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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Christiane E. Philipp


IX. Europäische Gemeinschaften

2. Diskriminierungsverbot

       65. Die Vereinbarkeit von § 110 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (Art. 7 EWG-Vertrag a.F.) und der Gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 f. EWG-Vertrag), war Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichtes Hamburg (EuZW 1992, 712L) an den Gerichtshof. Über dieses entschied der EuGH nunmehr mit Urteil vom 1.7.1993 (Rs C 20/92 = EuZW 1993, 514 ff.) (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Entscheidungen des Oberlandesgerichtes München (EuZW 1993, 199 = NJW 1993, 865) und OLG Düsseldorf (EuZW 1993, 326), sowie P. Rädler, Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1992, ZaöRV 54 [1994], 536).

       Im Ausgangsfall ging es um die Klage eines englischen Anwaltes, der nach englischem Recht zum Testamentsvollstrecker bestellt worden war und in Deutschland klageweise die Auskehr von Nachlaßvermögen geltend gemacht hatte. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatte daraufhin die Leistung einer Prozeßkostensicherheit gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 ZPO verlangt. Nach dieser Bestimmung haben Angehörige fremder Staaten, die als Kläger vor einem deutschen Gericht auftreten, dem Beklagten auf sein Verlangen wegen der Prozeßkosten Sicherheit zu leisten.

       § 110 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmt jedoch, daß diese Verpflichtung nicht gilt, wenn der Kläger Angehöriger eines Staates ist, der von einem deutschen Staatsangehörigen keine derartige Sicherheitsleistung verlangt. Art. 14 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928, das mit Wirkung vom 1.1.195344 wieder in Kraft gesetzt wurde, sieht vor, daß die Angehörigen eines Vertragsstaates von der Zahlung der Prozeßkostensicherheit im anderen Vertragsstaat nur dann befreit sind, wenn sie dort ihren Wohnsitz haben. Im übrigen befreit das Pariser Europäische Niederlassungsübereinkommen vom 13.12.195545 alle Angehörigen der Vertragsstaaten von diesem Erfordernis unter der bloßen Voraussetzung, daß sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben. Diese Bestimmung gilt jedoch nicht für die Angehörigen von Staaten, die im Rahmen von Art. 27 des Abkommens einen Vorbehalt gemacht haben. Dieses ist für das Vereinigte Königreich der Fall. Wegen dieses Vorbehaltes kam dem Kläger die Befreiung nach dem Pariser Abkommen nicht zugute. Da er in Deutschland keinen Wohnsitz hatte, konnte er sich auch nicht auf das bilaterale deutsch-britische Abkommen berufen. Das Landgericht Hamburg war der Auffassung, daß der Ausgang des Rechtsstreites von der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes abhänge und ersuchte daher den Gerichtshof um Vorabentscheidung. Das Gericht wollte wissen, ob die Art. 7 Abs. 1, 59 und 60 EWG-Vertrag a.F.46 es einem Mitgliedstaat verbieten, von einer in Ausübung ihres Berufes handelnden Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, die vor einem inländischen Gericht klagt, die Zahlung einer Prozeßkostensicherheit zu verlangen, nur weil sie Angehörige eines anderen Mitgliedstaates ist.

       Vorab erinnerte der EuGH daran, daß das Diskriminierungsverbot nach Art. 7 EWG-Vertrag seine Wirkung im Anwendungsbereich des EWG-Vertrages "unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages" entfalte. Damit verweise Art. 7 EWG-Vertrag insbesondere auf andere Bestimmungen des Vertrages, die das allgemeine Verbot des Art. 7 EWG-Vertrag für besondere Anwendungsfälle konkretisierten47.

       Somit sei für die Beantwortung der gestellten Vorabentscheidungsfrage zunächst festzustellen, ob Tätigkeiten der im Ausgangsverfahren vorliegenden Art, bei denen der Erbringer und der Empfänger im selben Mitgliedstaat niedergelassen seien, die Dienstleistung selbst jedoch in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werde, in den Anwendungsbereich der Art. 59 und 60 EWG-Vertrag fallen würden48. Werde eine solche Dienstleistung von einer in Ausübung ihres Berufes handelnden Person und somit, wie in Art. 60 EWG-Vertrag vorausgesetzt, in der Regel gegen Entgelt erbracht, komme der Grundsatz der Gleichbehandlung des Art. 59 EWG-Vertrag zur Anwendung. Sodann sei festzustellen, daß es eine durch die Art. 59 und 60 EWG-Vertrag verbotene unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle, wenn ein Mitgliedstaat von einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates, der als Testamentsvollstrecker eine Klage vor einem inländischen Gericht erhebe, die Zahlung einer Prozeßkostensicherheit verlange, während eine solche Voraussetzung für seine Staatsangehörigen nicht gelte. Mithin seien Art. 59 und 60 EWG-Vertrag dahin gehend auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat verbieten, von einer in Ausübung ihres Berufes handelnden Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, die vor einem inländischen Gericht klagte, die Zahlung einer Prozeßkostensicherheit zu verlangen, nur weil sie Angehörige eines anderen Mitgliedstaates ist. Zur weitergehenden Frage des Landgerichtes Hamburg, ob durch das Bestehen internationaler Abkommen, die auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhen und in bestimmten Fällen die Befreiung von der Zahlung der streitigen Sicherheitsleistung vorsehen, die Anwendung des EWG-Vertrages beeinflußt werden könne, führte das Gericht aus: Der nach ständiger Rechtsprechung im Gemeinschaftsrecht verankerte Anspruch auf Gleichbehandlung könne nicht davon abhängen, ob zwischen den Mitgliedstaaten ein Gegenseitigkeitsabkommen bestehe49. Schließlich stellte das Gericht fest, der Umstand, daß der Ausgangsrechtsstreit dem Erbrecht zuzuordnen sei, könne die Anwendung des im Gemeinschaftsrecht verankerten Rechtes auf freien Dienstleistungsverkehr gegenüber einer in Ausübung ihres Berufes handelnden Person, die mit der Angelegenheit betraut sei, nicht ausschließen.



      44 BGBl. 1953 II, 116.

      45 BGBl. 1959 II, 998.

      46 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957, BGBl. II, 766.

      47 Mit Hinweis auf EuGH, Slg. 1989, 195 – Rechtssache Cowan.

      48 Mit Hinweis auf EuGH, Slg. I 1991, 659 Tz 10 – Kommission – Frankreich; EuGH, Slg. I 1991, 709 Tz.9 – Kommission – Italien; EuGH, Slg. I 1991, 727 Tz.10 – Kommission – Griechenland = EuZW 1991, 352.

      49 Mit Hinweis auf EuGH, Slg. 1972, 457 – Frilli; EuGH, Slg. 1989, 195 = NJW 1989, 2183 – Cowan.