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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Christiane E. Philipp


VI. Asylrecht

4. Drittstaaten-Regelung

       41. Im Hinblick auf die mit Art. 16a Abs. 2 GG eingeführte Problematik der Drittstaaten-Regelung führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 13.10.1993 (2 BvR 888/93 = InfAuslR 1993, 390 = NVwZ 1994, 160 ff.) aus, daß Art. 16a Abs. 2 GG nur auf Fälle anzuwenden sei, in denen der Ausländer nach dem 30.6.1993 in den Geltungsbereich des Grundgesetzes eingereist sei. Dies ergebe sich schon aus der in der Vorschrift vorausgesetzten zeitlichen Abfolge (" ... wer aus ... einreist ... "). Die Regelung gehe mithin davon aus, daß der verfassungsändernde (bei den EG-Mitgliedstaaten) oder einfache (bei den anderen Drittstaaten) Gesetzgeber konstitutiv mit dem Gesetzesbeschluß über die Sicherstellung der Anwendung der beiden dort genannten Konventionen für die Zeit ab Inkrafttreten der Neuregelung entscheide. Art. 16a Abs. 2 GG stelle damit nach Wortlaut und Sinnzusammenhang allein auf den aktuellen Vorgang der Einreise aus einem sicheren Drittstaat und nicht darauf ab, daß der Ausländer irgendwann in der Vergangenheit aus einem Staat eingereist war, der jetzt als sicherer Drittstaat anzusehen sei. Dies finde seine Bestätigung in der Übergangsregelung des § 87a Abs. 1 AsylVfG 199333, der § 26a AsylVfG von der Anwendung auf vor dem 1.7.1993 gestellte Asylanträge ausnehme.

       42. Aus der Fülle der 1993 ergangenen Urteile/bzw. Beschlüsse zur Asylablehnung wegen Einreise aus einem sogenannten sicheren Drittstaat seien hier einige kurz erwähnt. Im Hinblick auf die Schweiz, die zu den Ländern gehört, die als sogenannte sichere Drittstaaten auf der Liste der Anlage 1 zu § 26a Abs. 2 AsylVfG stehen, stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 10.8.1993 (2 BvR 1644-93 = NVwZ-Beilage 2, 1993, 11 f.) fest: Voraussetzung sei hierfür, daß gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG in diesem Staat die Anwendung des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt sei. Dies bedeute im wesentlichen, daß der Betroffene nicht befürchten müsse, von diesem Drittstaat aus – und sei es über weitere Drittstaaten – letztlich in ein Land abgeschoben zu werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sei, oder in dem ihm aus sonstigen Gründen eine menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Diese Ausführung wiederholte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 26.10.1993 (2 BvR 2315/93 = NVwZ-Beilage 1, 1994, 3 f.) im Hinblick auf Österreich. Damit wies es die Ausführungen des Antragstellers zurück, der geltend gemacht hatte, daß die österreichischen Behörden unter Berufung auf den Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Nr. 3 Österreichisches Asylgesetz 1991 Flüchtlinge, die, wie er, über Ungarn eingereist seien, dorthin zurückschöben, und er dort als Flüchtling aus einem außereuropäischen Land nicht Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren habe (siehe hierzu den von Ungarn bei der Hinterlegung der Beitrittsurkunde zur Genfer Flüchtlingskonvention erklärten Vorbehalt, BGBl. 1989 II, 636).

       Im Hinblick auf die Qualifizierung Frankreichs als sicherer Drittstaat entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 28.9.1993 (2 BvQ 37/93 = NVwZ Beilage 3, 1993, 17 f.) im Falle eines algerischen Staatsangehörigen, der von Algerien nach Paris reiste und von dort weiter in die Bundesrepublik Deutschland und hier die Anerkennung als Asylberechtigter beantragte, daß Frankreich zu den Ländern gehöre, die von Verfassungs wegen als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft zu den sicheren Drittstaaten gerechnet werden könnten (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG). Der Antragsteller habe nicht substantiiert geltend gemacht, daß ihm entgegen der Annahme des verfassungsändernden Gesetzgebers in Frankreich die Gefahr drohen würde, in ein Land abgeschoben zu werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht wäre, oder in dem ihm aus sonstigen Gründen eine menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Er habe sich auf das Vorbringen beschränkt, die Franzosen wollten keine Algerier mehr, und in Frankreich herrsche Rassismus. Hieraus ergebe sich nicht, daß dem Antragsteller die Weiterschiebung nach Algerien drohe, sollte er in Frankreich einen Asylantrag stellen oder seine Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention beantragen.

       43. In seinem Beschluß vom 13.9.1993 (2 BvR 1938/93 = NVwZ- Beilage 2, 1993, 11 ff.) entschied das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf eine irakische Staatsangehörige, die aus Griechenland kommend auf dem Flughafen Frankfurt am Main, wo sie sich seit dieser Zeit im Transitbereich aufhielt, daß sich nur in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren klären lasse, ob Art. 16a Abs. 2 GG im Falle tatsächlich festgestellter fehlender Schutzbereitschaft eines Drittstaates (hier Griechenland) im Hinblick auf Art. 16a Abs. 1 GG einschränkend ausgelegt werden könne, und ob sich bei geltend und glaubhaft gemachter drohender menschenrechtswidriger Behandlung im Heimatstaat aus anderen Verfassungsbestimmungen wie z.B. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ein Abschiebungs- und Rückweisungsverbot ergebe34.



      33 BGBl. 1993 I, 1361.

      34 Die Entscheidung in diesem Falle steht noch aus. Sie wird für 1995 erwartet. Vgl. dazu im übrigen A. Zimmermann, Das neue Grundrecht auf Asyl, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 115 (1993/94), 291 ff.