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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Christiane E. Philipp


VI. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

a) Begriff

       Auch im Jahre 1993 mußte das Bundesverfassungsgericht erneut bei der Entscheidung mehrerer Verfassungsbeschwerden den Begriff der politischen Verfolgung klären.

       26. Im Hinblick auf die geltend gemachte politische Verfolgung durch Mudjaheddin in Afghanistan führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 6.8.1993 (2 BvR 1654/93= NVwZ-Beilage 2/93, 9 ff.) aus, es sei aufgrund des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 23.6.1993 davon auszugehen, daß Personen, die als Gegner der jeweiligen lokalen Machthaber bekannt würden, gefährdet seien. Eine eventuelle politische Verfolgung könne auch an einer vom Verfolger bloß vermuteten abweichenden politischen Anschauung ansetzen. Auch die vom Antragsteller behauptete "Verwestlichung" vermöge angesichts der Islamisierungstendenzen Ansatzpunkte für eine Gegnerschaft der Mudjaheddin zu sein. Ebenfalls sei nicht von vornherein auszuschließen, daß eine eventuelle Verfolgung durch die Mudjaheddin als eine den Asylanspruch auslösende quasi-staatliche Verfolgung zu qualifizieren sei.

       27. Im Hinblick auf einen Asylbewerber aus Togo entschied das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 27.7.1993 (2 BvR 1516/93 = NVwZ-Beilage 3, 1993, 2), daß das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu Unrecht seine Begründung auf die Stellungnahme des UNHCR vom 7.7.1993 gestützt habe. Nach dieser müßten "ausgewiesene Anhänger der Opposition bzw. solche Personen, die das Regime von Lomé dafür halte, bei einer Rückkehr nach Togo mit einer menschenrechtswidrigen Behandlung rechnen". Zu Unrecht habe das VG den Antragsteller nicht zu diesem Personenkreis gezählt. Diese Feststellung sei nicht nachvollziehbar. Die Stellungnahme des UNHCR enthalte vielmehr die Einschätzung, daß "im Fall einer Abschiebung nach Togo die [also alle] betroffenen Personen einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wären". Es lasse sich mithin nicht ausschließen, daß das Verwaltungsgericht bei hinreichender, den verfassungsrechtlichen Anforderungen (Art. 3 Abs. 1 GG) rechnungtragender Würdigung jener Stellungnahme zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

       28. Mit Beschluß vom 27.9.1993 (2 BvR 2041/93 = NVwZ-Beilage 3, 1993, 19 ff.) erklärte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines pakistanischen Staatsangehörigen hinsichtlich des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtes für zulässig und offensichtlich begründet. Das Verwaltungsgericht habe es versäumt, das Vorbringen des Antragstellers unter dem Gesichtspunkt des Politmalus zu würdigen (vgl. dazu BVerfGE 80, 315 [338] = NVwZ 1990, 151; BVerfGE 81, 142 [150] = NVwZ 1990, 453). Der Antragsteller habe geltend gemacht, im Rahmen des auf ihn zukommenden Strafverfahrens drohe ihm speziell deshalb Willkür und Mißhandlung, weil er als politischer Gegner wegen einer politisch motivierten Tat, die sich unmittelbar gegen die Anhänger der regierungstragenden Kräfte gerichtet habe, verfolgt werde. Angesichts der vom Antragsteller in Bezug genommenen Auskünfte des Auswärtigen Amtes (Lagebericht Pakistan vom 28.4.1993, 514–516, 80/3) reiche die Feststellung des Verwaltungsgerichtes, es gebe keine Erkenntnisse, daß die pakistanische Justiz ihre Unabhängigkeit verloren habe, nicht aus. Vielmehr sei ob des Lageberichtes davon auszugehen, daß die pakistanische Justiz, die eine Trennung zwischen Judikative und Exekutive bei den Untergerichten nicht kenne und deren Richter auf lokaler Ebene häufig dem Druck einflußreicher Personen ausgesetzt seien, nur über eine begrenzte Unabhängigkeit verfüge. Da der Antragsteller unbestrittenermaßen Mitglied der PPP (Pakistan People's Party) sei und Mitglieder dieser Partei im Zusammenhang mit Wahlen immer wieder willkürlich verhaftet und dabei einzelne Personen auch schwer mißhandelt würden, seien Mißhandlung und Folter in Polizeistationen und in Gefängnissen an der Tagesordnung. Im Hinblick auf diese Auskünfte könne die "lapidare" und nicht weiter belegte Bemerkung des Verwaltungsgerichtes zur Unabhängigkeit der pakistanischen Justiz die Verneinung einer Verfolgungsgefahr des Antragstellers nicht begründen.

