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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


950. ASYLRECHT UND ASYLGRUNDRECHT

Nr.89/3

[a] Folter ist nur asylerheblich, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale eingesetzt oder im Blick auf diese Merkmale in verschärfter Form angewendet wird.

[b] Asyl kann nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet. Der Abschiebungsschutz nach Art.3 EMRK bleibt davon unberührt.

[a] Torture is only relevant as a ground for claiming asylum if it is used because of those characteristics which, if taken as the basis for a person's persecution, identify this persecution as "political".

[b] No one can claim asylum who, having engaged in or supported terrorist activities in his or her home country, intends to continue these activities from the territory of the Federal Republic of Germany in the forms available there. This shall be without prejudice to the protection against expulsion which anybody can claim according to Art.3 ECHR.

Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 20.12.1989 (2 BvR 958/86), BVerfGE 81, 142 (ZaöRV 51 [1991], 203)

Einleitung:

      Der Beschwerdeführer hatte sich in der Türkei als Mitglied einer terroristischen Kurdenorganisation betätigt. Nach seiner Flucht in die Bundesrepublik ist er als militanter Anhänger einer Kurdenorganisation aufgetreten und hat politisch andersdenkende Landsleute mehrfach gewalttätig angegriffen und teilweise erheblich verletzt, wofür er rechtskräftig zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Seine gegen die Ablehnung seines Asylantrags gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg, weil das Bundesverfassungsgericht einen Asylausschlußgrund zu Lasten von aktiven Terroristen annimmt.

Entscheidungsauszüge:

