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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


II. Forschungsvorhaben

B. Internationale Gerichtsbarkeit

2. Die nationale Zusammenarbeit mit den internationalen Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda (Dissertation)

Die Errichtung der Internationalen Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda auf der Grundlage von Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen brachte für deren Mitgliedstaaten die Verpflichtung mit sich, den Internationalen Tribunalen jegliche Unterstützung zu gewähren, die die Tribunale bei der strafrechtlichen Verfolgung der im Jugoslawien- bzw. im Ruanda-Konflikt begangenen Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht benötigten. Inwieweit die Staaten dieser Aufgabe nachgekommen sind und den Internationalen Straftribunalen bei der Erfüllung ihres Mandates Hilfe geleistet haben, ist Gegenstand der Arbeit von Dagmar Stroh.

Die in den Gründungsresolutionen enthaltene generelle Verpflichtung zur Kooperation mit den Internationalen Straftribunalen wird in den Statuten der Tribunale und ihren Verfahrens- und Beweisordnungen konkretisiert. Den einschlägigen Vorschriften zufolge bedarf es einer staatlichen Mitwirkung insbesondere in vier Bereichen, namentlich bei den pre-trial Ermittlungen der Anklagebehörden, bei der Ausführung von Haft- und Überstellungsbefehlen, bei der Überleitung nationaler Strafverfahren und bei der Vollstreckung rechtskräftiger Endurteile der Tribunale. Mit herkömmlicher Rechtshilfe ist die den Straftribunalen zu leistende Unterstützung nur begrenzt vergleichbar: Im Rahmen von Beweisermittlungen der Anklagebehörden beispielsweise sind die Staaten nicht nur verpflichtet, ihre eigenen Behörden zur Verfügung zu stellen, sondern müssen den Anklagebehörden unabhängige Ermittlungen auf ihrem Hoheitsgebiet gewähren. Desweiteren können die Strafkammern der Tribunale aufgrund ihres Vorranges vor nationalen Gerichten bei konkurrierender Zuständigkeit nationale Gerichtsverfahren in jedem Verfahrensstadium an sich ziehen. Um die gewünschte nationale Kooperation zu erlangen, sind die Internationalen Straftribunale ermächtigt, verbindliche Anordnungen und Rechtshilfeersuchen zu erlassen, zu deren Befolgung die Staaten vorbehaltlos und uneingeschränkt verpflichtet sind. Eine Ausnahme gilt lediglich im Bereich der Urteilsvollstreckung; hier sind die Tribunale auf die freiwillige Mitwirkung der Staaten angewiesen. Eine Überprüfung der Ersuchen der Straftribunale durch die Staaten kommt nicht oder nur in äußerst geringem Umfang in Betracht. Auch kann die Ausführung einer Anordnung nicht unter Berufung auf entgegenstehendes nationales Recht verweigert werden. Die Kompetenz der Tribunale, verbindliche Anordnungen und Rechtshilfeersuchen an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu richten, weist auf das hierarchisch strukturierte Verhältnis zwischen den Staaten einerseits und den Internationalen Straftribunalen andererseits hin. Erstere sind einseitig verpflichtet auszuführen, was letztere anordnen. Es handelt sich bei einem gemeinsamen Tätigwerden somit weniger um eine Kooperation zwischen dem ersuchten Staat und dem jeweiligen Tribunal, sondern vielmehr um eine Assistierung oder Unterstützung, die den Straftribunalen von staatlicher Seite geleistet wird.

Sollten sich die Staaten ungeachtet ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung dennoch weigern, Anordnungen und Rechtshilfeersuchen der Internationalen Straftribunale auszuführen, sind den Tribunalen die Hände gebunden. Sie verfügen weder über die nötigen rechtlichen noch politischen Druckmittel, um eine staatliche Mithilfe zu erreichen. Kommt ein Staat seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nicht nach, bleibt den Tribunalen nur die Verständigung des Sicherheitsrates, der dann seinerseits zu Maßnahmen greifen kann, um die Kooperation des betroffenen Staates herbeizuführen.

