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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


IV. Wirkungen und Grenzen staatlicher Souveränität

       9. In seinem Urteil vom 30.4.1999 (3 StR 215/98 - BGHSt 45, 65) nahm der BGH aus Anlaß der Verurteilung eines bosnischen Serbens wegen Völkermordes zu der Frage Stellung, ob der Verurteilung des Angeklagten durch die deutsche Strafgerichtsbarkeit kraft des Weltrechtsprinzips des § 6 Nr. 1 StGB bzw. nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB ein völkerrechtliches Verbot entgegensteht. Dies wird verneint: Ein solches Verbot ergebe sich insbesondere nicht aus Art. VI der Völkermordkonvention (Genozid-Konvention)13, der die Aburteilung durch ein Gericht des Tatortstaates oder einen internationalen Gerichtshof vorsehe. Aus der Entstehungsgeschichte wie auch aus der in Art. 1 der Genozid-Konvention übernommenen Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Ächtung und Bestrafung des Völkermordes folge, daß diese Regelung nicht abschließend sei und die Aburteilung durch ein anderes nationales Gericht als das des Tatortes nicht verbiete. Eine effektive Strafverfolgung durch den Tatortstaat sei häufig deshalb nicht zu erwarten, weil besonders schwerwiegende Fälle des Völkermordes durch den Heimatstaat selbst oder wenigstens mit dessen Duldung begangen würden. Zudem habe es an dem in der Genozid-Konvention vorgesehenen internationalen Strafgerichtshof bis zur Errichtung des Jugoslawien-Tribunals im Jahre 1993, des Ruanda-Tribunals im Jahre 1994 und des Ständigen Internationalen Gerichtshofes durch das - noch nicht in Kraft getretene - Römische Statut vom 17.7.199814 gefehlt. Die in Art. 9 Abs. 1 des Statuts des Jugoslawien-Strafgerichtshof vorgesehene konkurrierende Gerichtsbarkeit nationaler Gerichte für die Verfolgung des Völkermordes bestätige diese Auslegung, da die Anklagebehörde beim Tribunal hierunter neben der Gerichtsbarkeit des Tatortstaates auch die jedes anderen Staates verstehe. Auch habe der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag im Rahmen eines von Bosnien-Herzegowina gegen die Bundesrepublik Jugoslawien angestrengten Klageverfahrens am 11.7.1996 in einem Zwischenurteil entschieden, daß die in die Genozid-Konvention aufgenommenen Rechte und Pflichten erga omnes gälten und die Verpflichtung jedes Staates, das Verbrechen des Völkermordes zu verhüten und zu bestrafen, durch die Konvention nicht territorial begrenzt sei.15 Das in der Völkermordkonvention nicht vorgeschriebene Weltrechtsprinzip bedeute daher nur, daß die Vertragsstaaten nicht verpflichtet seien, dieses Prinzip einzuführen. Ihnen sei es jedoch völkerrechtlich nicht verwehrt, bei der Verfolgung des Völkermordes innerstaatlich mehr zu tun als das völkerrechtliche Minimum. Zudem liege wegen des längeren ständigen Aufenthaltes des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland ein Inlandsbezug vor, so daß mit der Strafverfolgung nicht gegen das Nichteinmischungsprinzip verstoßen werde. Zu Unrecht jedoch habe das OLG unter Verkennung der Tatbestandsstruktur und der Schutzrichtung des § 220 a StGB die Taten des Angeklagten als tatmehrheitlich begangene Verbrechen des Völkermordes gewertet. Der Gesetzgeber habe sich bei der Formulierung der Vorschrift bewußt an Art. II der Genozid-Konvention angelehnt. § 220 a StGB sei Spiegelbild des sich nach dem 2. Weltkrieg entwickelnden Verständnisses des Genozids als Teil des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Schutzgüter dieser Vorschriften seien nicht die Individualinteressen der von den objektiven Tathandlungen betroffenen einzelnen Personen, sondern die soziale Existenz der verfolgten nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppe als solcher. Daraus folge, daß die verschiedenen Begehungsweisen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB keine selbständigen Tatbestände, sondern Tatmodalitäten desselben von der Völkermordabsicht des Täters geprägten Verbrechens darstellten.




      13 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9.12.1948, BGBl. 1954 II 730.

      14 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.71998, UN-Doc. A/CONF.183/9.

      15 International Court of Justice, Reports 1996, 595, 616.