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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


XII. Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen

       58. Das VG München erkannte in seinem Urteil vom 8. Juli 1999 (M 29 K 97.8476 - GRUR 2000, 77 f.), daß der Widerruf eines europäischen Patents mit Wirkung für Deutschland durch eine Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts als Organ der Europäischen Patentorganisation ein Hoheitsakt einer zwischenstaatlichen Einrichtung und kein Akt der Ausübung deutscher öffentlicher Gewalt ist, so daß der Rechtsweg zu den deutschen Gerichten nicht eröffnet ist. Die deutsche Gerichtsbarkeit erstrecke sich gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 20 Abs. 2 GVG nicht auf Personen, die nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund Völkerrechtsvereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit seien. Die Befreiung von der nationalen Gerichtsbarkeit folge aus Art. 8 des Europäischen Patentübereinkommens102 (EPÜ) i.V.m. Art. 3 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation.103 Gemäß Art. 3 Abs. 1 und 4 dieses Protokolls erstrecke sich die Immunität der Europäischen Patentorganisation auf den Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit. Darunter seien alle Tätigkeiten zu verstehen, die für ihre im Übereinkommen selbst vorgesehene Verwaltungsarbeit und technische Arbeit unbedingt erforderlich seien. Der Europäischen Patentorganisation, die nach Art. 5 EPÜ den Status einer eigenen Rechtspersönlichkeit besitze, seien durch völkerrechtlichen Akt unmittelbar Hoheitsrechte in bezug auf die Erteilung wie auch den Widerruf von Europäischen Patenten eingeräumt worden (Art. 1, 2, 4, 102 EPÜ). Handele im Fall des Widerrufs eines Europäischen Patents die Beschwerdekammer nach Art. 102, 106, 111 EPÜ als Untereinheit des Europäischen Patentamtes, so gehe es jedenfalls nicht um einen Akt der Ausübung deutscher öffentlicher Staatsgewalt. Es liefe dem Sinn und Zweck der Ermächtigung des Art. 24 GG entgegen, wenn eine internationale Organisation im Kernbereich ihrer Autonomie divergierender Rechtsprechung nationaler Gerichte unterläge. Unterschreite der Rechtsschutz im Rahmen der zwischenstaatlichen Einrichtung den rechtsstaatlich unverzichtbaren Grundstandard, so sei durch die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland Art. 24 Abs. 1 GG und nicht Art. 19 verletzt. Eine Parallele zur "Maastricht-Entscheidung" des BVerfG vom 12.10.1993104 gebe es nicht, da es dort um die Ausübung von Hoheitsgewalt einer supranationalen Organisation im Bereich der Gewährleistung von Grundrechten der rechtsunterworfenen Bürger gehe, während sich hier der Kläger durch die Patentanmeldung freiwillig in Rechtsbeziehungen zur Beklagten begeben habe. Im übrigen bestünden keine Zweifel, daß das in den Art. 106 und 113 ff. EPÜ i.V.m. der Ausführungsverordnung über die Erteilung Europäischer Patente105 beschriebene Rechtsschutzsystem dem Mindeststandard des Art. 19 Abs. 4 GG genüge. Dies gelte gerade mit Blick auf die durch Art. 23 und 24 EPÜ gewährleistete Unabhängigkeit der Mitglieder der Beschwerdekammer.




      102 Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5.10.1973, BGBl. 1976 II 826 ff.

      103 BGBl. 1976 II 985 ff.

      104 BVerfG NJW 1993, 3047.

      105 BGBl. 1976 II 915 ff.