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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


XIII. Europäisches Gemeinschaftsrecht

4. Freier Warenverkehr

       67. In einem Beschluß vom 23.3.1999 (10 S 3242/98 - NVwZ-RR 1999, 733 ff.) erklärte der VGH Mannheim, daß die Verbringung von Abfällen in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, die als Abfälle zur Verwertung notifiziert werden - anders als Abfälle zur Beseitigung - keiner Erlaubnis durch die am Notifizierungsverfahren beteiligten Behörden bedarf. Die Erhebung von Einwänden nach Art. 7 VO (EWG) 259/93121 - Abfallverbringungsverordnung - durch die Behörde am Versandort sei deshalb nur als eine die notifizierende Person belastende Maßnahme und nicht zugleich als die Versagung einer Begünstigung anzusehen. Das Notifizierungsverfahren sei trotz gewisser Parallelen unterschiedlich geregelt, je nachdem, ob es um die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten oder von zur Verwertung bestimmten Abfällen gehe. In den Erwägungsgründen werde die Notwendigkeit der Anwendung unterschiedlicher Verfahren in Abhängigkeit von der Art des Abfalles und des Bestimmungsortes betont. Die Behördenbeteiligung sei unterschiedlich geregelt: Für Abfälle zur Beseitigung ergebe sich eine Genehmigungspflicht durch die Behörde am Bestimmungsort (Art. 4 II lit. a S. 1, V und 5 I VO (EWG) 259/93), während für Abfälle zur Verwertung eine solche Genehmigung überhaupt nicht - auch nicht durch die Behörde am Bestimmungsort - vorgesehen sei. Vielmehr könnten nach Art. 7 II 1 VO (EWG) 259/93 lediglich Einwände gegen das Verbringen erhoben werden. Nach Art. 7 VI der VO, wonach im Falle einer vorangegangenen schriftlichen Zustimmung die zuständige Behörde ihre Genehmigung durch einen Stempel auf dem Begleitschein erteilen könne, gelte nichts anderes. Der Begriff der Genehmigung sei - wie die englische und französische Sprachfassung nahelege - in diesem Fall ein Synonym für den Begriff der Zustimmung. Diese Rechtsauffassung werde bestätigt durch die Rechtsprechung des EuGH. Dieser habe mit Urteil vom 28.6.1994122 erklärt, daß bei den zur Verwertung bestimmten Abfällen der Versand-, der Empfänger- und der Durchfuhrmitgliedstaat Einwände gegen eine Verbringung erheben könnten, obwohl keine ausdrückliche Genehmigung erforderlich sei.123 Auch die primärrechtlichen Ziele des EG-Vertrages stritten gegen das Bestehen eines Erlaubnisvorbehalts. Die vom EuGH unbeanstandet gelassene Stützung der Abfallverbringungsverordnung auf das Umweltregime des Art. 130 r EGV schließe es nicht aus, daß Abfälle - wie der EuGH mit Urteil vom 9.7.1992 erkannt habe -124, auch der Warenverkehrsfreiheit unterfielen. Gerade bei Abfällen zur Verwertung komme der Warenverkehrsfreiheit - anders als bei Abfällen zur Beseitigung - ein besonderes Gewicht zu.

