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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2002

I. Einleitende Darstellung des Instituts

B. Forschungskonzeption des Instituts

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht verbindet seit seiner Gründung die Pflege des Völkerrechts mit der Rechtsvergleichung im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, um die organisatorischen Grundlagen und die Ausübung der öffentlichen Funktionen des Staates in allen ihren Erscheinungsformen zu erfassen. Die Forschungsarbeit des Instituts beruht auf der Einsicht, daß sich das Völkerrecht und das nationale öffentliche Recht in immer stärkerem Maße gegenseitig durchdringen. Dies hat Konsequenzen für den modernen Staat, insbesondere für seine Verfassung.

Auf der internationalen Ebene sind seit dem Zweiten Weltkrieg und verstärkt im letzten Jahrzehnt Regelwerke und Institutionen geschaffen worden, die über den Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit weit hinausgehen und die Frage aufwerfen, inwieweit auch im Bereich des Völkerrechts von Konstitutionalisierungsprozessen gesprochen werden kann. Den Anfang machten die (west-) europäischen Staaten mit der Schaffung eines regionalen Menschenrechtsschutzsystems auf der Grundlage der EMRK und der Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Mit dem Ende des Kalten Krieges, der Ausdehnung der EMRK auf die Staaten Osteuropas sowie der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union hat die europäische Integration eine neue Qualität angenommen, die die Vorstellung eines gemeinsamen europäischen Verfassungsraumes nicht länger als utopische Vision erscheinen läßt. Zugleich hat die weltweite Verflechtung zwischen den Staaten weiter zugenommen. Das UN-System ist mit dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung des Kalten Krieges zumindest teilweise von den Fesseln befreit worden, die eine effektive Wahrnehmung seiner friedensichernden und friedenschaffenden Funktionen bis dahin unmöglich gemacht hatten. Neue Kodifikationen im Bereich des internationalen Wirtschafts- und Umweltrechts spiegeln das Bedürfnis der Staaten nach einer immer engeren Kooperation zur Regelung globaler Probleme wider.> Das Völkerrecht bemüht sich um die Schaffung neuer Mechanismen, die eine wirksame Einhaltung und Durchsetzung der vereinbarten bzw. allgemein anerkannten Normen in der Praxis sicherstellen. Die Einsetzung internationaler Strafgerichtstribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda durch die Vereinten Nationen sowie das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes sind hierfür ebenso ein Beleg wie der Ausbau der Streitbeilegungsmechanismen im Umwelt- und Wirtschaftsvölkerrecht durch die Einrichtung des Internationalen Seegerichtshofes und die Etablierung des WTO-Streitbeilegungssystems. Hinter dieser institutionellen Entwicklung steht aber zudem die Verbreiterung und vor allem Verfestigung einer gemeinsamen Wertordnung der Staaten, die insoweit als Wertegemeinschaft zu verstehen sind. Es ist eine der Aufgaben des Instituts, auszuloten, welche Bedeutung die teilweise international normierte Pflicht zur Kooperation für internationale Institutionen aber auch für die Entscheidungsfreiheit der Staaten hat und welche Entwicklungen die Wertegemeinschaft nimmt. Das setzt eine weitere Beschäftigung mit den rechtlichen und politischen Grundlagen, Instrumenten und Grenzen transnationaler und internationaler Konstitutionalisierungsprozesse voraus.

Diese Fragestellung spiegelt sich in mehreren nachfolgend dargestellten Veröffentlichungen und Veranstaltungen des Instituts zu den Bereichen allgemeines Völkerrecht (s. unter II. A.) internationaler und europäischer Menschenrechtsschutz (s. unter II. B. 1. und 2. und X. C.), internationale Gerichtsbarkeit (s. unter II. C. 1. und 2.), UN-Recht (II. D. 1. und 2.) sowie internationales Wirtschafts- und Umweltrecht (s. unter II. F. und IX. C.) wider. Dabei fand der internationale und europäische Menschenrechtsschutz im Berichtszeitraum durch das Abschiedssymposium für Prof. Frowein besondere Berücksichtigung (s. unter X. C.). Das Thema "Rechtsfragen der Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Recht" wurde aus einem Bereich des Menschenrechtsschutzes gewählt, dem sich Prof. Frowein als Wissenschaftler und in seiner praktischen Arbeit in besonderer Weise gewidmet hat. Wie der Vortrag von Prof. von Bogdandy, "Holzwege und Fernpfade: Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsorganisation", bei der Festveranstaltung anläßlich der Emeritierung von Prof. von Frowein (s. unter X. F.) zeigt, soll dem internationalen Wirtschaftsrecht in den kommenden Jahren unter dem neuen Direktor Prof. von Bogdandy verstärkt die Aufmerksamkeit des Instituts gelten.

