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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


XIII. Europäisches Gemeinschaftsrecht

8. Umweltpolitik

       83. Der Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt kann nach dem Urteil des BVerwG vom 25.3.1999 (7 C 21.98 - GewArch 1999, 378 ff.) auch dem Ortsverband einer politischen Partei zustehen. Die Klägerin begehrte als Ortsverband einer politischen Partei Einsicht in die Unterlagen betreffend die Gewährung einer nicht rückzahlbaren Zuwendung nach Förderrichtlinien des Landes Niedersachsens. Die Zuwendungen wurden an die Betreiberin einer nach dem BImSchG genehmigten Anlage zur Verbrennung von halogenhaltigen organischen Produktionsabfällen (Reststoffverwertungsanlage) geleistet. Die Revision gegen die klageabweisenden erstinstanzlichen Urteile war erfolgreich. Das BVerwG erkannte, daß das auf § 4 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG)147 gestützte Klagebegehren ausreichend bestimmt i.S. des § 5 Abs.1 UIG gewesen ist. Da der Kläger den Förderungsvorgang im Einzelnen nicht kenne, sei ihm eine weitere Konkretisierung seines Antrages weder möglich noch zumutbar gewesen. Der Antrag habe auch nicht als rechtsmißbräuchlich mit dem Argument abgelehnt werden dürfen, daß der Kläger aus dem öffentlich durchgeführten Verfahren über die Genehmigung der Anlage die technische Konzeption der Anlage sowie die von ihr ausgehenden Umweltbelastungen kenne. Der Gegenstand des Genehmigungsverfahrens stimme nicht mit dem des Förderungsverfahrens überein. Die Klägerin könne auch als Ortsverband einer politischen Partei den Informationsanspruch geltend machen. Die Umschreibung des Informationsberechtigten mit jedem in § 4 Abs. 1 UIG spreche bereits für dieses Ergebnis. Sinn und Zweck der bei der Auslegung zu berücksichtigenden Umweltinformationsrichtlinie148 erforderten ebenfalls ein weites Verständnis der Anspruchsberechtigten. Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie spreche zwar nur von der Verpflichtung der Behörden, allen natürlichen oder juristischen Personen auf Antrag ohne Nachweis eines Interesses Informationen über die Umwelt zur Verfügung zu stellen. Aus der ausdrücklichen Erwähnung der juristischen und natürlichen Personen lasse sich jedoch nicht herleiten, daß der Kreis der Informationsberechtigten auf diese Rechtssubjekte begrenzt sei. Auch nicht rechtsfähige Personenvereinigungen kämen als Anspruchsinhaber in Betracht, sofern sie organisatorisch hinreichend verfestigt seien. Die Zielsetzung dieser Richtlinie, durch eine Verbesserung des Zugangs zu Informationen über die Umwelt eine bessere Anwendung der Umweltschutzvorschriften und eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen, gebiete es, auch politischen Parteien mit einzubeziehen. Dies gelte namentlich wegen des Charakters der Parteien als verfassungsrechtlich privilegierte Zusammenschlüsse von Bürgern, die bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgten (Art. 21 GG sowie § 1 PartG). Dies gelte auch für örtliche Untergliederungen der Parteien mit ihren spezifisch örtlichen Informationsbedürfnissen. Erforderlich und ausreichend für das Vorliegen einer Behörde i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 UIG sei ein auf Rechtsvorschriften oder der Anordnung einer vorgesetzten Stelle beruhender umweltbezogener Handlungsauftrag. Die Förderung des Vorhabens der Beigeladenen gehöre auch zu den vom freien Informationszugang erfaßten Tätigkeiten oder Maßnahmen zum Schutz der Umwelt i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 3 UIG. Der Sammelbegriff der "Tätigkeiten und Maßnahmen" sei aufgrund des Zwecks des Umweltinformationsgesetzes weit auszulegen. Irrelevant sei - wie die englische und französische Sprachfassung der Umweltinformationsrichtlinie belegten -, ob der Schutz der Umwelt unmittelbar oder nur mittelbar erreicht werde. Die Art und Weise des zu gewährenden Informationszugangs stehe im Ermessen der Behörde, sei jedoch unter Beachtung der von der Umweltinformationsrichtlinie verfolgten Ziele auszuüben. Äußere der Bürger ausdrücklich einen Wunsch hinsichtlich der Modalitäten der Informationsaufnahme, so könne die Behörde den Informationswunsch nur dann auf andere Weise befriedigen, wenn hierfür gewichtige Gründe sprächen.