       68. Am 14.12.1999 entschied der BGH (X ZR 61/98 - GRUR Int. 2000, 635 ff.), daß die Erschöpfung der Rechte aus einem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Patent grundsätzlich auch dann eintritt, wenn das geschützte Erzeugnis durch den Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung in Deutschland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder einem dem europäischen Wirtschaftsraum angehörigen Staat in den Verkehr gebracht worden ist. Die Erschöpfung stelle eine Ausnahme gegenüber den Ausschließlichkeitsrechten des Patentinhabers dar, für deren Voraussetzungen grundsätzlich derjenige darlegungs- und beweispflichtig sei, der sich auf die Erschöpfung berufe. Auch die Bestimmungen des EGV führten regelmäßig zu keiner anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Als Sachverhalt lag der Entscheidung eine Klage eines in Großbritannien ansässigen Unternehmens wegen einer Patentverletzung zugrunde. Die Revision gegen die der Klage stattgebenden vorinstanzlichen Urteile blieb erfolglos. Der BGH führte aus, daß eine Erschöpfung der Rechte aus einem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Patent jedenfalls dann eintritt, wenn das geschützte Erzeugnis durch den Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung in Deutschland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder einem dem Europäischen Wirtschaftsraum angehörigen Staat in den Verkehr gebracht worden ist. Da das Patent seinem Inhaber als Belohnung für die Bekanntgabe der Erfindung ein (zeitlich befristetes) Ausschließlichkeitsrecht gewähre, müsse diesem auch die Entscheidung darüber verbleiben, ob und in welchem Umfang von dem Patentrecht Gebrauch gemacht werden könne. Nach Ausübung des Rechts bestehe jedoch kein Grund mehr, ihm darüber hinaus weitere Einwirkungsmöglichkeiten auf das Schicksal des geschützten Gegenstandes zu geben. Beim Inverkehrbringen in einem Land der EG folge das gleiche Ergebnis aus Art. 28 des EGV (vormals Art. 30 EGV). Das hiernach grundsätzlich bestehende Verbot aller mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen sowie aller Maßnahmen mit gleicher Wirkung sei auch nicht durch Art. 30 EGV (vormals Art. 36 EGV) für solche Einfuhrverbote und Beschränkungen außer Kraft gesetzt, die zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt seien. Die Rechtsprechung des EuGH verlange, daß solche Verbote den spezifischen Gegenstand des Eigentums betreffen müßten, der bei Patentrechten darin liege, daß der Inhaber die Erfindung entweder selbst oder im Wege der Lizenzvergabe an Dritte verwerten und sich gegen jede Zuwiderhandlung zur Wehr setzen könne. Nicht betroffen sei dieser spezifische Gegenstand dann, wenn das erfindungsgemäße Erzeugnis in dem Mitgliedstaat, aus dem es eingeführt wird, durch den Inhaber selbst oder mit dessen Zustimmung auf den Markt gebracht worden sei. Ansonsten würde dem Patentinhaber die Möglichkeit zur Abriegelung der nationalen Märkte eröffnet, ohne daß eine derartige Beschränkung notwendig sei, um ihm die aus den Parallelpatenten fließenden Ausschließlichkeitsrechte zu erhalten. Die gleichen Grundsätze gälten für den Europäischen Wirtschaftsraum (vgl. Art. 2 Protokoll 28 über geistiges Eigentum zum EWR-Abkommen).125 Keine Erschöpfung träte ein, wenn das Inverkehrbringen außerhalb des Gebiets der Europäischen Union stattfinde (Grundsatz der nationalen Erschöpfung). Jüngere, dem Grundsatz der internationalen Erschöpfung folgende Entscheidungen aus Japan und der Schweiz gäben keinen Anlaß, diese schon vom Reichsgericht vertretene Rechtsprechung zu ändern. Weder dem Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS)126, noch der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.3.1883 (PVÜ)127 könne ein solcher Inhalt entnommen werden. Art. 6 TRIPS werde entweder mit der h.M. so verstanden, daß die materiell-rechtliche Regelung der Erschöpfung von Rechten des geistigen Eigentums den einzelnen Vertragsstaaten überlassen bleibe, oder es solle nach anderer Ansicht alleine der Grundsatz der nationalen Erschöpfung mit Art. 6 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 TRIPS vereinbar sein. Gleiches gelte für Art. 4 Abs. 1 und 2 PVÜ. Hinzu komme, daß der bislang von der deutschen Rechtsprechung im Warenzeichenrecht vertretene Grundsatz der internationalen Erschöpfung mit Inkrafttreten des Gesetzes über den Schutz der Marken vom 25.10.1994 aufgegeben worden sei und nunmehr in Umsetzung von Artikel 7 der Markenrechtsrichtlinie128 durch § 24 Abs. 1 MarkenG eine EU-weite Erschöpfung vorgesehen sei. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Erschöpfung trage grundsätzlich derjenige, der sich auf die Erschöpfung beruft, da diese eine Ausnahme gegenüber den Ausschließlichkeitsrechten des Patentinhabers darstelle. Durch die nach Art. 28 EGV geschützte Warenverkehrsfreiheit ergebe sich regelmäßig keine andere Verteilung der Beweislast. Eine Beweislastumkehr könne nur dann in Betracht kommen, wenn die Offenlegung der Bezugsquelle durch den als Verletzer in Anspruch genommenen Benutzer den Patentinhaber in die Lage versetzen würde, diese Bezugsquelle zu verschließen und damit die nationalen Märkte in der Gemeinschaft abzuschotten.

