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Bild im Foyer

H.D. Tylle: Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach, 1999.

In Auftrag gegeben von der Max Dietrich und Monika Marlene Kley Kunststiftung, Leihgabe


Warum der freiheitliche Realismus das eigentlich Wichtige verbirgt

Anmerkungen zu  „Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach“ von H.D. Tylle anlässlich des Festaktes am 14.02.2020.

Armin von Bogdandy, Heidelberg

Wir kommen zusammen aus Anlass der Ausstellung des Bildes von H.D. Tylle „Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach“. Ich begrüße Sie alle von Herzen, aber vier Personen möchte ich hervorheben: Monika Marlene und Max Dietrich Kley, deren Stiftung das Bild gehört und die es uns als Leihgabe zur Verfügung stellen, den Maler selbst, H.D. Tylle, und seine Frau, die Autorin Brigitte Endres.

Wir befinden uns im Anbau des Instituts, entworfen von dem Berliner Architekten Volker Staab. Dank seiner Arbeit ist unser Gebäude inzwischen im Loop der Heidelberger Führungen zu zeitgenössischer Architektur. Das Gemälde von H.D. Tylle setzt nun im Foyer auf der Höhe der Architektur einen weiteren künstlerischen Akzent, der zudem eine Idee der Forschung dieses Instituts vermittelt. Es spiegelt viel von dem, was uns in den letzten 70 Jahren beschäftigt hat, und enthält sogar eine Idee für künftige Forschung zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht.

Ich möchte in dieser halben Stunde das Bild beschreiben, deuten und kurz erklären, warum es einen konzentrierten Zugang zu unserer Forschung gibt, von dem Tag der Neugründung des Instituts in Heidelberg im Jahre 1949 bis heute.

1999 erteilte die Kunststiftung Max Dietrich und Monika Marlene Kley dem Künstler den Auftrag, den 9. November 1989 in einem Bild zu fassen. Es gab keine Bildvorgabe, außer, dass das Format dem Anlass angemessen sein sollte. Dem kommen die 6,3 x 2,3 Meter sicherlich nach. Es ist unser Glück, dass es deshalb schwer aufzuhängen ist, aber perfekt in unser Foyer passt.

Das Bild hing unter anderem bereits im Deutschen Historischen Museum in Berlin und in der Kunsthalle in Mannheim. Aus Anlass der Ausstellungen in Berlin und Mannheim haben zwei Experten das Bild beschrieben, Klaus Schönmetzler und Eckard Wagner, und ihre Beschreibungen ins Internet gestellt. Ich werde daraus schöpfen, aber zwei Interpretationen hinzufügen: Das Wahrheitsverständnis, das ich in Tylles Realismus sehe, und, wichtiger noch, was der Clou ist, wie die eigentliche Botschaft des Bildes lautet.

Auf dem Bild wird ein historischer Moment festgehalten, der 9. November 1989. Heute wird dieser Tag als so bedeutend verstanden wie der Friedensschluß von Münster und Osnabrück 1648 oder der Sturm auf die Bastille 1789: Ein Ereignis, an dem man einen Epochenübergang festmacht. Insofern handelt es sich um ein Historienbild ähnlich Manets „Die Erschießung von Kaiser Maximilian von Mexiko“ oder „Die Freiheit führt das Volk“ von Delacroix, das an den 2. Tag der französischen Revolution von 1830 erinnert. Auf dieses Bild werden wir noch zurückkommen, Tylle zitiert es heiter und ironisch.

Es handelt sich bei Tylle um ein sog. Historienbild im Stil des Realismus. Nun hat das, was wir auf dem Bild sehen, so nie stattgefunden. Die Szene ist eine Erfindung des Malers, so wie bei Manet und Delacroix. Allerdings gibt es einen erheblichen Unterschied: Bei Manet und bei Delacroix ist klar, dass es so nicht stattgefunden hat. Anders hier: Es sieht so aus, als hätte es genauso stattgefunden. Hat es aber nicht: Es handelt sich um eine Fiktion.