       84. In einem weiteren Urteil zum Umweltinformationsgesetz (UIG)149 erkannte das BVerwG (Urteil vom 28.10.1999, 7 C 32.98 - GewArch 2000, 165 ff.), daß der Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen während eines Gerichts- oder strafrechtlichen Verfahrens hinsichtlich aller Daten ausgeschlossen ist, die Gegenstand des anhängigen Verfahrens sind. Auf die Frage, ob die Daten der Umweltbehörde aufgrund des Verfahrens zugegangen seien oder dort bereits vor dem Beginn des Verfahrens vorhanden gewesen seien, komme es nicht an. Die Klägerin beantragte als Zeitungsverlag Einsicht in die beim Regierungspräsidium geführten Akten über Abwassereinleitungen eines chemischen Werkes. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, daß gegen mehrere Mitarbeiter des Unternehmens ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gewässerverunreinigung anhängig sei. Die Revision führte zur teilweisen Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen. Das BVerwG erkannte, daß § 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG den durch Art. 4 Abs. 1 UIG gewährten Informationsanspruch während der Dauer eines Gerichtsverfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens hinsichtlich derjenigen Daten ausschließt, die der Behörde aufgrund des Verfahrens zugehen. Die zuletzt genannte Einschränkung beziehe sich lediglich auf die dritte Variante der Vorschrift (verwaltungsbehördliches Verfahren) und nicht auf die beiden vorangegangenen (Gerichtsverfahren oder strafrechtliches Ermittlungsverfahren). Diese sich aus Gesetzessystematik und Sinn der Vorschrift ergebende Auslegung sei mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar, da sie durch Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1, 3. Spiegelstrich der Umweltinformationsrichtlinie150 gedeckt werde. Die Mitgliedstaaten könnten hiernach vorsehen, daß ein Antrag auf Informationszugang abgelehnt wird, wenn er bei Gericht anhängige oder den Gegenstand von Ermittlungsverfahren bildende Sachverhalte berühre. Diesem Ermächtigungszweck entspreche gerade eine Auslegung, die alle zum Verfahren gehörenden Informationen einschließe und nicht nur solche, die der um Auskunft ersuchten Behörde aufgrund des Verfahrens zugegangen seien. Rechnung getragen werde mit diesem Auslegungsergebnis auch dem sich sowohl aus dem siebten Erwägungsgrund der Umweltinformationsrichtlinie wie auch aus nationalem Verfassungsrecht (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Gebot der hinreichenden Bestimmtheit einer Norm.

