinung tretende einverständliche homosexuelle Betätigung unter Erwachsenen einschließt.70. Allerdings schütze diese Vorschrift nicht gegen Beeinträchtigungen des Privatlebens, die nicht unmittelbar durch die Abschiebung selbst eintreten, sondern erst als Folge der Abschiebung außerhalb der Herrschaftsgewalt des abschiebenden Staates im Heimatland von den dortigen Behörden bewirkt würden. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK, nach der auch solche Handlungen verboten seien, die - wie die Abschiebung - zur direkten Folge hätten, daß die betreffende Person im Zielstaat der Abschiebung verbotenen Mißhandlungen ausgesetzt würde71, könne nicht ohne weiteres auf die anderen Verbürgungen der EMRK übertragen werden. Die schrankenlose Gewährleistung des Art. 3 EMRK verbiete besonders schwere Menschenrechtsverletzungen, die die körperliche und seelische Unversehrtheit des Individuums als Grundlage seiner Existenz beträfen. Würde Drittstaatsangehörigen ein Recht auf umfassenden Schutz vor Abschiebung in Staaten zugebilligt, in denen der Menschenrechtsstandard der EMRK nicht gewährleistet sei, so würde die Reichweite der EMRK aufenthaltsrechtlich nahezu unbegrenzt ausgeweitet. Aus den übrigen Verbürgungen der EMRK lasse sich eine Schutzpflicht gegenüber den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen deshalb nur insoweit ableiten, als auch hier eine besonders krasse Verletzung eines fundamentalen Menschenrechts drohen müsse, die der Verletzung des von Art. 3 EMRK geschützten Menschenwürdekerns vergleichbar sei. Dies sei bei einer Verletzung des unter einem Schrankenvorbehalt stehenden Art. 8 EMRK nicht der Fall. Würde man den in der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK definierten Maßstab auf die Verhältnisse in Äthiopien anlegen, so verstoße eine Bestrafung wegen homosexueller Handlungen nicht gegen Art. 8 EMRK. Der EGMR habe nämlich grundsätzlich anerkannt, daß gewisse Regelungen des homosexuellen männlichen Verhaltens i.S. des Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Moral notwendig sein könnten. Ob dies in einem Vertragsstaat der EMRK tatsächlich notwendig sei, hänge davon ab, ob aufgrund der in dem betreffenden Land herrschenden Moralvorstellungen ein dringendes öffentliches Bedürfnis bestehe. Die Einschätzung eines solchen Bedürfnisses sei Sache der nationalen Behörden. Die in einem Land herrschenden moralischen Vorstellungen dürften auch dann berücksichtigt werden, wenn sie nicht mehr mit der Haltung in anderen Gesellschaften übereinstimmten.




      69 Bekanntmachung vom 30.3.1998, BGBl. 1998 II 898.

      70 EGMR, NJW 1984, 541, 542.

      71 EGMR, NJW 1991, 3079 - Cruz Varas.