       69. In einem Fall, in dem die Frage zu klären war, ob der beklagte Freistaat Bayern berechtigt war, eine Fertigpackung eines von der Klägerin vertriebenen Kosmetikproduktes nach § 7 Abs. 2 EichG zu beanstanden, erkannte das VG München mit Urteil vom 19.01.1999 (M 16 K 97.8454 - GewArch 1999, 345 ff.), daß es offenbleiben kann, ob § 7 Abs. 2 EichG auf Kosmetika angesichts des abschließenden Charakters der Richtlinie 76/768/EWG129 überhaupt anwendbar ist. Eine Beanstandung der Verpackung sei jedenfalls deshalb auszuschließen, weil bei der notwendigen europarechtskonformen Auslegung von § 7 Abs. 2 EichG ein Verbot nicht durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sei. Bereits die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 2 EichG auf Kosmetika sei fraglich, weil das Recht der kosmetischen Mittel einschließlich der Verpackung durch die Richtlinie 76/768/EWG harmonisiert worden sei. Bei Unterstellung der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 2 EichG habe eine die Art. 30 ff. EGV berücksichtigende europarechtskonforme Auslegung dieser Vorschrift zur Folge, daß nur zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes ein Verpackungsverbot rechtfertigen könnten. Das Verbot, eine in Belgien bzw. Großbritannien hergestellte und dort sowie in den anderen EU-Mitgliedstaaten in einer bestimmten Verpackung unbeanstandet auf den Markt gebrachten Hautcreme auch in Deutschland in gleicher äußerer Gestalt an den Endverbraucher zu verkaufen, zeitige im Sinne von Art. 30 EGV die gleiche Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung. Zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes seien nicht erkennbar. Bei der für die Ermittlung einer möglichen Irreführung notwendigen Bestimmung der Verbrauchererwartung sei nach der Rechtsprechung des EuGH - anders als bei dem nach § 3 UWG zum Teil für maßgeblich gehaltenen Eindruck des flüchtigen Durchschnittsverbrauchers - von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher auszugehen und zu fragen, welche Schlüsse er aus der Präsentation der Waren voraussichtlich ziehen werde.130 Gerade im Kosmetikbereich, in dem als Erwerber der Produkte ohnehin nur ein kleiner Personenkreis mit gesteigerter Kaufkraft und Interesse an einer aufwendigen Verpackung der Produkte in Betracht komme, sei eine solche Irreführung des Verbrauchers zu verneinen.

       Zur Maßgeblichkeit des europäischen Verbraucherleitbildes hinsichtlich der Frage der Irreführung des Verkehrs durch Werbung für Lebensmittel gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 5 b LMBG siehe auch OLG Nürnberg, Urteil vom 28.12.1999 (3 U 2355/99 - RIW 2000, 227 f.).




      121 Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1.2.1993 zur Überwachung der Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft, ABlEG Nr. L 30 vom 6.2.1993, 1-28.

      122 Slg. 1994, I-2874, 2877.

      123 EuGH, Slg. 1994, I-2859, 2863.

      124 Slg. 1992, I-4431.

      125 BGBl. 1993 II 414.

      126 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15.4.1994 (TRIPS-Übereinkommen: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), BGBl. 1994 II 1730.

      127 Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.3.1883, RGBl. 1903, 147, zuletzt revidiert durch die Stockholmer Fassung vom 14.7.1967, BGBl. 1970 II, 293, 391.

      128 Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABlEG Nr. L 40 vom 11.2.1989, 1-7.

      129 Richtlinie 76/768 des Rates vom 27.7.1976 zur Angleichung des Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, ABlEG Nr. L 262 vom 27.9.1976, 169-200.

      130 EuGH, Urteil vom 16.7.1998, NJW 1998, 3183, 3185.