      C. ... I. Der Senat hat bereits entschieden, daß auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung asylrechtsbegründend sein können. Politische Verfolgung im Sinne von Art.16 Abs.2 Satz 2 GG ist also nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Staat separatistische oder politisch-revolutionäre Aktivitäten mit strafrechtlichen Sanktionen bekämpft, um so das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität zu verteidigen. Um derartigen staatlichen Maßnahmen gleichwohl den Charakter politischer Verfolgung zu nehmen, bedarf es zusätzlicher, an objektive Umstände anknüpfender Kriterien.
      1. Ein solches Kriterium ist zunächst der Rechtsgüterschutz. Die staatliche Verfolgung kriminellen Unrechts, also von Straftaten, die sich gegen die Rechtsgüter anderer Bürger richten, ist keine "politische" Verfolgung, und zwar auch dann nicht, wenn die Straftaten aus einer politischen Überzeugung heraus begangen worden sind. Politische Verfolgung liegt auch dann nicht vor, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, daß die Verfolgung einer sich gegen ein politisches Rechtsgut richtenden Tat nicht der mit dem Delikt betätigten politischen Überzeugung als solcher gilt, sondern einer in ihm zum Ausdruck gelangenden zusätzlichen kriminellen Komponente, deren Strafwürdigkeit der Staatenpraxis geläufig ist. Auch hier kann aber politische Verfolgung zu bejahen sein, wenn der Betroffene eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 80, 315 [336f.]).
      2. Das angegriffene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat den Asylanspruch des Beschwerdeführers im Ergebnis nur mit der Begründung verneint, die bei einer Rückkehr in die Türkei drohende staatliche Verfolgung diene allein dem Rechtsgüterschutz. Es billigt demgemäß den Standpunkt des Berufungsgerichts, daß Art.141 Abs.1 und 5 TStGB [Türkisches Strafgesetzbuch] Handlungen mit ausschließlich kriminellem Unrechtsgehalt erfasse. Dem liege die Einschätzung des türkischen Gesetzgebers zugrunde, daß die gesellschaftliche Ordnung der Türkei durch Vereinigungen gefährdet werde, die ein anderes Staats- und Gesellschaftssystem errichten wollten.
      Mit dieser Erwägung durfte jedoch nach dem zuvor Gesagten das Asylbegehren des Beschwerdeführers nicht abgelehnt werden. Der Unrechtsgehalt einer Tat darf gerade nicht durch den Angriff auf das politische Rechtsgut geprägt sein; der Unrechtsgehalt von Handlungen, die nach Art.141 Abs.1 und 5 TStGB mit Strafe bedroht sind, erschöpft sich aber im Angriff auf ein politisches Rechtsgut.
      3. Gleichwohl begründet die Anwendung des Art.141 Abs.1 und 5 TStGB dann keine politische Verfolgung, wenn festgestellt werden kann, daß sein generalklauselartiger Tatbestand nur genutzt wird, um einen Angriff auf Rechtsgüter anderer Bürger in der bei der Ahndung solcher Taten üblichen Intensität zu bestrafen. Indessen: Selbst wenn diese Feststellung getroffen werden könnte, dürfte deshalb allein ein Asylbegehren noch nicht abgelehnt werden. Denn auch in diesem Falle ist nämlich politische Verfolgung möglich, wenn ein nach Art.141 Abs.1 und 5 TStGB Verfolgter in der Polizeihaft mit der Anwendung von Folter rechnen muß, die über das Maß hinausgeht, das in den türkischen Gefängnissen Personen zu befürchten haben, die dort wegen krimineller Delikte inhaftiert sind. Zwar ist eine unmenschliche Behandlung wie die Folter als solche nach Wortlaut und Sinn des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG nicht asylerheblich. Wird sie jedoch wegen asylrelevanter Merkmale eingesetzt oder im Blick auf diese Merkmale in verschärfter Form angewendet, ist sie also nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit auf die politische Komponente der dem Betroffenen zur Last gelegten Taten bezogen, knüpft sie an die von ihm betätigte politische Überzeugung an und ist demgemäß asylerheblich. Sie trifft ihn wegen seines Angriffs auf ein politisches Rechtsgut und damit wegen seiner sich auf diese Weise offenbarenden Gefährlichkeit für die Staatseinheit und die politischen Grundlagen des Staates.
      Davon geht im Ergebnis auch das Bundesverwaltungsgericht aus. Es bemerkt nämlich, daß das Verhalten der Sicherheitskräfte an die Gefährlichkeit von Bestrebungen anknüpfe, die sich gegen den Bestand des Staates und die Integrität des Staatsgebiets richteten. Die daraus gezogene Folgerung, dieses Verhalten sei damit asylrechtlich unerheblich, weil es von der Furcht einer Destabilisierung der Staats- und Gesellschaftsordnung und nicht von einem Mißfallen an dem Inhalt der politischen Überzeugung des Straftäters als solcher geprägt sei, ist jedoch mit Art.16 Abs.2 Satz 2 GG nicht vereinbar. Die subjektiven Gründe und Motive, die den Verfolgenden bei seinen Maßnahmen leiten, sind für die Asylerheblichkeit dieser Maßnahmen nicht von Belang ... Ebensowenig kommt es darauf an, ob die härtere Behandlung politischer Straftäter auf deren "weit geringere Neigung" zurückzuführen ist, sich der Folter durch ein Geständnis, durch die Weitergabe von Informationen oder durch Unterwerfung unter militärische Disziplinaranforderungen zu entziehen. Selbst wenn dies zutreffen sollte, so diente das Vorgehen der Sicherheitskräfte doch dem Zweck, einen Widerstand zu brechen, der allein von einer politischen Überzeugung gespeist ist, die sich in einem Angriff auf ein politisches Rechtsgut bereits betätigt hat.
      4. Auch wenn nach dem Vorstehenden der politische Charakter drohender Verfolgung zu bejahen sein sollte, kann ein Asylbegehren an einer weiteren Grenze der Asylverheißung des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG scheitern. Sie liegt dort, wo der Asylsuchende seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt hat. Eine solche Art des politischen Kampfes wird von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich mißbilligt. Maßnahmen des Staates zur Abwehr des Terrorismus sind deshalb keine politische Verfolgung, wenn sie dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne oder demjenigen gelten, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen. Allerdings kann auch in derartigen Fällen eine asylerhebliche Verfolgung vorliegen, sofern zusätzliche Umstände - etwa die besondere Intensität der Verfolgungsmaßnahmen - für eine solche Annahme sprechen ...
      Unabhängig davon gilt: Es liegt außerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen. Demgemäß kann Asyl nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet; er sucht nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Das Asylrecht hat zu seinem Grundgedanken, demjenigen Zuflucht zu gewähren, der sich wegen (ihm drohender) politischer Verfolgung in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfGE 74, 51 [64]). Der lebens- oder existenzbedrohende politische Kampf soll ein Ende haben, der vor politischer Verfolgung Flüchtende soll (wieder) den Schutz einer übergreifenden staatlichen Friedensordnung finden, aus der ihn der verfolgende Staat ausgegrenzt hat.
      Ob ein asylsuchender Flüchtling, der in seinem Heimatland seine politische Überzeugung mit terroristischen Mitteln betätigt hat, sein bisheriges, dem Bereich des Terrorismus zuzurechnendes, gegen den Heimatstaat gerichtetes Tun fortsetzen will, beurteilt sich insbesondere auch danach, inwieweit sein Handeln in der Bundesrepublik Deutschland geprägt ist durch die Betätigung in oder für Organisationen und Vereinigungen, die ihrerseits die Durchführung oder Unterstützung terroristischer Aktivitäten zum Ziel haben. Hierbei ist freilich zu beachten, daß der Flüchtling seine politische Überzeugung in der Bundesrepublik Deutschland bekunden und im Rahmen der Grenzen, die ihm die hier geltende Rechtsordnung zieht, auch betätigen darf. Die bloße Bekundung von Sympathie, die einseitige Parteinahme, das Werben um Verständnis für die von politisch Gleichgesinnten im Heimatland verfolgten politischen Ziele oder vergleichbare, auf die Beeinflussung des "Meinungsklimas" ausgerichtete Verhaltensweisen sind daher noch nicht geeignet, einen Asylanspruch auszuschließen.
      II. ... 2. Der Beschwerdeführer hat nach seiner Flucht in die Bundesrepublik Deutschland den politischen Kampf aus der Sicherheit des von ihm gewählten Fluchtortes in einer Weise fortgesetzt, die sich ... nach wie vor als aktive Unterstützung terroristischer Aktivitäten darstellt ...
      IV. Gegen den Beschwerdeführer besteht eine unanfechtbare Abschiebungsandrohung, die eine vorbehaltlose Abschiebung in die Türkei nicht ausschließt. Im Blick auf Art.3 EMRK hat die Ausländerbehörde gleichwohl zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in die Türkei abgeschoben werden darf, ohne daß sichergestellt ist, daß er weder der Folter noch unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird.