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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1130. SONSTIGE INTERNATIONALE MENSCHENRECHTSNORMEN

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7.3.1966 (BGBl.1969 II S.962)

Nr.93/1

Die Deutsche Bundespost - Postdienst - darf die Beförderung von ausländerfeindlichen Massendrucksachen verweigern, weil sie sonst gegen das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7.3.1966 verstoßen würde.

The German Federal Postal Administration - Postal Service - may refuse the conveyance of xenophobic bulk printed matter because otherwise it would violate the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination of 7 March 1966.

Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluß vom 22.2.1993 (9 G 300/93 [1]), NJW 1993, 2067 (ZaöRV 55 [1995], 869) (rechtskräftig)

Einleitung:

      Die Antragstellerin, eine Kandidatin der NPD für die Kommunalwahl in Frankfurt im Jahre 1993, versuchte, auf dem Postwege eine Massendrucksache mit Wahlwerbung zu versenden. Darin wandte sie sich gegen weiteren Ausländerzuzug und behauptete, daß zwei Drittel aller Straftaten in Frankfurt von Ausländern begangen würden und 80% aller Drogenhändler Asylbewerber seien. Man könne nicht mehr von Gewalt gegen Ausländer sprechen, vielmehr sei es umgekehrt. Die Deutsche Bundespost - Postdienst - lehnte die Beförderung der Massendrucksache ab, weil ihr Inhalt in wesentlichen Punkten gegen §130 StGB (Straftatbestand der Volksverhetzung) verstoße. Der Antrag der Kandidatin, die Post im Wege einer einstweiligen Anordnung nach §123 Abs.1 Satz 2 VwGO zur Beförderung zu verpflichten, hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, daß die Antragsgegnerin ihre Massendrucksache befördert.
      Grundlage für einen Beförderungsanspruch kann nur §8 Abs.1 PostG sein, wonach jedermann zur Inanspruchnahme der Einrichtungen des Postdienstes berechtigt ist. Dieses Recht besteht jedoch nicht ohne Einschränkungen. Nach §8 Abs.2 PostG darf die Antragsgegnerin die Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen u.a. dann verweigern, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Interesses notwendig ist. Eine solche Notwendigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Antragsgegnerin oder ihre Bediensteten bei Durchführung der Beförderung selbst gegen geltendes Recht verstoßen oder jedenfalls den Tatbestand von Strafrechtsnormen rechtswidrig erfüllen würden. Deshalb regelt auch §6 Abs.1 PostV, der insoweit eine Konkretisierung des §8 Abs.2 PostG darstellt, daß Briefsendungen, deren Inhalt gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt, von der Postbeförderung ausgeschlossen sind.
      Die Antragsgegnerin verstieße bei Durchführung der Beförderung als staatliche Einrichtung gegen die Vorschriften der Art.2 Abs.1 und Art.4 des Internationalen Übereinkommens vom 7.3.1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, das durch Gesetz vom 9.5.1969 (BGBl.II S.961) in innerstaatliches Recht transformiert und ausweislich der Bekanntmachung vom 16.10.1969 (BGBl.II S.2211) am 15.6.1969 für die Bundesrepublik in Kraft getreten ist und als Bestandteil des Bundesrechts unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugt (Art.59 Abs.2 GG ...)
      Nach Art.2 Abs.1 lit.a dieses Übereinkommens sind die Vertragsstaaten verpflichtet, Handlungen oder Praktiken der Rassendiskriminierung gegenüber Personen, Personengruppen und Einrichtungen zu unterlassen und dafür zu sorgen, daß alle Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln. Nach Art.2 Abs.1 lit.b sind die Vertragsstaaten weiter verpflichtet, Rassendiskriminierungen durch Dritte weder zu fördern noch zu schützen noch zu unterstützen. Nach Art.4 lit.c des Übereinkommens sind sie verpflichtet, nicht zuzulassen, daß Behörden oder öffentliche Einrichtungen die Rassendiskriminierung fördern oder dazu aufreizen.
