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Humanität als Vehikel – Der Diskurs um die Kodifikation des Kriegsrechts im Gleichgewichtssystem des europäischen Völkerrechts in den formgebenden Jahren von 1815 bis 1874

Über das Projekt:

Das Forschungsprojekt hinterfragt das auch im heutigen humanitären Völkerrecht noch vorherrschende linear-progressive Narrativ der Rechtsentwicklung und erarbeitet eine neue Geschichte des europäischen Kriegsrechts im 19. Jahrhundert. Anstatt dieses schlicht zum „Vorläufer“ des modernen humanitären Völkerrechts zu erklären, untersucht das Projekt die zentralen Kodifikationsereignisse des 19. Jahrhunderts in ihrem gesellschaftsgeschichtlichen und geopolitischen Kontext. Entgegen klassischer Darstellungen steht hierbei nicht etwa die Entwicklung zu einem gewissen zukünftigen Fluchtpunkt hin im Zentrum der Betrachtung, sondern die Funktion des Kriegsrechts in einem als besonderem Rechtsraum verstandenen Europa. Hierfür erarbeitet das Projekt die ideengeschichtlichen Grundlagen und Funktionsweisen des nachnapoleonischen europäischen Völkerrechts. Es legt dar, wie der kontingente Übergang vom Fürstenstaat zum Nationalstaat ab etwa der Mitte des Jahrhunderts eine zunehmende Verdrängung des ursprünglich zumindest teilweise vorhandenen Kooperationswillens der Fürsten durch die Konfrontationsbereitschaft der Nationen im europäischen Gleichgewichtssystem bedingte. Vor dem Hintergrund dieses gesellschaftshistorischen Phänomens kommt dem Kriegsrecht und seiner Kodifikation eine originär friedenssichernde Funktion zu. Als es nach einer etwa vierzigjährigen Friedensphase mit dem Krimkrieg 1853 zum ersten europäischen Großmächtekrieg kam, war es dem besonderen Staatsinteresse Preußens und Österreichs geschuldet, dass sich der Konflikt nicht zu einem „allgemeinen“ oder „großen Krieg“ ausweitete. Da das europäische Gleichgewicht damit aber nicht auf Dauer den Frieden in Europa würde sichern können, verlagerte sich das staatliche Interesse von der Verhinderung des Krieges auf die Beschränkung der Durchführung desselben. Als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ sollte Krieg in Europa ebenfalls den Regeln wohlverstandenen politischen Interesses folgen. Aufgrund seiner grundsätzlich destabilisierenden Wirkung sollte er nicht nur so schnell wie möglich beendet werden, sondern zugleich einen stabileren Frieden begründen. Die Arbeit begreift das Kriegsrecht daher als originär europäisches Sonderrecht. Besonderes Augenmerk wirft das Projekt dabei auf die Offenlegung der hinter den Rechtsbegriffen „militärische Notwendigkeit“ und „humanitären Erwägungen“ regelmäßig verborgenen staatlichen Sonderinteressen.


Doktorand

Betreuerin