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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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1050. EUROPÄISCHES AUSLIEFERUNGSÜBEREINKOMMEN VOM 13.12.1957 (BGBl. 1964 II S.1371)

Art.11

Nr.87/1

[a] Art.11 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens regelt nicht, welche Stelle des ersuchten Staates zuständig ist zu prüfen, ob eine ausreichende Zusicherung des ersuchenden Staates über die Nichtvollstreckung der Todesstrafe vorliegt.

[b] Nach deutschem Recht hat das Oberlandesgericht im Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung diese Prüfung vorzunehmen. Dazu wird in der Regel die Einholung einer Auskunft der Bundesregierung erforderlich sein.

[a] Art.11 of the European Convention on Extradition does not specify which authority of the requested state is competent to review whether an assurance by the requesting state concerning the non-execution of a death sentence is sufficient.

[b] Under German law, the state superior court has to undertake such a review in the proceedings on the admissibility of extradition. It will usually have to seek information from the federal government about the matter.

Bundesgerichtshof, Beschluß vom 13.1.1987 (4 ARs 22/86), BGHSt 34, 256 (ZaöRV 48 [1988], 744)

Einleitung:

      Die türkische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland hatte um die Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen ersucht, der in der Türkei u.a. wegen Mordes und Mordversuchs gesucht wurde, wofür ihm die Todesstrafe drohte. Das OLG Hamm beabsichtigte, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, weil nach seiner Ansicht keine ausreichende Zusicherung der Türkei darüber vorlag, daß die Todesstrafe nicht vollstreckt würde. An einer solchen Entscheidung sah es sich jedoch durch einen Beschluß des OLG Frankfurt gehindert, wonach die Frage, ob der ersuchende Staat eine ausreichende Zusicherung gegeben hat, nicht vom Gericht im Zulässigkeitsverfahren, sondern von der Bundesregierung im Bewilligungsverfahren zu prüfen ist. Auf Vorlage nach §42 Abs.1 IRG entschied der Bundesgerichtshof im Sinne des OLG Hamm.

Entscheidungsauszüge:

      III. ...1. Zutreffend geht das Oberlandesgericht davon aus, daß Art.11 EuAlÜbk keine Bestimmung darüber enthält, welche Stelle des ersuchten Staates für die Prüfung zuständig ist, ob eine ausreichende Zusicherung über die Nichtvollstreckung der Todesstrafe vorliegt.
      a) Ein völkerrechtlicher Vertrag begründet grundsätzlich nur Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, also der beteiligten Staaten untereinander, überläßt jedoch dem einzelnen Vertragsstaat deren Umsetzung in das innerstaatliche Recht ... Dieser Grundsatz gilt auch für das Europäische Auslieferungsübereinkommen, wie sich schon aus dessen Artikel 1 ergibt, der Sinn und Zweck des Übereinkommens aufzeigt und damit "generelle Bedeutung für das Übereinkommen als Ganzes" hat (Explanatory report on the European Convention on Extradition zu Art.1). Danach haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, einander gemäß den einzelnen Vorschriften und Bedingungen des Übereinkommens die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel gesucht werden. Daraus folgt, daß das Übereinkommen grundsätzlich nur Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten als die Auslieferung gewährende, also als ersuchte Staaten begründen, jedoch - von besonders bezeichneten Ausnahmen abgesehen (vgl. z.B. BGHSt 33, 310, 315/316) - nicht deren Umsetzung in das innerstaatliche Recht regeln will. Das gilt auch, soweit es sich um die innerstaatliche Zuständigkeit für die Ausübung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag handelt. Da zu deren Regelung für die Vertragsstaaten im Hinblick auf das mit dem Übereinkommen verfolgte Ziel keine Veranlassung bestand, kommt hierfür auch keine Ausnahme von diesem Grundsatz in Betracht. Das Europäische Auslieferungsübereinkommen hat damit insoweit die gleiche Reichweite wie das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRH Übk), für das der Bundesgerichtshof diese Frage bereits so entschieden hat (BGHZ 87, 385, 390/391) ...
      Die Frage, welche Stelle des ersuchten Staates zu prüfen hat, ob eine als ausreichend zu erachtende Zusicherung des ersuchenden Staates darüber vorliegt, daß die Todesstrafe nicht vollstreckt werde, ist danach allein nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen (vgl. Art.22 EuAlÜbk) ...
      2. ... c) ... [§8 IRG] verfolgt den Zweck, die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, wie sie in dessen Art.102, durch den die Todesstrafe abgeschafft worden ist, ihren Niederschlag gefunden haben, im Auslieferungsverkehr zur Geltung zu bringen und die zunehmenden internationalen Bemühungen um eine Zurückdrängung der Todesstrafe auch in diesem Bereich zu unterstützen ... Diesem Zweck kann das Auslieferungsverfahren nur dann voll gerecht werden, wenn die Prüfung, ob eine ausreichende Zusicherung der Nichtvollstreckung einer in Betracht kommenden Todesstrafe vorliegt, nicht einer von politischen Erwägungen geleiteten Ermessensentscheidung überlassen bleibt, so gewissenhaft diese auch getroffen werden mag, sondern allein der Entscheidung des Gerichts vorbehalten ist ... Nur wenn alle politischen Erwägungen, wie sie sich für die Regierung aus den Beziehungen zum ersuchenden Staat ergeben können, entfallen, ist der von §8 IRG bezweckte bestmögliche Schutz des Verfolgten vor dem Vollzug der Todesstrafe gewährleistet ...
      3. Diese Prüfung mag - wie die Prüfung, ob dem Verfolgten im Falle der Auslieferung politische Verfolgung droht (vgl. BVerfGE 63, 215, 227/228) - für das Oberlandesgericht nicht unerhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich bringen. Denn die Beurteilung einer vom ersuchenden Staat nach Art.11 EuAlÜbk abgegebenen Zusicherung wird häufig nicht ohne nähere Kenntnis der dort herrschenden innerstaatlichen Verhältnisse möglich sein. Das Oberlandesgericht wird deshalb in einem solchen Fall in der Regel gehalten sein, eine Auskunft der Bundesregierung, der die Pflege der auswärtigen Beziehungen obliegt (Art.32 Abs.1 GG), einzuholen ... Das kann aber nichts daran ändern, daß nicht die Bundesregierung, sondern das Gericht zur Entscheidung über diese Frage berufen ist.