      Die Antragsgegnerin verstieße im Falle der Beförderung der streitbefangenen Massendrucksache gegen diese Bestimmungen, weil sich die Drucksache in wesentlichen Passagen als Rassendiskriminierung i.S. des Art.1 Abs.1 des Übereinkommens darstellt bzw. zur Rassendiskriminierung aufreizt (vgl. Art.4 Halbsatz 1 und 2 des Übereinkommens). Nach Art.1 Abs.1 des Übereinkommens ist unter Rassendiskriminierung jede auf der Rasse, Hautfarbe, Abstammung, dem nationalen Ursprung oder Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung zu verstehen, die zum Ziel oder zur Folge hat, daß dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird. Entscheidend ist, daß der Tatbestand der Rassendiskriminierung durch jede, also auch durch eine nur verbale Unterscheidung erfüllt sein kann und nicht nur durch faktische oder rechtliche Beschränkung oder Bevorzugung.
      Die streitbefangene Massendrucksache trifft ... Unterscheidungen in diesem Sinne. [Es] ... werden Ausländer pauschal kriminalisiert. Dem Wort "multikulturell" wird dieselbe Bedeutung beigelegt wie dem Wort "multikriminell". Die nicht einmal nur unterschwellige Botschaft lautet also: Ausländer sind kriminell. ... [Es] ... wird darüber hinaus das Thema "Gewalt gegen Ausländer" in verfälschender Weise aufgegriffen und behauptet, es gebe diese Gewalt gar nicht, vielmehr müsse man umgekehrt von einer Gewalt gegen Deutsche ausgehen, die von Ausländern ausgehe. Durch diese Aussagen wird suggeriert, es handele sich bei Ausländern um einen abgesonderten, minderwertigen und kriminellen Teil der Bevölkerung, gegen den gewissermaßen ein "Notwehrrecht" nahegelegt und damit Gewalt gegen Ausländer gerechtfertigt wird.
      Indem das Wahlinfo darüber hinaus einen Zusammenhang mit dem Wohnungsmangel in Frankfurt herstellt, wird suggeriert, daß dieser ohnehin schon vermeintlich minderwertige und gefährliche Bevölkerungsteil zudem noch der deutschen Bevölkerung den Wohnraum streitig macht und damit existentielle Interessen jedes Bürgers bedroht. Damit wird massiv darauf hingewirkt, in den Adressaten des Infos eine feindselige Haltung gegen ausländische Mitbürger zu erzeugen oder anzuheizen und weiteren Nährboden für eine Ausgrenzung dieser Bevölkerungsgruppe und tätliche Angriffe auf Leib und Leben von Ausländern zu schaffen, wodurch diese in der Ausübung und im Genuß ihrer fundamentalen Menschenrechte und Grundfreiheiten gehindert und beeinträchtigt werden. ...
      Die Verweigerung der Inanspruchnahme des Postdienstes durch die Antragstellerin ist nach §8 Abs.2 PostG auch deshalb im öffentlichen Interesse notwendig, weil die Bediensteten der Antragsgegnerin, sofern sie Weisungen zur Ausführung des Auftrages erteilen oder als Zusteller die Massendrucksache den Haushalten überbringen, selbst Straftatbestände verwirklichen würden. Das Wahlinfo erfüllt nämlich auch den Straftatbestand der Aufstachelung zum Rassenhaß nach §131 StGB. Danach wird, wer Schriften, die zum Rassenhaß aufstacheln, verbreitet oder liefert, mit Freiheitstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Jeder einzelne Zusteller wäre als Täter dieser Straftat strafrechtlich zu verfolgen. Da er vom Inhalt der Massendrucksache auch Kenntnis haben dürfte, weil sie unverschlossen ist und ferner davon auszugehen ist, daß die Vorgänge um diese Massendrucksache in der Belegschaft des Frankfurter Postdienstes bekannt sind, werden sie sich auch nicht mit der Behauptung tatsächlicher Unkenntnis entlasten können.
      Die Bediensteten der Antragsgegnerin würden sich im übrigen aufgrund der ihnen zu unterstellenden Kenntnis des Inhalts der Massendrucksache auch der Straftat der Beihilfe zur Volksverhetzung (§§27, 130 StGB) schuldig machen, weil das Wahlinfo der Antragstellerin ... nicht nur die Menschenwürde anderer angreift, indem es zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt und eine ganze Bevölkerungsgruppe verleumdet, sondern dies auch in einer Weise geschieht, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.