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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Christiane E. Philipp


IX. Europäische Gemeinschaften

4. Freizügigkeit

       69. Mit Urteil vom 27.1.1993 (11 C 2/92 = NVwZ 1994, 375 ff.) entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß für die Zeit vor dem Inkrafttreten des 12. BAföG-Änderungsgesetzes51 einem Auszubildenden, der die persönlichen Voraussetzungen des § 8 BAföG nicht erfüllte, ein Anspruch auf Ausbildungsförderung direkt aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft52 zustehe. Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, daß der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seiner Entscheidung die Tragweite des Rechtes der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere den Anwendungsbereich von Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68, verkannt habe. In der Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, daß das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 7 Abs. 2 EWG-Vertrag a.F. beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechtes für einen ausländischen Auszubildenden keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung vermittele (EuGH, Slg. 1988, 3161 = NJW 1988, 2165; EuGH, Slg. 1988, 3205 – Brown). Anders als der Zugang zur Berufsausbildung (vgl. dazu EuGH, Slg. 1985, 593 = NJW 1985, 2085 – Gravier) falle die Ausbildungsförderung nicht in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrages im Sinne von dessen Art. 7. Grundlage für den Anspruch des Klägers sei jedoch Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68, die Regelungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft enthalte. Da der deutsche Gesetzgeber die sich hieraus ergebenden Anforderungen, wie sie der EuGH im Urteil vom 21.6.1988 (EuGH, Slg. 1988, 3161 = NJW 1988, 2165) dargelegt habe, bis zum Inkrafttreten des mit dem 12. BAföG-Änderungsgesetzes eingeführten § 8 Abs. 1 Nr. 6 BAföG nicht in das nationale Recht umgesetzt habe, sei die genannte Vorschrift des Gemeinschaftsrechtes, der nach Art. 189 Abs. 2 EWG-Vertrag allgemeine, verbindliche und unmittelbare Geltung zukomme, als Anspruchsgrundlage für eine Förderung heranzuziehen.

       70. Mit Beschluß vom 25.11.1993 (3 L 3811/93.KO = InfAuslR 1993, 97 f.) entschied das Verwaltungsgericht Koblenz im Hinblick auf § 7 Abs. 1 und § 1 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz/EWG53, daß eine nach nigerianischem Stammesrecht in Vertretung der abwesenden Verlobten durch die Väter geschlossene Ehe wirksam sei und somit für den Ehegatten mit nigerianischer Staatsangehörigkeit ein abgeleitetes EG-Freizügigkeitsrecht begründe. Nach § 7 Abs. 1 werde Freizügigkeit auch Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt. Familienangehörige im Sinne des Gesetzes seien gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 unter anderem der Ehegatte einer in § 1 Abs. 1 Nr. 1–4 Aufenthaltsgesetz/EWG genannten Person.

       71. Erstmals entschied mit dem Landgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 18.1.1994 ( dieses Urteil wird ob seiner Bedeutung bereits in diesem Bericht besprochen) (2/14 O 392/93 = EuZW, 1994, 511 f.) – soweit ersichtlich – ein nationales Gericht eines EU-Mitgliedstaates in der Hauptsache rechtskräftig über die Vereinbarkeit der Ausländerklausel eines Sportverbandes mit dem Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 48 EWG-Vertrag. In dem Rechtsstreit ging es unter anderem um die Ausländerklausel in der Wettspielordnung des deutschen Tischtennisbundes e.V. (Nr. B 9.3 lit. b). Danach ist in Mannschaften, die an offiziellen Meisterschafts- und Pokalspielen teilnehmen, nur eine bestimmte, je nach Spielsystem unterschiedliche Zahl von Ausländern spielberechtigt. Das Gericht entschied, daß Nr. B 9.3 lit. b Wettspielordnung nicht gegen Art. 48 des EWG-Vertrages verstoße. Das sich aus Art. 7 i.V.m. Art. 48 EWG-Vertrag ergebende Diskriminierungsverbot binde nicht nur die staatlichen Behörden, sondern gelte auch für verbandsinterne kollektive Regelungen im Arbeits- und Dienstleistungsbereich.

       Nr. B 9.3 lit. b Wettkampfordnung stelle eine Beschränkung der Tätigkeit ausländischer Spieler dar. Jeder Spieler könne nur dann eingesetzt werden, wenn nicht bereits ein anderer ausländischer Spieler der Mannschaft angehöre. Dennoch verstoße diese Vorschrift deshalb nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, weil die Beschränkung der Teilnahme ausländischer Spieler an Punktspielen der 1. Bundesliga und an Pokalspielen nicht auf wirtschaftlichen, sondern auf sportlichen Gründen beruhe, und nicht weiter reiche als die sportlichen Gründe dies rechtfertigten. Derartige Beschränkungen seien jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH zulässig. (Slg. 1976, 1333 = NJW 1976, 2068 L-Dona).



      51 Gesetz vom 22.5.1990, BGBl. I, 936.

      52 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 – ABl. Nr. L 257/2, zuletzt geändert durch Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 – ABl. Nr. L 245/1.

      53 Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, i.d.F. der Bekanntmachung vom 31.1.1980 (BGBl. I, 116), zuletzt geändert durch Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9.7.1990 (BGBl. I, 1354).