       85. In seinem Beschluß vom 11.5.1999 erkannte das OVG Münster (20 B 1464/98.AK - NuR 2000, 165 ff.), daß es sich nach den konkreten Umständen beurteilt, ob ein Gebiet eine herausgehobene Bedeutung für den Vogelschutz hat, die es als faktisches Vogelschutzgebiet i.S. der Vogelschutzrichtlinie (VogelschutzRL)151 qualifizieren. Nach vorläufiger Prüfung finde das Schutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL)152 schon unabhängig von der normativen Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht auf faktische Vogelschutzgebiete Anwendung. Die rechtliche Möglichkeit eines potentiellen FFH-Gebietes sei zugrunde zu legen. In diesem Fall ging es um das Begehren vorläufigen Rechtsschutzes einer gemeinnützigen Stiftung gegen einen Planfeststellungsbeschluß, mit dem das Eisenbahn-Bundesamt den Plan für den Bau eines Teilstücks der Anbindung des Flughafens Köln/Bonn im Zusammenhang mit der Eisenbahnneubaustrecke Köln-Rhein-Main festgestellt hat. Sie machte u.a. geltend, daß die Zulassung für das Vorhaben im Gebiet der Wahner Heide nach der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-RL zwingend ausgeschlossen sei. Das Gericht führte aus, daß die Wahner Heide zwar bislang nicht als Schutzgebiet i.S. des Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 4, Abs. 2 der Vogelschutz-RL förmlich unter Schutz gestellt worden ist. Da jedoch die zweijährige Frist zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht (Art. 18 Vogelschutz-RL) bereits abgelaufen sei und das BVerwG im Anschluß an die Rechtsprechung des EuGH die rechtliche Möglichkeit faktischer Vogelschutzgebiete anerkannt habe, spreche auch in diesem Fall vieles für das Bestehen eines faktischen Vogelschutzgebietes. Der den Mitgliedstaaten zustehende Beurteilungsspielraum bei der Gebietsauswahl in Umsetzung der Richtlinie könne so weit reduziert sein, daß eine Ausweisung erfolgen müsse. Die herausgehobene Bedeutung für den Vogelschutz sei nach den jeweiligen konkreten Umständen wertend zu ermitteln. Unterstelle man hier, daß die Maßgaben für faktische Vogelschutzgebiete beachtet werden müssen, so hänge die Frage, welche Maßgaben dies sind davon ab, ob die Schutzanforderungen des Art. 4 Abs. 4 S. 1 Vogelschutz-RL einschlägig sind oder ob diese durch das weniger strenge, weil weitere Ausnahmen zulassende, Schutzregime des Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-RL abgelöst worden seien. Art. 7 FFH-RL knüpfe die Ersetzung der Verpflichtung aus der Vogelschutzrichtlinie durch diejenige der FFH-Richtlinie an das Datum der Unterschutzstellung an und stelle somit auf förmlich unter Schutz gestellte Gebiete ab. Das Schutzregime ändere sich jedoch auch bei faktischen Schutzgebieten. Der Wortlaut des Art. 7 FFH, der auf förmlich ausgewiesene Vogelschutzgebiete abstelle, sei naturgemäß auf den Regelfall der ordnungsgemäßen Umsetzung der einschlägigen Richtlinien zugeschnitten. Nach der Rechtsprechung des EuGH über die unmittelbare Bindungswirkung nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien für staatliche Behörden beständen aufgrund der hinreichenden Bestimmtheit und inhaltlichen Unbedingtheit von Art. 7 FFH-RL keine Bedenken, diese Vorschrift auf ausgewiesene Vogelschutzgebiete anzuwenden. Für faktische Vogelschutzgebiete könne deshalb nichts anderes gelten, weil die Bindungswirkung einer nicht umgesetzten Richtlinie nur dazu diene, den mit der Richtlinie verfolgten Regelungszweck zur Geltung zu bringen, und dies nicht zu weitergehenden Verpflichtungen der staatlichen Verwaltung führen dürfe als im Falle rechtzeitiger Umsetzung. Im übrigen komme das Schutzregime der FFH-RL schon deshalb zum Tragen, weil die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht durch das Änderungsgesetz zum BnatSchG vom 30.4.98 erfolgt (Art. 19 c BNatSchG i.V.m. Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL) und deshalb in der Situation der Anfechtungsklage zu berücksichtigen sei. Unschädlich sei, daß eine Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, an deren Vorhandensein die Schutzregelung des § 19 c BNatSchG i.V.m. Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL anknüpfe, bislang von der Kommission nicht aufgestellt worden sei. Es sei nämlich die rechtliche Möglichkeit eines potentiellen FFH-Gebietes zugrunde zu legen. Hierfür spreche, daß die Auswahl der Schutzgebiete durch die zuständigen staatlichen Behörden gemäß § 19 b BBatSchG i.V.m. Art. 4 Abs. 1, Anhang III Phase 1 FFH-RL und durch die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 2 , Anhang III, Phase 2 FFH-RL fachlichen Kriterien zu folgen habe. Für die Möglichkeit potentieller FFH-Gebiete streite auch die Erwägung des BVerwG153, daß den Mitgliedstaat kraft des gemeinschaftsrechtlichen Gebots der Vertragstreue - zumal im hier einschlägigen Fall nicht rechtzeitiger Umsetzung der Richtlinie - eine Stillhaltepflicht treffe. Es müsse vermieden werden, daß schutzwürdige Gebiete zerstört oder anderweitig beeinträchtigt werden. Ob diese Pflicht jedoch schon dann greife, wenn ein Gebiet als potentielles FFH-Gebiet ernsthaft in Betracht komme, erscheine -insbesondere mit Blick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und gegebenenfalls betroffene Rechtspositionen von Projektträgern- bedenklich. Dies brauche jedoch nicht entschieden zu werden, da selbst bei Anerkennung der rechtlichen Möglichkeit potentieller FFH-Gebiete die Klage der Antragstellerin aller Voraussicht nach nicht erfolgreich sein wird.

       Zur Anwendbarkeit der FFH-Richtlinie auf europäische Vogelschutzgebiete sowie zur Möglichkeit potentieller FFH-Gebiete ist weiter auf den in der Argumentationsführung ähnlichen Beschluß des VG Oldenburg vom 26.10.1999 (1 B 3319/99 - NuR 2000, 398 ff.) zu verweisen.




      147 Umweltinformationsgesetz vom 8.7.1994, BGBl. I 1490.

      148 Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7.6.1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABlEG Nr. L 158 vom 23.6.1990, 56-58.

      149 Umweltinformationsgesetz vom 8.7.1994, BGBl. I 1490.

      150 Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7.6.1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABlEG Nr. L 158 vom 23.6.1990, 56-58.

      151 Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABlEG Nr. L 103 vom 25.4.1979, 1-18.

      152 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABlEG Nr. L 206 vom 22.7.1992, 7-50.

      153 BVerwG, Urteil vom 18.12.1997 - C 129/96.