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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


II. Forschungsvorhaben

D. Internationales Umweltschutzrecht und Seerecht

1. Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten (Dissertation)

In der im Jahr 2000 fertiggestellten und im Jahr 2001 publizierten Dissertation von Silja Vöneky, die von Prof. Wolfrum betreut wurde, wird der Frage nachgegangen, ob und wie das Friedensvölkerrecht in internationalen bewaffneten Konflikten die Umwelt schützen kann.

Im ersten Teil der Arbeit wird die Bedeutung und Reichweite des Schutzes der Umwelt durch das Kriegsvölkerrecht in internationalen bewaffneten Konflikten dargestellt. Wie gezeigt wird, führten Kriege schon immer und besonders in jüngster Zeit - wie der Vietnamkrieg, der zweite Golfkrieg, aber auch der Kosovokonflikt - zu erheblichen und massiven Schädigungen der Umwelt. Obwohl in bewaffneten Konflikten die Umwelt in weit größerem Ausmaß und wesentlich schneller geschädigt werden kann als in Friedenszeiten, bietet das herkömmliche Kriegsvölkerrecht nur einen unzureichenden Schutz. So schützen beispielsweise nur wenige Bestimmungen des Kriegsvölkerrechts die Umwelt unmittelbar; ungeschützt sind zudem die Bereiche der Umwelt, die nicht in die territoriale Souveränität eines einzelnen Staates fallen, wie beispielsweise die hohe See oder die Ozonschicht. Anderes gilt jedoch für das Friedens-Umweltvölkerrecht. Wie gezeigt wird, könnten die umweltvölker-rechtlichen Verträge, die grundsätzlich im Frieden gelten, in wesentlichen Bereichen den Schutz der Umwelt im Krieg verbessern, da sie oftmals die Umwelt oder wichtige ihrer Komponenten per se schützen und zudem auch Bereiche der Umwelt umfassen, die nicht in das Gebiet von Staaten fallen.

Der zweite Hauptteil der Untersuchung geht der Frage nach, ob und inwieweit umweltvölkerrechtliche Verträge auch zwischen Staaten fortgelten, die sich in einem bewaffneten Konflikt befinden. Dabei wird gezeigt, daß sich noch keine spezielle Regel des Gewohnheitsrechts zu dieser Frage herausgebildet hat. Allerdings ist für bestimmte Gruppen friedensvölkerrechtlicher Verträge durch die Staaten anerkannt, daß sie auch gegnerische Kriegsparteien weiter binden. Dazu gehören insbesondere völkerrechtliche Verträge, die einen internationalen Status begründen und die internationalen Menschenrechtsverträge. Wie die Untersuchung zeigt, binden deswegen nicht nur einige umweltvölkerrechtliche Verträge nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechts die Konfliktparteien, sondern - in Analogie zu Menschenrechts- und Statusverträgen - muß auch de lege lata von der Fortgeltung all derjenigen vertraglichen Bestimmungen zum Schutz der Umwelt ausgegangen werden, welche die Staaten, wie Menschenrechts- und Statusverträge, im Gemeininteresse der Staatengemein-schaft als Ganzes verpflichten. Damit ist die herkömmliche These von dem Vorrang des Kriegsvölkerrechts gegenüber den völkerrechtlichen Pflichten zum Schutz der Umwelt, die den Staaten im Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzes obliegen, überholt. Wie im Frieden gelten daher u.a. die folgenden völkerrechtlichen Verträge mit ihren umweltschützenden Bestimmungen fort: der Antarktisvertrag, die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt, die Klimarahmenkonvention, das Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt und der Vertrag zum Schutz des Weltkultur- und Naturerbes.

Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, daß dies nur für die Staaten gilt, die als Aggressorstaaten gegen das ius ad bellum verstoßen haben. Der im Kriegsvölkerrecht verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz der Konflikt-parteien, besitzt auch im Hinblick auf fortgeltende friedensvölkerrechtliche Verträge weiter Geltung, so daß jede Kriegspartei die gleichen Pflichten zum Schutz der Umwelt erfüllen muß.

Da die Umweltstandards der untersuchten Verträge jedoch primär auf Friedenszeiten ausgerichtet sind, wird in einem weiteren Schritt untersucht, ob es trotz der grundsätzlichen Fortgeltung der Verträge, wegen der konkreten Begebenheiten eines bestimmten bewaffneten Konfliktes ausnahmsweise zu einer Einschränkung der bestehenden Pflichten für die Konfliktparteien kommen kann. Während sich mögliche Modifikationen grundsätzlich aus den Rechtfertigungsgründen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit und den Suspendierungsgründen des allgemeinen Vertragsvölkerrechts ergeben können, zeigt sich, daß insbesondere der allgemeine Rechtfertigungsgrund des Staatsnotstandes die Möglichkeit bietet, die besondere Konfliktlage der Kriegsparteien zu berücksichtigen.

Allerdings bleibt, auch wenn eine Modifikation der friedensvölkerrechtlichen Pflichten nach allgemeinem Völkerrecht in einigen konkreten Fällen bewaffneter Konflikte zulässig ist, zu beachten, daß dies nicht schrankenlos gilt. Indem in einem letzten Schritt die "Schranken-Schr nken" der Rechtfertigungs- und Suspendierungsgründe erörtert werden, kristallisiert sich als Ergebnis ein konfliktfestes Minimum der friedensvölkerrechtlichen Pflichten zum Schutz der Umwelt heraus, das unter keinen Umständen von den Konfliktparteien verletzt werden darf.

Im Ergebnis wird in dieser Untersuchung belegt, daß völkerrechtliche Verträge, die die Umwelt im Gemeininteresse der Staatengemeinschaft insgesamt schützen, wie Menschenrechts- und Statusverträge, von den Konfliktparteien auch während bewaffneter Auseinandersetzungen nicht suspendiert oder beendet werden können, sondern diese weiter binden. Das Völkerrecht schützt die Umwelt im Krieg heute daher durch zwei Normkomplexe, das Kriegsvölkerrecht zum einen und das Umweltvölkerrecht im Gemeininteresse zum anderen.