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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Christiane E. Philipp


VI. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

b) Gruppenverfolgung

       31. In seinem nichtveröffentlichten Urteil vom 30.9.1993 (8 L 4413/91) befand der 8. Senat des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes darüber, ob den Klägern allein wegen der Asylantragstellung im Bundesgebiet eine politische Verfolgung in Jugoslawien drohe und eine Abschiebung in das Krisengebiet Kosovo derzeit aus humanitären Gründen ausgeschlossen sei. Die Kläger sind Angehörige der Volksgruppe der Albaner. Diese aus der serbischen Provinz Kosovo stammenden Angehörigen der albanischen Volksgruppe seien, so daß Gericht, gegenwärtig im Kosovo, wo die Kläger vor ihrer Ausreise gelebt hätten und wohin sie zurückkehren würden, einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Die Lage der ethnischen Albaner im Kosovo habe sich seit Anfang des Jahres 1992 nachhaltig verschlechtert. Sie stelle sich gegenwärtig als Verfolgung einer Volksgruppe dar, die regelmäßigen Mißhandlungen, Folterungen und Körperverletzungen mit Todesfolge durch die serbische Polizei und die staatlichen serbischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sei. Die ethnischen Albaner im Kosovo würden außerdem bei Bestrafung durch Schnellrichter der Administration mit erhöhten Strafmaßen belegt. Mißhandlungen würden dabei nicht nur an politisch aktiven, sondern immer öfter an völlig unbeteiligten Albanern im Kosovo auf der Tagesordnung stehen. Vielfach würden im Zusammenhang mit Hausdurchsuchungen pauschal alle Hausbewohner unabhängig davon, ob Waffen gefunden wurden oder nicht, vor oder nach einer Durchsuchung brutal geschlagen und mißhandelt. Diese Verfolgungsmaßnahmen stellten eine unmittelbare Verfolgung des serbischen Staates gegenüber ethnischen Albanern dar. Diese festzustellenden Übergriffe gegen ethnische Albaner stellten politische Verfolgungsmaßnahmen dar, weil sie nach dem jüngsten Erkenntnisstand ganz überwiegend nur noch an die Zugehörigkeit der Opfer zur Volksgruppe der Albaner anknüpften und damit wegen eines asylerheblichen Merkmales erfolgten. Der Senat habe keinen Zweifel daran, daß die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen ethnische Albaner asylerhebliche Intensität aufweise. Das Erkenntnismaterial belege, daß die unmittelbare staatliche Verfolgung der ethnischen Albaner im Kosovo jedenfalls gegenwärtig die einer Gruppenverfolgung kennzeichnende Intensität aufweise. Der Senat sei davon überzeugt, daß die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen einem Serbisierungsprogramm der serbischen Regierung für das Kosovo folge und im Grundsatz auf alle ethnischen Albaner im Kosovo abziele. Auch sei davon auszugehen, daß ethnische Albaner aus dem Kosovo in anderen Teilen Serbiens und Montenegros – abgesehen von der ihnen dort drohenden Verfolgung durch die serbischen Sicherheitsbehörden – bei generalisierender Betrachtung auf unabsehbare Zeit ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hätten.

       32. Anders entschied das OVG Münster in seinem Urteil vom 8.11.1993 (13 A 2486/92.A = NVwZ 1994, Heft 6, 602 ff.). Der Senat hielt in seinem Urteil daran fest, daß auch die neueren Entwicklungen des Verhältnisses zwischen dem albanischen Bevölkerungsteil des Kosovo und den dortigen serbisch besetzten Sicherheitsorganen die an eine Gruppenverfolgung zu stellenden Anforderungen noch nicht erfüllen. Die als Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Stellen hier in Betracht kommenden Aktionen richteten sich in ihrer erkennbaren Mehrzahl immer noch gegen die Forderung der Kosovo-Albaner nach Errichtung einer unabhängigen Republik Kosovo bzw. gegen albanische Aktivitäten – darunter auch schon die Bekundung albanischen Volkstums und albanischer Gebräuche und sonstiger kultureller Tätigkeiten –, die serbischerseits bereits bei harmlosen Anlässen als Ausdruck eines albanischen Separatismus angesehen würden, und nicht allein gegen die ethnische Volkszugehörigkeit der Albaner. Trotz der Förderung von serbischen und montenegrinischen Ansiedlungen im Kosovo und trotz des Austausches von Albanern gegen Serben auf dem Arbeitsmarkt sei den betroffenen Albanern nach wie vor ein menschenwürdiges Existenzminimum verblieben. Auch der VGH Mannheim lehnte in seinem Urteil vom 2.9.1993 (A 14 S 482/93 = NVwZ-RR 1994, 117 ff.) eine Gruppenverfolgung der Kosovo-Albaner ab.

       33. In seinem Beschluß vom 4.3.1993 (2 BvR 1440, 1559 und 1782/92 = DVBl. 1993, 599 = NVwZ-RR 1993, 511 ff.) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß gerade Jeziden in der Türkei unter den Maßnahmen der Sicherheitskräfte im Zusammenhang mit der Separatismusbekämpfung zu leiden hätten und bejahte damit die Frage der Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Jeziden.

       34. In seinem Urteil vom 13.5.1993 (9 C 59/92 = NVwZ, Heft 12, 1993, 1210 ff.) stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, daß die srilankischen Streitkräfte als Mittel der Kriegsführung die tamilische Volksgruppe oder Teile derselben zumindest im Sommer 1990 politisch verfolgt hätten. Damit bejahte es zumindest für diesen Zeitraum eine Gruppenverfolgung der Tamilen in Sri Lanka.