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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


231.1. INNERSTAATLICHE ANWENDBARKEIT VON EINZELNEN VERTRÄGEN

Übereinkommen Nr.97 der Internationalen Arbeitsorganisation über Wanderarbeiter vom 1.7.1949 (BGBl.1959 II S.87/1960 II S.2204)

Nr.91/1 [a] Der völkerrechtliche Charakter des ILO-Übereinkommens Nr.97 schließt nicht aus, daß ein Ausländer aus ihm unmittelbar Rechte herleitet.
[b] Dauernd zugelassen im Sinne des Art.8 Abs.1 des Übereinkommens ist ein Wanderarbeiter nur, wenn ihm außer dem Aufenthalt auch die Beschäftigung im Aufnahmeland nach den innerstaatlichen Vorschriften auf Dauer gestattet ist.
[a] The public international law character of ILO Convention No.97 does not preclude an alien from deriving individual rights from its guarantees.
[b] A migrant worker can only be considered as "admitted on a permanent basis" in the sense of Art.8 (1) of the Convention, if he or she has not only been granted a permanent resident status under national law but also a permanent right to work in his or her country of residence.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.5.1991 (1 C 20.89), InfAuslR 1991, 268 (ZaöRV 53 [1993], 389 f.)

Einleitung:

      Der Kläger, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, arbeitete von 1968 bis zu seiner Arbeitslosigkeit 1981 in der Bundesrepublik Deutschland. Er besitzt zwar eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, jedoch seit 1984 keine Arbeitserlaubnis mehr. Seit 1985 bezieht er Sozialhilfe. Mit seiner Klage wendet er sich unter Berufung auf Art.8 des ILO-Übereinkommens Nr.97 gegen die nachträgliche Befristung seiner Aufenthaltserlaubnis und die Androhung seiner Abschiebung.

Entscheidungsauszüge:

      3. Der nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht das Übereinkommen Nr.97 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 1. Juli 1949 über Wanderarbeiter ... -IAOÜbk - entgegen ...
      a) Der völkerrechtliche Charakter des IAOÜbK schließt nicht aus, daß ein Ausländer aus dem Übereinkommen unmittelbar Rechte herleitet. Wie der Senat [bereits früher] ... ausgeführt hat, führt die Transformation eines völkerrechtlichen Vertrages durch ein Zustimmungsgesetz zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsnorm, wenn diese nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, also dafür keiner weiteren normativen Ausfüllung bedarf. Diese Voraussetzungen sind für die in Art.8 Abs.1 IAOÜbK getroffene Regelung über die Zurückbeförderung dauernd zugelassener Wanderarbeiter erfüllt.
      b) Nach Art.8 Abs.1 IAOÜbK darf ein dauernd zugelassener Wanderarbeiter im Fall der Berufsunfähigkeit infolge einer nach seiner Ankunft eingetretenen Erkrankung oder eines nach seiner Ankunft erlittenen Unfalls in sein Heimatland oder in das Land, aus dem er ausgewandert ist, nur zurückbefördert werden, wenn er es wünscht oder wenn für das beteiligte Mitglied geltende internationale Verträge eine solche Zurückbeförderung vorsehen. Nach Art.11 IAOÜbK gilt im Sinne dieses Übereinkommens als Wanderarbeiter eine Person, die aus einem Land in ein anderes Land auswandert, um sich dort anders als für eigene Rechnung zu betätigen; der Ausdruck umfaßt jede als Wanderarbeiter ordnungsgemäß zugelassene Person.
      c) Die dauernde Zulassung eines Wanderarbeiters setzt voraus, daß dem Arbeitnehmer der Aufenthalt und die Beschäftigung im Aufnahmeland auf Dauer gestattet ist.
      aa) Entgegen der von Bunte (InfAuslR 1990, 49 [52]) vertretenen Auffassung läßt sich dem Übereinkommen nicht entnehmen, daß ein Wanderarbeiter nach 5jährigem Aufenthalt stets als dauernd zugelassen gilt. Nach Art.8 Abs.2 IAOÜbK kann, falls Wanderarbeiter bei ihrer Ankunft im Einwanderungsland sofort dauernd zugelassen werden, die zuständige Stelle dieses Landes bestimmen, daß die Vorschriften des Absatzes 1 erst nach Ablauf einer angemessenen Frist wirksam werden, deren Dauer fünf Jahre, gerechnet vom Zeitpunkt der Zulassung der betreffenden Wanderarbeiter, keinesfalls überschreiten darf. Diese Vorschrift begründet schon nach ihrem Wortlaut nicht die dauernde Zulassung eines Wanderarbeiters nach fünf Jahren, sondern gestattet einem Vertragsstaat lediglich, bei sofortiger dauernder Zulassung eines Wanderarbeiters die Anwendbarkeit des Art.8 Abs.1 IAOÜbK bis zum Ablauf von fünf Jahren aufzuschieben.
      bb) Neben dem Aufenthalt muß auch die Beschäftigung des Wanderarbeiters auf Dauer zugelassen sein. Denn Art.8 Abs.1 IAOÜbK setzt die dauernde Zulassung des Wanderarbeiters voraus. Der Begriffsumschreibung des Wanderarbeiters in Art.11 Abs.1 2. Halbsatz IAOÜbK läßt sich entnehmen, daß der Betroffene "als" Wanderarbeiter ordnungsgemäß zugelassen sein muß. Bei einer allein aufenthaltsrechtlich zu verstehenden Regelung hätte es nahegelegen, die in Art.6 Abs.1 IAOÜbK verwendete Formulierung "die zum Aufenthalt in seinen Gebietsgrenzen befugten Einwanderer" zu verwenden. Für die hier vertretene Auslegung des Art.8 Abs.1 IAOÜbK spricht ferner der Umstand, daß das Übereinkommen von der Internationalen Arbeitsorganisation ausgearbeitet worden ist, daß es in erster Linie Vergünstigungen in bezug auf ein Arbeitsverhältnis gewährt (vgl. Art.6 Abs.1 Buchst. a bis d IAOÜbK) und daß aus dem Übereinkommen "die Arbeitsmarktverwaltung und andere für Wanderungsfragen zuständige Stellen" der Signatarstaaten verpflichtet werden (vgl. Art.7 IAOÜbK).
      d) Was die dauernde Zulassung eines Wanderarbeiters im einzelnen erfordert, bestimmt sich, da das Übereinkommen Nr.97 hierzu keine Vorschriften enthält, nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Vertragsstaates. ... [Es wird ausgeführt, daß hierzu nach dem deutschen Recht eine unbefristete Arbeitserlaubnis erforderlich ist.] ...
      4. Der nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht das Rückschaffungsverbot in Art.6 Abs.a des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.Dezember 1953 (BGBl.1956 II S.563/1958 II S.18) entgegen. Denn dieses Rückschaffungsverbot begünstigt nur Staatsangehörige der Vertragsstaaten, zu denen Jugoslawien ... nicht gehört.