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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


II. Forschungsvorhaben

F. Europarecht

1. Justitielle Einbindung und Kontrolle von Europol

Mit der Veröffentlichung der zweibändigen Studie "Justitielle Einbindung und Kontrolle von Europol" konnte das Institut im Berichtszeitraum ein vom Bundesministerium der Justiz im Sommer 1998 in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt zu den europarechtlichen und rechtsvergleichenden Rahmenbedingungen einer verbesserten rechtsstaatlichen Einbindung des Europäischen Polizeiamtes erfolgreich abschließen. Die von Sabine Gleß, Rainer Grote und Günter Heine herausgegebenen Bände behandeln vor dem Hintergrund der durch Art. 30 Abs. 2 EUV geschaffenen Möglichkeit einer unmittelbaren Beteiligung des Europäischen Polizeiamtes an der Durchführung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren in den Mitgliedstaaten die Frage, welche Anforderungen an die justitielle Einbindung und Kontrolle eines mit erweiterten exekutivischen Befugnissen ausgestatteten Europäischen Polizeiamtes unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu stellen sind. Nach dem bewußt weitgesteckten Forschungsansatz der Studie sollten dabei sowohl die auf europäischer und nationaler Ebene bereits verwirklichten Steuerungs- und Kontrollsysteme polizeilicher und exekutivischer Ermittlungstätigkeit als auch die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten ergebenden allgemeinen, insbesondere grundrechtlichen Vorgaben für eine wirksame Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung eingehend analysiert werden mit dem Ziel, die in Betracht kommenden Optionen für die justitielle Einbindung der grenzüberschreitenden polizeilichen Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeit in der Europäischen Union unter Beteiligung von Europol herauszuarbeiten.

Diesem Ansatz entsprechend ist die Studie in zwei Teilen publiziert worden. In dem unter dem Titel "Nationale und europäische Strafverfolgung" erschienen ersten Band werden die in den Rechtsordnungen der ausgewählten Mitgliedstaaten (neben der Bundesrepublik Deutschland sind dies Dänemark, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich und das Vereinigte Königreich) auzfzufindenden normativen Instrumentarien zur Gewährleistung einer effektiven justitiellen Verantwortlichkeit der Ermittlungsbehörden im Bereich der Strafverfolgung dargestellt. Ergänzt wird diese Analyse durch eine Erörterung des normativen Rahmens der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit im Gemeinschaftsrecht und im Schengen-Verbund sowie in der Zollzusammenarbeit. Der zweite Band "Polizeiliche Ermittlungstätigkeit und Grundrechtsschutz" befaßt sich schwerpunktmäßig mit den auf europäischer und nationaler Ebene existierenden grundrechtlichen Schutzstandards, die für die Beteiligung von Europol an der Durchführung konkreter Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der Grundlage des Art. 30 Abs. 2 EUV Bedeutung erlangen könnten. Solche Standards finden sich zunächst in der Europäischen Menschenrechtskonvention, deren Gewährleistungen als wesentlicher Bestandteil eines sich herausbildenden gemeineuropäischen Verfassungsrechts nach Art. 6 Abs. 2 EUV sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten bei dem weiteren Ausbau der polizeilichen Zusammenarbeit durch Europol binden. Daneben sind es vor allem die in den einzelstaatlichen Verfassungsordnungen normierten Vorgaben für den Schutz des einzelnen gegen Eingriffe der polizeilichen Ermittlungsorgane in seine grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre, die den Bezugsrahmen für die notwendige rechtsstaatliche Einbindung und Kontrolle der grenzüberschreitenden polizeilichen Ermittlungsarbeit in der Europäischen Union bilden. Um einen sachgerechten Vergleich zu ermöglichen, werden die einschlägigen grundrechtlichen Normen und Prinzipien nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den in den einzelnen Ländern jeweils existierenden institutionellen und verfahrensrechtlichen Grundlagen für die Ausübung präventivpolizeilicher Ermittlungsbefugnisse durch die Sicherheitsbehörden dargestellt. Der Band schließt mit Überlegungen zu möglichen Modellen für die justitielle Einbindung und Kontrolle eines mit eigenen Ermittlungskompetenzen ausgerüsteten Europäischen Polizeiamtes ab.

Mit der Veröffentlichung des Gutachtens wird ein Beitrag zur öffentlichen Diskussion über die Perspektiven eines weiteren Ausbaus der polizeilichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union geleistet, die gerade nach den Ereignissen des 11. September aktueller denn je ist. Eine grundsätzliche Reflektion über Ziele, Wege und Grenzen dieser Zusammenarbeit erscheint umso notwendiger, als der rechtliche Besitzstand der Union im Innen- und Justizbereich sich nach wie vor in einer Phase ungebremsten, vor allem von den Bedürfnissen der Praxis vorangetriebenen Wachstums befindet, das für systematische Erwägungen häufig wenig Raum läßt. Nur die Herstellung einer stabilen Balance zwischen dem Interesse des einzelnen an einem ausreichenden Schutz seiner fundamentalen Rechte gegenüber staatlichen Ermittlungseingriffen einerseits und dem öffentlichen Interesse an einer effektiven grenzüberschreitenden Bekämpfung und Verfolgung des organisierten Verbrechens andererseits bietet jedoch langfristig eine tragfähige Grundlage, auf der jener "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" gedeihen kann, dessen Schaffung sich die Mitgliedstaaten zum Ziel gesetzt haben.