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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Kerrin Schillhorn


X. Europäische Gemeinschaften

2. Diskriminierungsverbot

a) Arbeitnehmerfreizügigkeit

      71. Mit Urteil vom 24.4.1996 (7 AZR 605/95 = NZA 1996, 1208ff.) entschied das BAG, daß die Befristung von Arbeitsverträgen für Lektoren nach § 57 b Abs. 3 HSRG rechtswidrig ist, da dieser vereinbarte Befristungsgrund nicht im Einklang mit Art. 48 Abs. 2 EGV steht. Das Gericht führte zur Begründung aus, die Freizügigkeit nach Art. 48 Abs. 2 EGV umfasse die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeits- und Erwerbsbedingungen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. § 57 b Abs. 3 HRG widerspreche dem in Art. 48 Abs. 2 EGV normierten Diskriminierungsverbot, weil die unterschiedlichen Anforderungen an den Befristungsgrund bei Lektoren gegenüber sonstigen Lehrkräften geeignet seien, ausländische Staatsangehörige zu diskriminieren89. Diese Ungleichbehandlung könne auch nicht durch das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts gerechtfertigt werden. Einerseits sei die Gefahr, daß ein Lektor durch einen längeren Auslandsaufenthalt den Kontakt mit seiner Muttersprache verliere, gering zu schätzen. Andererseits sei nicht bewiesen, daß der Aktualitätsbezug des Unterrichts eines Fremdsprachenlektors bei einem längeren Aufenthalt in Deutschland nicht mehr gewährleistet sei. Somit liege keine sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von Lektoren nach § 57 b Abs. 3 HRG vor.

      72. Über die Anwendbarkeit des Art. 48 EGV sowie der Verordnung des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (1612/68/EWG) vom 15.10.1968 auf Arbeitsverhältnisse außerhalb des Gebietes der EG hatte das BAG in seinem Urteil vom 8.8.1996 (6 AZR 771/93 (A) = NZA 1997, 434ff. = BB 1997, 997f. = EuZW 1997, 351f.) zu entscheiden. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Klägerin als nicht-entsandte Beschäftigte belgischer Staatsangehörigkeit an der deutschen Botschaft in Algier einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen nicht-entsandten Botschaftsangestellten habe. Das BAG nahm einen solchen Anspruch der Klägerin unter Anwendung des Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung 1612/68/EWG an. Nach diesen Bestimmungen seien Tarifverträge nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten seien, diskriminierende Bedingungen vorsähen oder zuließen. Dies gelte auch für den Tarifvertrag "Angestellte Ausland", soweit er nicht-entsandte Beschäftigte deutscher Botschaften in Drittländern, die Bürger anderer Mitgliedstaaten der EU seien, nicht in seinen Geltungsbereich einbeziehe. Grundsätzlich beschränke sich der Geltungsbereich des EGV und der Verordnung 1612/68/EWG auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Doch komme hier das Gemeinschaftsrecht trotzdem zur Anwendung. Zur Begründung führte das Gericht aus, zwar sei das Gebäude der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Algerien, in dem das Arbeitsverhältnis der Klägerin durchgeführt werde, nach Art. 22 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18.4.196190 unverletzlich, doch gehöre es weiterhin zum Staatsgebiet des Empfangsstaates und nicht zu dem des Entsendestaates. Weiterhin bezog sich das BAG auf die Rechtsprechung des EuGH bezüglich beruflicher Tätigkeiten, die teilweise oder vorübergehend außerhalb des Hoheitsgebietes des Mitgliedstaates ausgeübt würden. Danach besäßen Personen, die diese Tätigkeiten ausübten, die Eigenschaft von im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates beschäftigten Arbeitnehmern, sofern das Arbeitsverhältnis einen räumlichen Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft oder doch eine hinreichend enge Verbindung mit dem Gebiet aufweise. Hinsichtlich des zu entscheidenden Falles führte das Gericht aus, der Arbeitsvertrag der Klägerin sei nach dem Recht der Bundesrepublik geschlossen. Weiterhin sei nach einer Klausel im Arbeitsvertrag als Gerichtsstand für alle sich aus dem Vertrag ergebenden Streitigkeiten zwischen den Parteien Bonn bzw. Berlin gewählt worden. Darüber hinaus gehöre die Klägerin auch hinsichtlich der Rentenversicherung dem deutschen Sozialversicherungssystem an. Auf Vorlage des BAG hatte der EuGH ausgeführt, daß das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung 1612/68/EWG auf einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates hinsichtlich aller Aspekte des Arbeitsverhältnisses anwendbar sei, wenn dieser ständig in einem Drittland lebe und aufgrund eines dort geschlossenen und dauernd dort erfüllten Arbeitsvertrages von einem anderen Mitgliedstaat bei dessen Botschaft in diesem Drittland beschäftigt werde. Im Anschluß an diese Entscheidung bestätigte das BAG einen Anspruch der Klägerin auf Gleichbehandlung aus den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen.

      73. Über die Voraussetzungen der Versagung einer Aufenthaltsverlängerung für eine arbeitslose EG-Bürgerin hatte das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 2.10.1996 (L 5 Ar 2474/94 = InfAuslR 1997, 116) zu entscheiden. Gegenstand des Verfahrens war das Begehren der Klägerin, einer britischen Staatsangehörigen und Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis-EG, nach höherer Arbeitslosenhilfe. Im Vorwege hatte der deutsche Lebenspartner der Klägerin im Zuge des Verfahrens zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis-EG eine Verpflichtungserklärung abgegeben, wonach er während ihres Aufenthaltes für die Klägerin aufkomme. Das LSG nahm trotz dieser Erklärung eine Bedürftigkeit der Klägerin an. Insbesondere sei ohne diese Erklärung die Versagung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis-EG nicht zu befürchten gewesen. Zur Begründung führte das Gericht aus, das Aufenthaltsrecht von Bürgern der Gemeinschaft richte sich zunächst nach Gemeinschaftsrecht, insbesondere nach Art. 48 Abs. 3 EGV sowie nach den von der Kommission erlassenen Verordnungen und Richtlinien. Das Ausländergesetz finde nur Anwendung, soweit das europäische Gemeinschaftsrecht und das Aufenthaltsgesetz/EWG keine abweichenden Bestimmungen enthielten. Eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis-EG oder ihrer Verlängerung sei nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz/EWG nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig; überdies müsse der Ausländer durch sein persönliches Verhalten dazu Anlaß gegeben haben. Dies gelte auch, wenn der Arbeitnehmer unfreiwillig arbeitslos werde. Nach Art. 7 der Richtlinie 68/360/EWG könne eine gültige Aufenthaltserlaubnis einem Arbeitnehmer nicht allein deshalb entzogen werden, weil er unfreiwillig arbeitslos geworden sei. Aufgrund dieser Rechtslage könne die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis-EG der Klägerin nicht, auch nicht für den Fall einer Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, abgelehnt werden.



      89 Vgl. dazu BAG, Urteil vom 20.9.1995 - 7 AZR 249/94, unveröffentlicht.

      90 BGBl. 1964 II, 958ff.