Seit Anfang 2020 wurden weitreichende Corona-Schutzmaßnahmen erlassen, die stark in die Freiheitsrechte eingreifen: Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen, Abstandsgebote, die Schließung von Schulen, Hochschulen, Betrieben, Gaststätten und Geschäften, Veranstaltungs- und Versammlungsverbote, Besuchsbeschränkungen und Einreiseverbote. Auch die Parlamente gerieten vielerorts in der Gesundheitskrise unter Druck.
Es stellt sich die Frage, welche Steuerungskraft Verfassungen zukommt. Vor diesem Hintergrund geht das Projekt der Frage nach, wie die Verfassungen in Deutschland und Italien eingebracht wurden und wie sie die Diskurse in den beiden Ländern geprägt haben. Der vergleichende Einstiegspunkt ist, wie zwei unterschiedliche Verfassungsrechtssysteme auf dieselbe Herausforderung reagieren und mobilisiert werden.
Das Forschungsziel ist zum einen ein deskriptives: Angesichts der historischen Bedeutung der Ereignisse im Jahr 2020 ist es notwendig, den verfassungsrechtlichen Umgang mit der Pandemie festzuhalten und zu ordnen. Zum anderen soll aus der Gegenüberstellung des deutschen und italienischen Verfassungssystems das verfassungsrechtliche Verständnis der beiden Rechtsordnungen vertieft, mehr über ihre verfassungsrechtlichen Strukturen, deren Verhältnis zu Krisensituationen, verfassungskulturell geprägte Verhaltensmuster sowie die Rolle der Gerichte, Verfassungsrechtswissenschaften und Medien in Krisenzeiten gelernt werden. Indem die deutsche „Innenschau“ durch den Blick nach Italien über die eigenen Grenzen hinaus erweitert wird, soll die Möglichkeit geschaffen werden, eine neue Sichtweise auf scheinbar Altbekanntes zu bekommen. Die Antworten der Verfassungsrechtssysteme sind nicht nur für den aktuellen Moment der Pandemie relevant, sondern geben breiteren Aufschluss über die Verfassungsrechtssysteme und ihre Reaktionsfähigkeit auf Krisen.