Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


231.1. INNERSTAATLICHE ANWENDBARKEIT VON EINZELNEN VERTRÄGEN

Übereinkommen Nr.29 der Internationalen Arbeitsorganisation über Zwangs- oder Pflichtarbeit vom 28.6.1930 (BGBl.1956 II S.640)

Nr.91/1 Das ILO-Übereinkommen Nr.29 schließt die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen gegen einen Strafgefangenen nicht aus, der sich weigert, innerhalb der Justizvollzugsanstalt in einem Unternehmerbetrieb zu arbeiten.
ILO Convention No.29 does not preclude taking disciplinary action against a prisoner who refuses work in a private enterprise established within a penal institution.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluß vom 23.9.1991 (Vollz [Ws] 11/91), NStZ 1992, 53 (ZaöRV 53 [1993], 369 f.)

Einleitung:

      Der Antragsteller war als Strafgefangener innerhalb der Justizvollzugsanstalt einem Unternehmerbetrieb zu Arbeit zugewiesen worden. Als er diese Arbeit verweigerte, wurde gegen ihn Disziplinarmaßnahmen angeordnet. Seine Rechtsbeschwerde gegen die seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückweisende Entscheidung des Landgerichts blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Die Entscheidung des Landgerichts beruht schließlich auch nicht im Hinblick auf §41 Abs.3 StVollzG auf einer Verletzung des Gesetzes. Von dem Antragsteller ist eine Arbeit in einem sogenannten Unternehmerbetrieb verlangt worden. Nach der genannten Vorschrift bedarf eine solche Beschäftigung der Zustimmung des Gefangenen. Die Vorschrift ist bisher nicht in Kraft getreten. Gemäß §198 Abs.4 StVollzG sollte durch den Gesetzgeber bis zum 31.12.1983 über das Inkrafttreten dieser Norm befunden werden. Das ist bis heute nicht geschehen.
      Das Landgericht hat zu Recht angenommen, daß der Antragsteller durch die Verweigerung der Arbeit in dem Unternehmerbetrieb seine Arbeitspflicht schuldhaft verletzt hat. §41 Abs.3 StVollzG trägt einer internationalen Vereinbarung Rechnung: Während eine Verdingung der Gefangenen lange als unbedenklich galt, vertrat die Sachverständigenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) die Auffassung, daß sie nur mit Zustimmung des Gefangenen zulässig sei (Art.2 Nr.2c des Internationalen Übereinkommens Nr.29 vom 28.6.1930, dem die Bundesrepublik 1956 beigetreten ist, BGBl.II, 640). Da die Bundesländer im Falle der sofortigen Geltung des §41 Abs.3 StVollzG Schwierigkeiten bei der Beschäftigung in Unternehmerbetrieben bzw. bei der Ersetzung von Unternehmerbetrieben durch Eigenbetriebe befürchteten, sollte diese Bestimmung erst später in Kraft treten, um den Ländern eine ausreichende Übergangsfrist einzuräumen.
      Unter Bezugnahme auf diese Entstehungsgeschichte hat das Landgericht zu Recht ausgeführt, daß auch der dieser noch nicht geltenden Vorschrift immanente Grundgedanke im vorliegenden Fall nicht dazu führt, daß der Antragsteller die Arbeit in dem Unternehmerbetrieb verweigern dürfe. Das Übereinkommen der ILO bezweckte, den Handel mit menschlicher Arbeitskraft (Verdingung) zu unterbinden. Das Abkommen zielte insbesondere ab auf Formen von Zwangs- und Sklavenarbeit Inhaftierter ...
      Diese Voraussetzungen erfüllt eine aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung nach den geltenden Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes verlangte Arbeit nicht. Der Gefangene wird im Unternehmerbetrieb weder dem Unternehmer noch dem Werkbeamten zu deren freien Verfügung unterworfen. Seine Rechte und Pflichten richten sich weiterhin nach dem Strafvollzugsgesetz. Fürsorge und Verantwortung der Anstaltsleitung für ihn werden nicht eingeschränkt (§156 Abs.2 StVollzG). Das von §41 Abs.3 StVollzG verfolgte Ziel wird deshalb im vorliegenden Fall durch Arbeit des Antragstellers in dem Unternehmerbetrieb ... nicht in Frage gestellt.
      Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die Untätigkeit des Gesetzgebers die Verpflichtung der Bundesrepublik aus dem Übereinkommen Nr.29 verletzt. Dieser Umstand kann ... im Rahmen der Ermessensentscheidung nach §37 Abs.2 StVollzG wenigstens nicht Berücksichtigung finden in der Weise, daß eine Zuweisung zu Unternehmensbetrieben nur mit Zustimmung des betroffenen Gefangenen erfolgen darf. Die Vollzugsbehörde übt ihr Ermessen sachgerecht aus, wenn sie die Ziele des ILO-Abkommens prüft und berücksichtigt. Der Gesichtspunkt, "die Bundesrepublik nicht in völkerrechtliche Schwierigkeiten zu bringen" ..., hat im Rahmen der Ermessensausübung keine Bedeutung, wie sich aus dem Gesetzestext ergibt.