Es handelt sich nun um eine ganz bestimmte Form von Fiktion, nämlich eine Fiktion im Dienste der Wahrheit. Es ist eine Erfindung, so scheint mir, wie sie Siegfried Lenz im Nachwort zu seinem Erzählband „So zärtlich war Suleyken“ beschreibt: „Suleyken, wie es hier vorkommt, hat es natürlich nie und nirgendwo gegeben; es ist eine Erfindung. Aber ist es von Wichtigkeit, ob dieses Dörfchen bestand oder nicht? Ist es nicht viel entscheidender, dass es möglich gewesen wäre? Gewiss, das ist zugegeben, wird in dieser Geschichte ein wenig übertrieben – aber immerhin, es wird methodisch übertrieben. Und zwar in der Weise, dass das besonders Einzigartige hervorgehoben und das besonders Charakteristische zum Vorschein kommt. Insofern steht das bewährte Mittel der Übertreibung ganz im Dienst der Wahrheitsfindung“.

Wir sehen hier ein Historienbild im Stil des Realismus, das eine Realität zeigt, die kein Foto abgebildet hat und wahrscheinlich nie so hätte abbilden können. Denn so viele Symbole können zufällig kaum zusammentreffen. Darin finden wir einen Maßstab der Beurteilung: Das Bild muss sich daran messen lassen, dass es irgendwie realer ist, als es ein Foto je hätte sein können.

Der Maler nimmt es mit der Wahrheit ganz genau: Die Autos, die Kleidung, die Landschaft, die Fabrik, der Playboy, der TUI-Katalog. So wurde die Autoschlange 1999 mit einem Trabi-Club in historischer Kleidung nachgestellt. Jedes Detail ist genau recherchiert, aber das Ganze, auf das es letztlich ankommt, ist Fiktion.

Was sehen wir? Tylle nutzt die mittelalterliche Form eines Triptychons, also eines dreigeteilten Gemäldes, das traditionell eine religiöse Aussage hat. Seine Dreigliederung erlaubt dabei, unterschiedliche Aussagen für einen Bedeutungszusammenhang zusammenzustellen. Hier sehen wir in der Mitte den 10. November 1989 auf einer Straße bei Deuna; Thüringen, rechts und links eine Situation aus der Nähe jenes Ortes zehn Jahre später.

In der Horizontalen sehen wir das Zementwerk und den Ort Deuna. Das Zementwerk bringt es auf einen Kilometer kompromisslose Industrieskyline. Da es so nah an der Mauer steht, darf man mit Max Dietrich Kley annehmen, dass es Zement für die Mauer produzierte. Insofern symbolisiert dieses Zementwerk die DDR fast so gut wie ein Wachturm an der Grenze. Neben dem Werk schließt sich das Dorf Deuna mit seiner Kirche an, geduckt, so wie das soziale Leben in der DDR außerhalb von Staat und Partei wohl oft war. Davor sehen wir ein abgeerntetes Feld als Ausdruck der öden industriellen DDR Landwirtschaft und einen kahlen Baum. Es ist die Stimmung eines Herbsttages, ganz real, aber auch symbolisch: Etwas ist erschöpft und geht zu Ende. Dahinter rechts die bewaldeten Höhen des Dün, und darüber ganz viel Himmel. Das viele Licht, dem dunkle Wolken Platz machen müssen, zeigt, dass es nach dem Ende hoffnungsfroh weiter geht.

In der Vertikalen gibt es nur ein beherrschendes Motiv: Der DDR Metallgittermast. Warum nur ein einziges so herausgehobenes Objekt in dieser Dimension, wo doch der Maler in den beiden anderen Dimensionen wirklich nicht sparsam ist? Weil, so scheint mir, dieser Mast die zentrale Botschaft des Bildes auf den Punkt bringt. Erinnern Sie sich: Es ist ein Triptychon! Da liegt es doch auf der Hand, worum es geht. Ich führe das gleich aus.

