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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Volker Röben


XIII. Europäische Gemeinschaften

4. Freizügigkeit

       90. Gemeinschaftsrechtlich genießen auch drittstaatsangehörige Familienangehörige von freizügigkeitsberechtigten EG-Ausländern Aufenthaltsrecht.1 Der VGH Baden-Württemberg hatte sich in seinem Beschluß vom 7.8.1995 (13 S 328/95 - NJW 1996, 72) mit der Frage zu befassen, ob eine entsprechende Regelung auch ohne die Ausübung der Freizügigkeit durch den EG-Staatsangehörigen eingreift. Das Gericht entschied, daß weder das gemeinschaftliche Diskriminierungsverbot (Art. 6 Abs. 1, 48 Abs. 2 EGV) noch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebieten würden, drittstaatsangehörige Familienangehörige deutscher Staatsangehöriger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit in der Europäischen Gemeinschaft keinen Gebrauch gemacht hätten, mit drittstaatsangehörigen Familienangehörigen freizügigkeitsberechtigter EG-Ausländer aufenthaltsrechtlich gleichzustellen.

       91. Nach dem Beschluß des Hessischen VGH vom 16.11.1995 (13 TH 1700/94 - DVBl. 1996, 762) löst der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eines Angehörigen eines freizügigkeitsberechtigen EG-Ausländers, der selbst nicht aus einem EG-Staat stammt, nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 64/221/EWG2 ein vorläufiges Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Antragstellers unabhängig davon aus, ob der Angehörige unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei. § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG gelte insoweit nicht.

       92. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in seinem Urteil vom 20.9.1995 (7 AZR 70/95 - NZA 1996, 696) mit der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsstellung der befristeten Universitätslektorenstellen zu befassen. Die Parteien stritten im wesentlichen über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses. Das BAG entschied, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die im Arbeitsvertrag vereinbarte Befristung beendet worden sei. Die auf § 57 b Abs. 3 HRG gestützte Befristung sei unwirksam, da sie mit Art. 48 Abs. 2 EGV nicht vereinbar sei. Fremdsprachenlektoren seien überwiegend ausländische Staatsangehörige. Während die Befristung der sonstigen Lehrkräfte für besondere Aufgaben nur bei Vorliegen eines besonderen Grundes zulässig sei, lasse § 57b Abs. 2 HGRG seinem Wortlaut nach bereits die Lektorentätigkeit als Befristungsgrund genügen. Eine solche Auslegung stehe nach Ansicht des EuGH dem in Art. 48 Abs. 3 EGV normierten Diskriminierungsverbot entgegen. Dieser Rechtsprechung habe sich der Senat angeschlossen. Die Befristung des Arbeitsvertrages unter dem Gesichtspunkt eines kulturellen Austausches sei nur dann rechtswirksam, wenn die Lektorenstelle für einen tatsächlich praktizierten Austausch von Hochschulabsolventen vorgesehen und hierfür auch gesondert ausgewiesen ist.

       93. Der VGH Baden-Württemberg entschied mit Beschluß vom 28.11.1995 (9 S 2780/93 - ESVGH 46 [1996], 155), daß die Erforderlichkeit einer Genehmigung zur Führung eines ausländischen akademischen Grades nach baden-württembergischem Landesrecht nicht gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft verstoße. Daran ändere eine - vom VGH hier offengelassene - teilweise gemeinschaftsrechtswidrige Regelung der Erteilungsvoraussetzungen nichts.

       94. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 21.6.1995 (5 RJ 38/94 - EuZW 1996, 384) bleibt der Versicherungsnehmer, der einem bei ihm versicherten EG-Grenzgänger eine Rehabilitierungsmaßnahme zuerkannt hat, für die Gewährung zuständig, auch wenn der Versicherte nunmehr Leistungen wegen Arbeitslosigkeit vom Wohnortstaat bezieht.

       95. Der VGH Baden-Württemberg hatte sich in seinem Beschluß vom 7.8.1995 (1 S 173/95 - BWVP 1995, 259=NVwZ-RR 1996, 172) mit den aufenthaltsrechtlichen Privilegien von EG-Ausländern zu befassen. Er entschied, daß ein über 21 Jahre alter italienischer Staatsangehöriger, der im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sei, auch bei einer einmaligen strafgerichtlichen Verurteilung wegen Betäubungsmittelhandels zu einer Jugendstrafe von über 2 Jahren ausgewiesen werden könne, wenn die erneute Begehung von Straftaten zu befürchten sei. Die Ausweisung sei hier aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verfügt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG/EWG) und genüge damit den besonders strengen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Ausweisung gegenüber freizügigkeitsberechtigten EG-Ausländern.



      1 S. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 2.1.1995 (11 S 3379/9)4 - InfAuslR 1997, 743), wonach es unerheblich ist, wenn der freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer sich von dem drittstaatsangehörigen Ehepartner getrennt hat und die Scheidung der Ehe betreibt.

      2 Vom 23.9.1964, ABl. (EG) Nr. L 56, 50.