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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Volker Röben


IX. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

b) Religiöses Existenzminimum

       49. Das VG Kassel entschied mit Urteil vom 21.1.1995 (8 E 9160/91.A (2) - InfAuslR 1996, 238) im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur politischen Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit1 über die Eheschließung einer Iranerin moslemischer Religionszugehörigkeit mit einem Deutschen christlicher Religionszugehörigkeit in der Bundesrepublik als Nachfluchtgrund. Einem iranischen Staatsangehörigen drohten nicht allein wegen des Umstandes der Asylantragstellung und der Durchführung eines Asylstreitverfahrens bei seiner Rückkehr in den Iran Maßnahmen asylrechtlich relevanter Intensität. Eine iranische Staatsangehörige, die einen deutschen Staatsangehörigen christlicher Konfessionszugehörigkeit geheiratet habe, müsse jedoch bei ihrer Rückkehr in den Iran mit staatlichen Maßnahmen rechnen, die ihren Leib oder gar ihr Leben bedrohten und somit asylrechtsrelevante Intensität aufwiesen. Das VG nennt die im einzelnen nach iranischem Recht wegen außerehelicher Unzucht drohenden Sanktionen, die die Klägerin treffen könnten, da ihre Ehe mit einem Nichtmoslem nicht anerkannt würde. Nach der Rechtsprechung des BVerwG,2 der sich das VG anschließt, stelle eine an die Heirat eines Menschen einer bestimmten Religion anknüpfende asylerhebliche Verfolgungsmaßnahme eine Verletzung der Menschenwürde in besonders schwerer Weise dar. Sie sei insbesondere dann als politische Verfolgung anzusehen, wenn nach der Einschätzung des Verfolgerstaates sich hinter der konfessionell nicht erlaubten Heirat eine politische Gesinnung verberge, die mit staatlichen Mitteln unterdrückt oder verändert werden müsse. Hiervon sei im vorliegenden Fall auszugehen. Mehrfach sei von Verantwortlichen des Iran die Nichteinhaltung der Moralvorschriften mit einer Kampfansage an die islamische Republik, mit Konterrevolution und Imperialismus gleichgesetzt worden. Die nach der Ausreise aus dem Iran in Deutschland eingegangene Ehe sei daher als ein subjektiv erheblicher Nachfluchtgrund anzuerkennen.



      1 S. hierzu Rädler (Anm. 1), 511 f.; C. Philipp, Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1993, ZaöRV 55 (1995), 855; Ress (Anm. 1), 512.

      2 S. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht Rädler (Anm. 1), 511 f.; Philipp (Anm. 65), 855; Ress (Anm. 1), 512.