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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


389. INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION (ILO)

Nr.87/1

Ein Disziplinarverfahren gegen einen Beamten wegen Verstoßes gegen die Verfassungstreuepflicht braucht nicht ausgesetzt zu werden bis zum Abschluß eines ILO-Untersuchungsverfahrens darüber, ob die "Extremisten"-Praxis in der Bundesrepublik Deutschland mit dem ILO-Übereinkommen Nr.111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vereinbar ist.

Disciplinary proceedings against a civil servant concerning a violation of his duty of loyality to the constitution need not be suspended until the conclusion of an ILO investigation as to whether the practice in the Federal Republic of Germany not to admit political extremists to or retain them in the civil service is compatible with the ILO Convention No.111 concerning Discrimination in Respect of Employment and Occupation.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.1.1987 (1 D 114.85), VBlBW 1988, 61 (ZaöRV 48 [1988], 722)

Einleitung:

      In einem Disziplinarverfahren mit dem Ziel, einen Beamten wegen Verletzung seiner Verfassungstreuepflicht aus dem Dienst zu entfernen, hatte der Beamte die Verfahrensaussetzung beantragt, um den Abschluß eines ILO-Untersuchungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung des ILO-Übereinkommens Nr.111 abzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht sah dafür keinen Anlaß.

Entscheidungsauszüge:

      Unbegründet ist auch der Antrag des Beamten, das Disziplinarverfahren bis zum Abschluß des derzeit bei der Internationalen Arbeitsorganisation - ILO - anhängigen Verfahrens auszusetzen, das die Vereinbarkeit der bisherigen "Extremisten"-Praxis in der Bundesrepublik Deutschland mit dem ILO-Übereinkommen Nr.111 - Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf - (BGBl. 1961 II S.97 ff.) zum Gegenstand hat. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 10.5.1984 (BVerwGE 76, 157) im einzelnen ausgeführt, daß die Anhängigkeit dieses Verfahrens bei der ILO keinen Anlaß bietet, das Disziplinarverfahren gemäß §17 Abs.2 BDO bis zur Vorlage des Berichts des Untersuchungsausschusses über diesen Gegenstand auszusetzen (ebenso Urt. v. 12.3.1986, NJW 1986, 3096 ...). Hieran ist festzuhalten. Die Beurteilung, die der Untersuchungsausschuß nach Art.28 der Verfassung der ILO (BGBl. 1957 II S.317) über die Frage abgibt, ob das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Gebot der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst und die bei einem Verstoß hiergegen gezogenen dienstrechtlichen Konsequenzen mit dem ILO-Übereinkommen Nr.111 vereinbar sind, ist nicht im Sinne des §17 Abs.2 BDO für die Entscheidung in dem vorliegenden Disziplinarverfahren von Bedeutung. Zwar entspricht es dem Zweck dieser Bestimmung als einer dem Fortgang des Disziplinarverfahrens dienenden "Nützlichkeitsvorschrift", den Kreis der Rechtsfragen, die in einem anderen Verfahren zu entscheiden sind, nicht eng zu ziehen ... Rechtsfragen, die der Entscheidung in dem Disziplinarverfahren nicht förderlich sind, gehören indessen von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des §17 Abs.2 BDO, denn sie können keine Vorwirkung für den Ausgang des Verfahrens entfalten. Das trifft auch für den Bericht des Untersuchungsausschusses nach Art.29 ILO-Verfassung zu. Er könnte nicht etwa die verbindliche Festlegung völkerrechtlicher Pflichten der Bundesrepublik enthalten, die auch bei Anwendung und Auslegung des innerstaatlichen Rechts zu beachten wären. Vielmehr käme ihm, wie Art.29 Abs.2 ILO-Verfassung klarstellt, nur die Wirkung einer Empfehlung an die Regierung des betreffenden Mitgliedstaates zu, die die empfohlene Maßnahme treffen kann, wobei es ihr im Fall der Ablehnung freisteht, ob sie den Streitfall dem Internationalen Gerichtshof unterbreiten will, dessen Entscheidungen ebenfalls nur Empfehlungen enthalten können (Art.33 ILO-Verfassung).
      Daraus folgt, daß Empfehlungen des Untersuchungsausschusses keine das innerstaatliche Recht unmittelbar ändernde Wirkung haben. Sie begründen bei deren Annahme durch die betreffende Regierung lediglich die Verpflichtung, die zu ihrer Verwirklichung erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen einzuleiten. Nicht hingegen hat der demnächst erwartete Bericht des Untersuchungsausschusses, der die Durchführung des Übereinkommens Nr.111 in der Bundesrepublik Deutschland prüfen soll, für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens in der Weise vorgreifliche Bedeutung, daß der Senat an die darin zum Ausdruck kommende Rechtsansicht bei Bestimmung des Inhalts der beamtenrechtlichen Treuepflicht, um die es hier geht, gebunden wäre, dies auch nicht unter dem Gesichtspunkt völkerrechtskonformer Auslegung innerstaatlichen Rechts. Richtig ist zwar, daß die Gerichte zur Beachtung völkerrechtlicher Vorgaben jedenfalls insoweit verpflichtet sind, als ihnen das innerstaatliche Recht Auslegungspielräume läßt. Hier ist diejenige Lösung zu wählen, die mit völkerrechtlichen Verträgen in Einklang steht. Ein solcher Auslegungsspielraum besteht jedoch in bezug auf die letztlich aus Art.33 Abs.5 GG herzuleitende besondere politische Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Staat und seiner Verfassung nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluß vom 22.5.1975 (BVerfGE 39, 334 [355]) klargestellt, daß die Treuepflicht des Beamten für jedes Beamtenverhältnis gilt und einer Differenzierung je nach Art der dienstlichen Obliegenheiten des Beamten nicht zugänglich ist. Einer Empfehlung des Untersuchungsausschusses, die darauf hinausliefe, den im Arbeitsrecht geltenden funktionsbezogenen Treuebegriff auch für die Beamten anzuwenden, stünde sonach Verfassungsrecht entgegen und [sie] kann deshalb nicht zur Auslegung des §52 Abs.2 BBG herangezogen werden. Was von Verfassungs wegen geboten ist, kann nicht durch Normen des Völkerrechts hinfällig werden (BVerwGE 76, 157 [163]).