Zuvor zur Diagonalen. Hier, in einer klassischen und dominierenden Diagonale finden wir die Straße, auf der das eigentliche Ereignis stattfindet. Es ist kinderleicht durch wirklich jeden zu erfassen. Es ist der Aufbruch vieler DDR-Bürger in den Westen, nachdem sie in der Nacht die Nachricht vom Mauerfall erreicht hat.

Auf dieser Straße wird es nun ganz symbolträchtig, und zwar auf eine heitere und freundlich ironische Art, die den deutschen Charakter und die deutsche Kunst im Allgemeinen leider nicht auszeichnen. Tylles heitere Ironie ist dabei besonders wahrhaftig und glaubwürdig, weil er noch in DDR-Zeiten intensiv mit Künstlern in der DDR zusammen gearbeitet hat und bis heute einen ehrlichen Respekt vor den Leistungen der Menschen jenseits der Mauer bezeugt.

Der 9. November war ein Aufbruch. Und was sehen wir? DDR-Fahrzeuge im Stau. Der Aufbruch realisierte sich in einem echten, ja epischen Stau. Die Leute sind ausgestiegen, und die Szene ist voller Symbole. Nehmen wir nur die junge Frau auf dem Dach des Trabis mit der Fahne. In ihr wird ein wichtiger Aspekt der zentralen Botschaft des Bildes besonders deutlich vermittelt. Erinnern wir das ikonische Bild von Delacroix „Die Freiheit führt das Volk": Eine junge Frau mit Fahne dominiert das Bild. Unerschrocken, mit  Jakobinermütze und wehender Fahne steigt sie über tote Schergen des Regimes hinweg, am Kopf einer bewaffneten Bürgertruppe. Gegenüber diesem berühmten Bild, das wir alle irgendwie verinnerlicht haben, wird die große Botschaft deutlich: Hier, 1989, ist alles friedlich. Alle warten geduldig, und auch die Fahne bläht sich nur müde auf. Kein Wunder bei dem Loch, den Hammer und Zirkel gelassen haben.

Tylles Bild atmet Friedlichkeit. Es war eine echte Revolution, aber eben eine friedliche Revolution. Das gilt es zu erinnern, denn: Diese Friedlichkeit war ein Wunder! Wer von Ihnen hätte 1988 geglaubt, dass der Sowjetkommunismus friedlich aufgeben würde? Halten wir das fest: Das Bild erzählt ein großes Wunder. Das bleibt tiefer zu deuten, wobei der Mast uns hilft. Dazu sogleich, zuvor noch ein volleres Verständnis von der Bedeutung des Ereignisses.

Vorne rechts sehen wir ein parkendes Auto, das bereits zurückkehrt, mit Bananen, Alditüte, TUI-Katalog, Playboy. Damit identifiziert Tylle ziemlich genau die Insignien der Freiheit für viele Menschen: Gutes Essen (Bananen), Reisen (TUI), Informations- sowie Meinungsfreiheit und Libido (Playboy), günstiges Einkaufen von guten Waren (Aldi). Und: Freiheit von Angst.

Der Tag ist ein Aufbruch in die Freiheit, und das heißt zunächst einmal, dass ein angsteinflößendes Regime seine Autorität verloren hat. Hier haben wir besonders viele ironisch-heitere Symbole: Das zerrissene Bild von Honecker, vor dem sich ein kleiner Junge erleichtert, das zerrissene Plakat vom 40. Jahrestag der DDR-Gründung, das niemanden interessiert, und vor allem: Die „geschändete“ Fahne, deren öffentliches Schwenken sicherlich den Straftatbestand der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole erfüllt, bei uns § 90a StGB. Der Autoritätsverlust der DDR ist so total und die neue Freiheit fehlender Angst vor den Schergen des Regimes ist vollends vollendet, dass die anderen sich noch nicht einmal drum kümmern. 

Der Aufbruch ist hoffnungsfroh. Wir empfinden unter den Menschen eine gute Stimmung. Vor allem aber leitet das Licht uns zu dieser Empfindung: Es gibt noch graue Wolken, aber dahinter ein Sonnenlicht, ein leuchtendes, vielversprechendes Herbstlicht.