Außerdem beschäftigt sich das Institut intensiv sowohl mit dem ausländischen öffentlichen Recht, seinen Beziehungen zum Völkerrecht und ihren wechselseitigen Beziehungen, um die Voraussetzungen und die Struktur moderner Staatlichkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts analysieren und verstehen zu können. Die Staatlichkeit ist in vielfacher Hinsicht Wandlungen und Einschränkungen unterworfen bzw. die staatliche Ordnung wird durch Völkerrecht determiniert. Dies gilt u.a. für den Komplex des Staatsangehörigkeitsrechts, der in dem im Berichtszeitraum abgeschlossenen zweiten und dritten Teilband des von Georg Dahm begründeten und von Prof. em. Delbrück und Prof. Wolfrum weitergeführten Völkerrechtslehrbuchs (s. unter II. A.) intensiv bearbeitet wird.

Aus diesem Ansatz erhellt sich die zentrale Bedeutung der Rechtsvergleichung. In diesem Bereich werden Fragestellungen behandelt, die in allen modernen Staatswesen oder in homogen zusammengesetzten Staatengruppen geregelt sind oder nach Regelung drängen. Ein Beispiel hierfür ist das Symposium>"Terrorism as a Challenge for National and International Law" (s. unter X. G.), das das Institut für den 24. und 25. Januar 2003 plant. In Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001 haben mehrere Staaten Gesetze zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus erlassen. Es ist nicht nur von Interesse, diese rechtsvergleichend zu würdigen, sondern sie zu dem internationalen Menschenrechtsschutz in Beziehung zu setzen. Daneben widmeten sich im Berichtszeitraum zwei weitere Forschungsvorhaben des Instituts der Rechtsvergleichung, zum einen die Habilitationsschrift zu den Organrechten und Organstreitverfahren im öffentlichen Recht (s. unter II. E. 1) und die Dissertation zum verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums in Südafrika und Deutschland (s. unter II. E. 2.). Unter dem neuen Direktor des Instituts Prof. von Bogdandy soll die Befassung mit dem entstehenden europäischen Verfassungsraums in der Perspektive einer gemeineuropäischen Wissenschaft vom öffentlichen Recht verstärkt werden. Zu diesem Zweck findet bereits im Februar eine internationale Tagung statt, auf der die Ergebnisse eines deutschen Forschungsprojektes zum europäischen Verfassungsrecht (s. unter II. G. 1.) mit ausländischen Kollegen diskutiert werden. Von dieser Tagung werden Aufschlüsse über Brücken und Hindernisse eines gemeineuropäschen fachwissenschaftlichen Diskurses zu diesem hochaktuellen Thema erwartet.

Einen wichtigen Schwerpunkt der vergangenen Jahre bildete außerdem die wissenschaftliche Begleitung und Analyse des verfassungsrechtlichen Reformprozesses insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Staaten, aber auch in den Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas. In diesem Prozeß ist es zur Übernahme rechtsstaatlicher und demokratischer Verfassungskonzeptionen in vielen Teilen dieser Erde gekommen, was die Frage aufwirft, inwieweit von einer "Globalisierung" des zuerst in Nordamerika und Westeuropa verwirklichten Modells des freiheitlichen Verfassungsstaats gesprochen werden kann. Besondere Bedeutung kam im Berichtszeitraum dem unter der Leitung von Prof. Wolfrum stehenden>Sudan Peace Project zu (s. unter IX. A.). Ziel des Projektes ist die beratende rechtliche Unterstützung beider Bürgerkriegsparteien, der Regierung in Khartoum und der südsudanesischen Befreiungsorganisation>Sudanese People Liberation Movement (SPLM) auf ihrem Weg zu einem Friedensabkommen und zu einem föderalen oder konföderalen Staat oder - nach einer gewissen Übergangszeit und einem Referendum über Selbstbestimmung - zu zwei unabhängigen staatlichen Einheiten. Vom 18. November bis 1. Dezember fand der>Heidelberg Dialogue am Institut statt, in dem ein Verfassungsentwurf erarbeitet wurde, der die im Januar 2003 wiederaufzunehmenden Friedensgespräche positiv beeinflussen kann. Eine Fortsetzung des>Heidelberg Dialogue ist geplant.