       29. In seinem Beschluß vom 11.5.1993 (2 BvR 1989/92, 55/93, 250/93 = InfAuslR 1993, 310 ff.) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß eine Verfolgung dann politischer Natur sei, wenn sie dem einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt eine Rechtsverletzung zufüge, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenze. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliege, die Verfolgung mithin wegen eines Asylmerkmals erfolge, sei anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgten dabei leiten würden. Allein mit dem Hinweis auf die staatliche Motivation – Bekämpfung der PKK – könne das Verwaltungsgericht daher die Asylerheblichkeit der Übergriffe durch die türkische Armee auf die einheimische Zivilbevölkerung nicht ablehnen. Auch soweit das Verwaltungsgericht der Auffassung gewesen sein sollte, Angriffe gegen die PKK dienten allein der Separatismus- bzw. der Terrorismusbekämpfung und seien aus diesem Grund nicht asylerheblich, wäre dies verfassungsrechtlich nicht ohne weiteres haltbar. Die staatliche Verfolgung von Taten, die wie separatistische Aktivitäten aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellten, könne grundsätzlich politische Verfolgung sein. Dies gelte auch dann, wenn der Staat hierdurch das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seine politische Identität verteidige. Es bedürfe einer besonderen Begründung, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen. Auch wenn die Abwehr terroristischer Angriffe hierfür grundsätzlich in Betracht komme, könne dennoch eine asylrelevante politische Verfolgung gegeben sein. Dies gelte namentlich für Aktionen eines bloßen Gegenterrors, die zwar der Bekämpfung des Terrorismus und eines ihn aktiv unterstützenden Umfeldes gelten könnten, aber darauf ausgerichtet seien, die an den bestehenden Konflikt nicht unmittelbar beteiligte zivile Bevölkerung, im Gegenzug zu den Aktionen des Terrorismus, unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen. Im Hinblick auf etwaige sogenannte Amtswalterexzesse stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß nach seiner bisherigen Rechtsprechung zwar vereinzelte Exzeßtaten von Amtswaltern dem Staat nicht zurechenbar seien, entsprechende Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten könnten, habe das Verwaltungsgericht jedoch nicht getroffen28.