Was wurde draus? Das sehen wir rechts und links, die Zeitebene 10 Jahre später. Tylle hält sichere Distanz zu Apologeten jeder Couleur. Wir sehen keine blühenden Landschaften, aber auch keine BRD-Besatzungstruppen, die kaltherzig sozialistische Errungenschaften zerschlagen. Die Wahrheit kommt in leiseren Tönen. Rechts sehen wir einen Neuanfang. Die Fassade renoviert und leuchtend im freundlichen Sonnenlicht. Ein neues Fenster, eine Satellitenschüssel, die kleine USA-Fahne, das Firmenschild deuten auf eine neue Selbständigkeit. Man sieht nicht viel, aber gewinnt irgendwie den Eindruck, dass dort jemand lebt, der sich ein bescheidenes, aber sinnvolles und lichterfülltes Leben hat aufbauen können.

Links sieht es anders aus: Ein unrenovierter Hinterhof, eine Immobilienfirma des Typus, mit dem Viele schlechte Erfahrungen gemacht haben, und der große Leninkopf. Der Autoritarismus ist abgeräumt, aber nicht weg, wie wir heute leider erleben müssen. Viele Dinge sind zu beobachten, weshalb es so gut im Foyer unseres Instituts hängt: Man findet immer wieder etwas Neues und kann darüber ein Gespräch anknüpfen, das leicht zu Forschungsfragen führt, die das Institut beschäftigen.

Das Bild ist voller Botschaften. Was bringt all diese Botschaften zusammen? Diese Frage führt uns zu dem Mast zurück. Erinnern wir uns an die Form: Das Triptychon, also eine klassische Form der Darstellung religiöser Aussagen. Besser gesagt: Christlicher Aussagen. Und eigentlich geht es auch nicht um „Aussagen" im Plural, sondern um die eine zentrale Aussage des Christentums. Diese Aussage nimmt das Bild in seiner Form und allen Details auf und führt es im Hauptbild zusammen in dem ikonischen christlichen Symbol.

Natürlich malt Tylle kein Kreuz. Aber er malt einen Mast, und zwar ziemlich genau da, wo bei einem mittelalterlichen Triptychon das Kreuz steht. Was symbolisiert nun das Kreuz?

Es ist das Versprechen der Erlösung!

Der 9. November war vieles, aber er war vor allem für ganz viele Menschen ein Tag der Erlösung, der Erlösung von einem sehr harschen Regime. Wer ist nun aber der Erlöser? Oder: Was hat die Menschen erlöst? Tylle zeigt es uns nicht. Es oder er oder sie sind über dem Bild.

Vieles kommt in Betracht: Ronald Reagan, der den Sowjetkommunismus totgerüstet hat, Michail Gorbatschow, der den friedlichen Kollaps des Sowjetkommunismus erlaubt hat, der westliche liberale Kapitalismus, der dem Sowjetkommunismus in jeder Hinsicht überlegen war und ihm damit alle Legitimation entzogen hat, das normative Programm des freiheitlichen Westen vom Grundgesetz über die europäischen Verträge, die Europäische Menschenrechtskonvention bis zur UN-Charta, also der Forschungsgegenstand unseres Instituts, der Mut der Menschen der DDR, und die Umsicht, in der sie ihre Revolution gestaltet haben, oder vielleicht doch: Die Gnade Gottes?

Nun werden Sie sagen: Jetzt übertreibt er. In der Tat: In den Ohren vieler mag diese religiöse Dimension als geradezu absurd erscheinen. Aber vergessen wir nicht: Jeden Sonntag lesen tausende von Menschen in den Kirchen Fürbitten. Dass keine Migranten im Mittelmeer ertrinken, dass der Krieg in Syrien ende, dass die Anhänger von Pegida ihren Hass überwinden, und vor 1989 in vielen Kirchen in Ost und West: Dass die Konfrontation zwischen Ost und West, die das Leben auf dem Planeten auszulöschen drohte, überwunden werde. Solche Fürbitten enden stets in dem Anruf: „Herr, unser Gott, wir bitten dich, erhöre uns". Alles Spinner?