Schwerpunkt der Arbeit bildet die Kooperation aus der Sicht der Staaten. Die wenigsten Rechtssysteme ermöglichten zum Zeitpunkt der Errichtung der Tribunale eine Zusammenarbeit, die den völkerrechtlichen Anforderungen entsprach. Die Eigenart der von den Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen vorgesehenen Aufgaben erforderte aus innerstaatlicher Sicht eine Anpassung, Änderung oder Ergänzung nationalen Rechts. Um nationale Behörden zu ermächtigen, mit den Internationalen Straftribunalen in der vom Völkerrecht vorgeschriebenen Weise zusammenzuarbeiten, bedurfte es in den meisten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen einer besonderen Regelung in Form eines "Kooperationsgesetzes", das die unbedingte Ausführung der Anordnungen und Rechtshilfeersuchen der Tribunale ermöglichte. Bislang sind es mehr als 20 Staaten, die eine besondere Kooperationsgesetzgebung erlassen haben. Eine Analyse dieser Regelungen zeigt jedoch, dass zahlreiche Verpflichtungen der Statuten und Verfahrens- und Beweisordnungen nicht oder nur in unzureichendem Umfang umgesetzt werden. Zurückhaltung zeigen die Staaten insbesondere bei der Gewährung eigenständiger Ermittlungen der Anklagebehörden auf ihrem Hoheitsgebiet. Auch die Pflicht zur Überleitung nationaler Gerichtsverfahren wird in einigen Kooperationsgesetzen nur unzulänglich umgesetzt. Demgegenüber lassen nahezu alle Regelungen die Bereitschaft der Staaten erkennen, Haft- und Überstellungsbefehle der Tribunale auszuführen. Zur Übernahme der Vollstreckung, die von den Tribunalen nicht verbindlich angeordnet werden kann, hat sich bislang nur eine geringe Anzahl von Staaten bereit erklärt und eine entsprechende Mitteilung an den Sicherheitsrat gerichtet.

Im Rahmen der praktischen Seite der nationalen Kooperation mit den Internationalen Straftribunalen geht die Arbeit auf den sog. subpoena issue im Verfahren gegen Tihomir Blaskic ein, der sich im Jahre 1997 vor der Zweiten Strafkammer des Jugoslawien-Tribunals abgespielt hatte und in dem grundlegende Fragen hinsichtlich der Beweiserhebungskompetenzen der Tribunale entschieden wurden. Wie der subpoena issue zeigt, können nationale Sicherheitsbedenken einen Staat veranlassen, die Ausführung einer Anordnung oder eines Rechtshilfeersuchens eines Tribunals schlichtweg zu verweigern. Bei der Ausführung von Haft- und Überstellungsbefehlen der Tribunale reagierten insbesondere europäische Staaten mit Zurückhaltung. Während die ersuchten afrikanischen Staaten den Anordnungen des Ruanda-Tribunals in nahezu allen Fällen bereitwillig nachkamen, konnte erst die multinationale Eingreiftruppe dafür Sorge tragen, dass auch die Haft- und Überstellungsbefehle des Jugoslawien-Tribunals ausgeführt wurden.

Wie die Praxis zeigt, ist der Erfolg der Internationalen Straftribunale letztendlich von der Bereitschaft der Staaten abhängig, den Tribunalen die erforderliche Unterstützung zu gewähren und an der strafrechtlichen Verfolgung derjenigen Personen mitzuwirken, die für die im ehemaligen Jugoslawien bzw. während des Ruanda-Konflikts begangenen Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht verantwortlich sind. Am Beispiel des Ruanda-Tribunals wird deutlich, dass ein internationales Strafgericht in effektiver Weise funktionieren kann, wenn die Staaten die notwendige Mitwirkung erbringen. Das Beispiel des Jugoslawien-Tribunals zeigte dagegen lange Zeit die Konsequenzen fehlender "state cooperation". Die Internationalen Straftribunale sind ein Maßstab, an dem sich das tatsächliche Interesse der VN-Mitgliedstaaten an der Verfolgung von Verstößen gegen humanitäres Völkerrecht ablesen lässt. Sollten die Straftribunale ihrem Mandat nicht gerecht werden können, wird die Ursache bei den Staaten, nicht bei den Tribunalen, zu suchen sein.