       30. Gegenstand des nicht rechtskräftigen Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 23.7.1993 (Az 8 BZ 93.30413 = BayVBL 1993, 751 ff. = ZAR 1993, 179 ff.) war Art. 89 des Vietnamesischen Strafgesetzbuches29. Gemäß § 51 Abs. 1 AuslG30 darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Abschiebungsschutz genießt demnach ein Ausländer, wenn ihm objektiv und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (vgl. BVerwG vom 13.8.1990 = NVwZ-RR 1991, 215). Das Gericht führte aus, daß nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt davon auszugehen sei, daß die Klägerin den Tatbestand des Art. 89 des Vietnamesischen Strafgesetzbuches (VStGB) – unerlaubtes Verbleiben im Ausland – erfülle. An der Gefahr, bei einer Rückkehr nach Vietnam nach dieser Strafvorschrift belangt zu werden, habe das zwischenzeitlich in Kraft getretene Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam über Finanzhilfen zur Existenzgründung und beruflichen Eingliederung von Fachkräften der Sozialistischen Republik Vietnam31 nichts rechtserheblich geändert. Auch die Auskunftslage über die Verhältnisse in Vietnam sei nicht eindeutig. Berichten über eine liberalere Haltung auch gegenüber Rückkehrern stünden Analysen gegenüber, die von einer weiterhin repressiven, auf Machterhaltung gerichteten Haltung von Regierung und Partei in Vietnam ausgingen. Dennoch sei eine möglicherweise drohende Bestrafung nach Art. 89 des Vietnamesischen Strafgesetzbuches keine politische Verfolgung im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG. Soweit die Klägerin eine Bestrafung wegen "Republikflucht" nach Art. 89 VStGB befürchte, berufe sie sich nicht auf drohende politische Verfolgung. Im Gegensatz zum VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 31.8.1992 Az. A 16 S 1055/92) hielt der erkennende Senat die der sogenannten Republikfluchtrechtsprechung zugrundeliegenden Annahmen nicht mehr für berechtigt. Die Verhandlungen vor dem erkennenden Senat hätten eher das Bild bestätigt, daß die Machthaber in Vietnam gezielt gegen prominente Oppositionelle vorgingen, an der massiven Verfolgung einer großen Zahl von Tätern wegen Insubordinationstatbeständen aber nicht interessiert seien. Wenn wiederholt vorgebracht worden sei, Art. 89 VStGB trage bereits wegen Art und Ausmaß der angedrohten Strafe das Merkmal politischer Verfolgung in sich, so könne dem der Senat nicht zustimmen. Ebenso wie das Asylrecht vermittle der Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nur demjenigen ein Bleiberecht, der im Verfolgerstaat aus bestimmten Gründen einer ausweglosen Situation ausgesetzt sei. Dies bedeute, daß die Gefahr einer, aus deutscher Sicht, überharten Strafe oder in die individuelle Lebensführung zu weit eingreifenden Maßregel nicht ohne weiteres Schutz vor politischer Verfolgung nötig mache. Es komme auf die letzte Schranke an, die die Würde des Menschen jeder staatlichen Gewalt setze, und bei deren Überschreitung immer Schutz zu gewähren sei. Diese werde von Art. 89 VStGB nicht berührt. Soweit in diesem Zusammenhang auf die Menschenrechtswidrigkeit der allgemeinen Einschränkung der Reisefreiheit hingewiesen werde, sei zu bemerken, daß eine mit den allgemeinen anerkannten Menschenrechten unvereinbare Regelung eines Staates nicht ohne weiteres als Asylgrund angesehen werden könne. Ein von westlichen Vorstellungen abweichendes, historisch begründetes und im Bewußtsein der Menschen eines Kulturkreises verankertes Verständnis der Rolle des Individuums in Gesellschaft und Staat möge den Gedanken subjektiver Freiheitsrechte grundsätzlich widerstreiten und damit auch Beschränkungen der Freizügigkeit als "normal", d.h. nicht als im Sinne einer politischen Verfolgung ausgrenzenden Eingriff erscheinen lassen. Es sei jedoch nicht die Aufgabe des Asylrechts, weitreichende Standards eines demokratischen Rechtsstaates durchzusetzen. Asylgewährung und Abschiebungsschutz seien für diejenigen Menschenrechtsverletzungen vorzubehalten, die nach dem aufklärerischen Ansatz der westlichen Staatenwelt schlechthin unerträglich seien. Dazu zähle die nicht diskriminierende Verweigerung von Ausreisefreiheit schwerlich, zumal dieser nach den anerkannten Menschenrechten kein – garantiertes – Recht auf Einreise in einen anderen Staat korrespondiere.



      28 Vgl. zu diesem Themenbereich ebenfalls Rädler (Anm. 11), 506.

      29 Vgl. hierzu ibid., 509 f.

      30 Siehe Anm. 24.

      31 BGBl. 1994 II, 78.