Sogar die Linke sagt: Die friedliche Revolution war ein Geschenk des Himmels. Vielleicht hat sie ja Recht?

H.D. Tylle wird gleich sprechen. Ich glaube aber nicht, dass er uns verraten wird, was der obere Teil des Mastes jenseits der Bildgrenze trägt. Denn dann würde er seinem Bild die ultimative Botschaft nehmen, mit dem ich die Deutung des Bildes nun abschließen werde.

Was ist diese ultimative Botschaft des Mastes, dessen Spitze wir nicht sehen können? Dank dieser Gestaltung kann jeder seinen Erlöserglauben in das Bild hineinprojektieren und oben am Mast jenseits des Bildrandes verankern. Wie jedes weltgeschichtliche Ereignis speist die deutsche Einheit viele Deutungen und Erzählungen. Aber jeder, der etwas Phantasie hat, wird auch sehen, dass der Mast auch einen anderen Erlöserglauben symbolisieren kann. Und wird verstehen, dass es kein Mittel gibt herauszubekommen, wer Recht hat. Und dieser Selbstzweifel und die Einsicht in die Berechtigung einer abweichenden Meinung ist die stärkste Grundlage der Freiheit, wie wir sie verstehen. Und deshalb lautet der eigentliche Clou des freiheitlichen Realismus, dass er das Wichtigste verbirgt.

Noch ganz kurz einige Gründe, warum dieses Bild so ungemein gut die Forschung in diesem Haus symbolisiert. Dazu muss man etwas zum Institut wissen. Es versteht sich, wie so vieles in Deutschland, daraus, dass Deutschland zwei Weltkriege verloren hat. Das Institut wurde nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, um wissenschaftliche Expertise aufzubauen, um mit den vielen Rechtsfragen des Versailler Vertrages umzugehen. Deutschlang verfügte über nur noch 100.000 Mann Militär, da waren schlagkräftige Juristen gefragt.

Nichts symbolisiert den verlorenen Zweiten Weltkrieg so sehr wie die deutsche Teilung. Diese Teilung kam mit einer Unmenge an juristischen Fragen genau im Forschungsfeld des Instituts: Der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik für Deutschland, der Status von Berlin-West als Teil der Bundesrepublik, die Rechtsnatur der DDR, die vielen Fragen der Ost- und Entspannungspolitik, aber auch die europäische Einbindung mit der europäischen Integration, mit der NATO und der lernenden Eingliederung in den von den USA als Hegemonialmacht geführten Westen.

Dann kam der Mauerfall. Noch einmal steht ein Ereignis der deutschen Geschichte für einen Übergang in der Weltgeschichte, so wie der Sturm auf die Bastille oder die beiden verlorenen Kriege. Ein deutsches Ereignis als weltgeschichtliche Zäsur, diesmal aber ein positives! Unser Forschungsprogramm nimmt genau das auf, etwa zur Vertiefung der europäischen Integration: Dass man kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland will. Aber auch die globale Dimension wird bei uns intensiv beforscht, denn der Mauerfall steht für den Durchbruch einer amerikanisch geführten Globalisierung, mit den vielen neuen Formen der Global Governance oder der humanitären Interventionen. Diese Epoche ist jetzt zu Ende gegangen, und zurzeit ringen wir damit, wie man die Lehren zweier verlorener Kriege in einer ungewissen Zukunft verdauen kann.

Auch dafür gibt das Bild Hinweise, von denen ich nur zwei abschließend nennen möchte. Wo soll es hingehen? Auf dem Bild: Nach Westen. Bei allen Gefahren in den USA und auch in Frankreich bleibt der Westen doch symbolisch sicher: Uns leitet die Idee der freiheitlichen Demokratie. Und was ist dabei besonders wichtig? Das führt uns zu der Hauptaussage des Bildes zurück: Der stete Zweifel an den eigenen Ergebnissen und die Einsicht, dass die bisweilen so ärgerlichen Ideen der anderen einen berechtigten, ja unerlässlichen Platz haben könnten.