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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


212. EINZELNE REGELN

Nr.86/1 Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, derzufolge die Durchführung eines Strafverfahrens gegen eine Person, die unter Verletzung der Gebietshoheit eines fremden Staates in den Gerichtsstaat verbracht worden ist, gehindert wäre, weil der völkerrechtliche Anspruch des verletzten Staates auf ihre unverzügliche Übergabe bereits entstanden oder schon durch die Verbringung als solche ein völkerrechtlicher Unrechtstatbestand verwirklicht worden ist.
No general rule of public international law prevents criminal proceedings from being instituted against a person taken to the state of the forum in violation of another state's territorial jurisdiction. A legal consequence of this kind does not ensue from the existence of the aggrieved state's right under public international law to have the person promptly returned nor from the fact that the taking of the person as such constituted an international delict.

Bundesverfassungsgericht, (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 3.6.1986 (2 BvR 837/85), NJW 1986, 3021 (ZaöRV 48 [1988], 38)

Einleitung:

      Mit der gegen Strafurteile gerichteten Verfassungsbeschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, er sei zum Zwecke der Strafverfolgung von einem deutschen Polizeibeamten in völkerrechtswidriger Weise aus den Niederlanden nach Deutschland entführt worden. Daraus ergebe sich ein Strafverfolgungshindernis, das die Strafgerichte nicht beachtet hätten. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: Das Rechtsstaatsprinzip und Art.1 Abs.1 GG hätten der Durchführung des Strafverfahrens ebensowenig entgegengestanden wie völkerrechtliche Grundsätze.

Entscheidungsauszüge:

      Das Völkerrecht steht einer Strafverfolgung des Bf. wegen der ihm im Ausgangsverfahren zur Last gelegten Taten nicht entgegen. Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, derzufolge die Durchführung eines Strafverfahrens gegen eine Person, die unter Verletzung der Gebietshoheit eines fremden Staates in den Gerichtsstaat verbracht worden ist, gehindert wäre, weil der völkerrechtliche Anspruch des verletzten Staates auf ihre unverzügliche Übergabe bereits entstanden oder schon durch die Verbringung als solche ein völkerrechtlicher Unrechtstatbestand verwirklicht worden ist. Es ist keine Staatenpraxis nachweisbar, die allgemein und in der Überzeugung geübt würde, daß die Freiheit der Staaten, die in ihrem Hoheitsbereich befindlichen Personen ihrer Strafgerichtsbarkeit in bezug auf solche Sachverhalte zu unterwerfen, die eine gewisse Mindestbeziehung zum eigenen Hoheitsbereich aufweisen, von Völkerrechts wegen in der genannten Weise eingeschränkt ist (BVerfG [Vorprüfungausschuß], ... EuGRZ 1986, 18 ff.; ...). Vorliegend besteht eine sehr enge Beziehung zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland, weil der Bf. deutscher Staatsangehöriger ist und die ihm im Ausgangsverfahren zur Last gelegten Straftaten auf dem Gebiet der Bundesrepublik begangen hat.
      Die Niederlande haben weder die unverzügliche Rücklieferung des Bf. gefordert noch einen vergleichbaren Anspruch geltend gemacht. Offenbleiben kann daher die Frage, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts besteht, wonach die Durchführung eines Strafverfahrens gegen eine Person, die in völkerrechtswidriger Weise in den Gerichtsstaat verbracht worden ist, gehindert wäre, wenn der verletzte Staat ihre unverzügliche Rücklieferung fordert oder einen vergleichbaren Anspruch geltend macht (vgl. BVerfG, aaO).
      Unbeschadet der Frage, ob Auslieferungsbestimmungen überhaupt individualschützende Wirkung entfalten können und sich hieraus ein Strafverfolgungshindernis ergeben kann ... , gewährleisten die einschlägigen Vorschriften dem Bf. keinen Schutz. Die Niederlande hätten den Bf. ... nach Art. 1, 2 Abs. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 (BGBl 1964 II, 1371) ... ausliefern und der Strafverfolgung wegen der dem Bf. im Ausgangsverfahren zur Last gelegten Taten nach Art. 14 Abs. 1 lit. a, Art. 1, 2 Abs. 1 EuAlÜbk zustimmen müssen.