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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Kerrin Schillhorn


I. Völkerrecht und innerstaatliches Recht

      1. Das Verwaltungsgericht Berlin nahm in einem Beschluß vom 10.12.1996 (11 A 1191/96 = NVwZ-Beilage 4/1997, 31f.) zu der Frage Stellung, ob sich aus dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Bosnien-Herzegowinas abgeschlossenen Rücknahmeübereinkommen2 ein Duldungsanspruch für ausreisepflichtige bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge ergebe. Als Grundlage eines solchen Anspruchs wurde Art. 4 des Abkommens i.V.m. § 54 AuslG geprüft. Nach § 54 AuslG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, daß die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für die Dauer von längstens sechs Monaten ausgesetzt wird. Das Gericht stellte fest, eine solche den Antragsteller begünstigende Anordnung sei von der zuständigen Behörde erlassen worden, so daß ihm eine Duldung zu erteilen sei. Dabei nahm das Gericht Bezug auf den Beschluß der Konferenz der Innenminister und Senatoren der Länder vom 19.9.1996, wonach eine zwangsweise Rückführung nur nach den Regelungen des Rückübernahmeabkommens erfolgen soll. Nach den Bestimmungen des Abkommens setze die Übernahme von Personen aus Bosnien-Herzegowina voraus, daß zuvor ein Übernahmeersuchen von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gestellt worden sei. Bis zur Zustimmung der bosnischen Seite bzw. zum Eintritt der Fiktionswirkung des Art. 4 Abs. 2 und 3 Rückübernahmeabkommen sollten nach der Entscheidung der obersten Landesbehörde keine Abschiebungen erfolgen. Dieser Abschiebungsschutz werde aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen gewährt und führe zu einem Anspruch der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge auf Erteilung einer Duldung.3

      2. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entschied das VG Köln durch Beschluß vom 30.5.1996 (21 L 1106/96 = InfAuslR 1996, 332), daß sich der Anspruch eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention4 auf Weitergewährung der bisher bewilligten laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt aus Art. 23 GFK in Verbindung mit §§ 11, 12 BSHG und der aufgrund des § 22 BSHG erlassenen Regelsatzverordnung ergebe. Art. 23 GFK verpflichte die vertragschließenden Staaten, Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Diese Verpflichtung lasse sich nur erfüllen, wenn Flüchtlinge im Sinne der GFK die Gleichbehandlung unmittelbar nach Maßgabe der für Deutsche geltenden Bestimmungen geltend machen könnten, ohne insoweit Einschränkungen unterworfen zu sein, die nicht auch für deutsche Staatsangehörige gelten. Diese Gleichstellung von Ausländern mit Deutschen auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge bewirke, daß der unter den persönlichen Anwendungsbereich der GFK fallende Hilfesuchende gegenüber anderen hilfesuchenden Ausländern privilegiert und gemäß § 120 Abs. 1 Satz 3 BSHG nicht in den Anwendungsbereich des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG einzubeziehen sei.5



      2 Abkommen über die Rückführung und Rückübernahme von Personen vom 20.11.1996.

      3 Vgl. zur Frage der Rückkehr von Flüchtlingen nach Bosnien-Herzegowina auch [24] und [25].

      4 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl. 1953 II, 559 (im folgenden: GFK).

      5 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Urteil des OVG Lüneburg vom 9.12.1996 (12 L 2486/96 = NVwZ-Beilage 6/1997, 45), wonach diese Privilegierung selbst für solche Asylberechtigte gelten soll, die nach einem längeren Auslandsaufenthalt in die Bundesrepublik zurückkehren; hingewiesen wird auch auf den Beschluß des OVG Berlin vom 25.10.1996 (6 S 347/96 = NVwZ-Beilage 7/1997, 54f.), in dem das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 23 GFK bestätigt wird, jedoch auch festgehalten wird, daß das Recht auf Freizügigkeit nach Art. 26 GFK nicht durch § 120 Abs. 5 BSHG, d.h. die räumliche Beschränkung auf ein Bundesland bei der Gewährung von Sozialhilfe, verletzt würde.