Das Institut kooperiert eng mit ausländischen Institutionen bzw. arbeitet an internationalen Projekten mit. Der Europarat in Straßburg hat mehrfach auf Mitglieder des Instituts zurückgegriffen, um Projekte im Rahmen der Zuständigkeit des Europarates zu bearbeiten. Nachdem Prof. Frowein bereits 1997 einen eingehenden Bericht über das Problem von Meinungs- und Pressefreiheit, insbesondere in den neuen Mitgliedsstaaten des Europarates, erstellt hat, ist im Berichtszeitraum unter seiner Leitung ein neuer Bericht über die Meinungs- und Medienfreiheit in 36 Ländern des Europarats entstanden (s. unter IX. H.). Intensive Arbeitsbeziehungen des Instituts bestehen ebenfalls mit den Diensten der Europäischen Gemeinschaft. Mehrfach sind große Gutachten für Dienststellen der Kommission erstellt worden. Im Bereitszeitraum wurde Prof. Frowein vom Europäischen Parlament gebeten, ein Rechtsgutachten zu der Frage vorzulegen, ob die sog. Bene�-Dekrete ein Hindernis für den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union darstellen (s. unter IX. B.).

Kooperationsbeziehungen bestehen ebenfalls mit juristischen Fakultäten ausländischer Universitäten. Dies gilt etwa für die Juristische Fakultät der Universität Tel Aviv. Israelische Studenten werden in regelmäßigen Abständen für eine kurze Einführung in das deutsche öffentliche Recht und das Völkerrecht in Heidelberg unterrichtet (s. unter VIII. E.). Mitarbeiter des Instituts nehmen an Tagungen in Israel teil. Durch die Gründung des>Minerva Center for Human Rights an der Universität Tel Aviv und an der Hebrew University in Jerusalem sind diese Beziehungen noch verstärkt worden. Prof. Frowein ist Vorsitzender des>Advisory Board des>Minerva Center. Mit dem>Centre for Human Rights in Belgrad, das von einem früheren Stipendiaten des Heidelberger Instituts, Prof. Dimitrijevic, aufgebaut worden ist, bestehen seit seiner Gründung intensive Beziehungen. Prof. Frowein ist Mitglied des Beirates. Mehrfach haben Mitglieder des Instituts Vorträge in Belgrad gehalten. Seit der Veränderung der Lage in Europa haben Mitglieder des Instituts in großem Umfang an Vortragsreisen in die Staaten Mittel- und Osteuropas sowie Zentralasiens teilgenommen. Mit dem Lehrstuhl für Völkerrecht an der Universität Krakau (Prof. Lankosz) bestehen seit langer Zeit intensive Beziehungen. Sie werden durch die Beteiligung von Prof. Frowein an dem deutsch-polnischen Graduiertenkolleg der Universitäten Heidelberg und Krakau verstärkt. Im Berichtszeitraum wurde in Krakau ein Deutsch-Polnisches Seminar über das werdende Verfassungsrecht der Europäischen Union mit deutschen und polnischen Nachwuchsjuristen (s. unter II. G. 2.) abgehalten. Seit Jahren wirkt das Institut durch Prof. Wolfrum an den Lehrveranstaltungen der>Rhodes Academy for Ocean Law and Policy mit. Sie beruht auf einer Zusammenarbeit mit amerikanischen, griechischen und niederländischen Kollegen.

Die Planungen für 2003 sind noch nicht völlig abgeschlossen. Es besteht aber die Absicht, neben den bereits erwähnten Symposien>"Terrorism as a Challenge for National and International Law" (s. unter X. G.) und zum Europäischen Verfassungsrecht, eine Tagung zu Grundfragen des Völkerrechts zu veranstalten.