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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Kerrin Schillhorn


X. Europäische Gemeinschaften

2. Diskriminierungsverbot

b) Niederlassungsfreiheit/Dienstleistungsfreiheit

      74. Über die zulässigen Einschränkungen des Niederlassungsrechts nach Art. 52 EGV hatte der BGH in seinem Beschluß vom 18.11.1996 (AnwZ (B) 28/96 = EWS 1997, 103ff. = RIW 1997, 335ff. = EuZW 1997, 282ff.) zu entscheiden. Gegenstand des Verfahrens war das Begehren eines griechischen, in Hamburg ansässigen Anwalts, als Rechtsanwalt bei allen Amtsgerichten sowie an den Familiengerichten des Bezirks zugelassen zu werden. Der Antragsteller war Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, hatte jedoch die Eignungsprüfung nach dem Gesetz über die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 6.7.199091 nicht abgelegt. Der BGH bestätigte die ablehnende Entscheidung der Vorinstanz und stellte fest, daß die gesetzliche Regel, die die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft von der Befähigung zum Richteramt nach dem deutschen Richtergesetz bzw. der Eignungsprüfung nach dem Eignungsprüfungsgesetz abhängig mache, die Niederlassungsfreiheit des Antragstellers nicht in einer dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden Art und Weise einschränke. Zur Begründung führte das Gericht aus, daß die Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit durch nationale Regelungen von der Beachtung bestimmter durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Rechts- und Verwaltungsvorschriften, wie den Vorschriften über Organisation, Qualifikation, Standespflichten, Kontrolle und Haftung, abhängig gemacht werden könnten. Dabei bezog sich der BGH auf die Richtlinie des Rates vom 21.12.1988 (89/48/EWG) über die allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, wonach die Zulassung von einem Anpassungslehrgang oder einer Eignungsprüfung abhängig gemacht werden dürfe, wenn sich die bisherige Ausbildung auf Fächer beziehe, die sich wesentlich von denen unterschieden, die von dem Diplom abgedeckt würden, das in dem Aufnahmestaat vorgeschrieben sei. Der BGH stellte fest, daß diese Voraussetzungen bei dem Abschluß des Antragstellers im griechischen Recht im Vergleich zur ersten und zweiten juristischen Staatsprüfung in Deutschland vorlägen. Weiterhin stehe das in Vollziehung der Richtlinie ergangene Eignungsprüfungsgesetz mit Art. 52 EGV in Einklang. Insbesondere seien die Voraussetzungen erfüllt, nach denen nationale Maßnahmen die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten beschränken könnten. So werde das Eignungsprüfungsgesetz in nicht-diskriminierender Weise angewandt und sei aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Weiterhin sei es geeignet, die Verwirklichung des mit ihm verfolgten Zieles zu gewährleisten und verhältnismäßig. Im weiteren stellte der BGH fest, auf den Antragsteller fänden die Bedingungen des Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetzes keine Anwendung, da es sich bei seiner Tätigkeit um eine Niederlassung i.S.d. Art. 52 EGV und nicht um eine Dienstleistung handele, die nur auf eine gewisse Dauer gerichtet sei.

      75. Im Rahmen eines Verfahrens über Ansprüche auf Sicherheitsleistung bei Insolvenzsicherung gegen eine GmbH prüfte das BAG in seinem Urteil vom 30.7.1996 (3 AZR 397/95 = NZA 1997, 436ff. = NJW 1997, 1526) die Voraussetzungen, unter denen eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen kann. Dazu führte das Gericht aus, Art. 52, 58 EGV und die Richtlinie 73/148/EWG des Rates92 verliehen einer Gesellschaft, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats errichtet wurde und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Der EGV habe den unterschiedlichen internationalen Rechtsordnungen Rechnung getragen und enthalte in Art. 220 EGV die Möglichkeit des Abschlusses von Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten, um u.a. die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Staat in einen anderen sicherzustellen. Bislang sei auf diesem Gebiet jedoch keine Übereinkunft in Kraft getreten.

      76. In einem Steuerverfahren über Hinzurechnungsvorschriften i.S.d. § 8 und 12 GewStG prüfte der BFH die Voraussetzungen des Diskriminierungsverbotes nach Art. 59f. EGV (Beschluß vom 30.12.1996 - I B 61/96 = BFHE 181, 511ff. = HFR 1997, 407ff. = EWS 1997, 179ff. = BB 1997, 614ff.).93 Die Antragstellerin im Verfahren war ein Luftverkehrsunternehmen, das teils mit eigenen, teils mit geleasten Flugzeugen eines in Irland ansässigen Leasinggebers flog. Das Finanzamt rechnete gemäß § 8 GewStG die Hälfte der geleisteten Leasingraten bei der Ermittlung des Gewerbeertrages dem Gewinn der Antragstellerin sowie gemäß § 12 GewStG die Teilwerte der geleasten Fluggeräte bei der Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert des Gewerbebetriebes der Antragstellerin hinzu. Hiergegen wandte sich diese. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens entschied der BFH, es sei nicht auszuschließen, daß durch die Hinzurechnungen bei der Antragstellerin gegen Art. 59ff. EGV und das darin enthaltene Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verstoßen werde. § 8 und die entsprechende Vorschrift des § 9 GewStG hätten den Zweck, die doppelte Erfassung von Miet- und Pachtzinsen beim Mieter oder Pächter einerseits und beim Eigentümer andererseits zu verhindern. Scheide die Möglichkeit, die Miet- oder Pachtzinsen bei dem Vermieter oder Verpächter zur - inländischen - Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag heranzuziehen, aus, weil der Vermieter oder Verpächter von Grundsteuer befreit sei oder weil die Entgelte in einem ausländischen Gewerbebetrieb anfielen, so müßten die Miet- oder Pachtzinsen nach der Gesetzessystematik beim Mieter oder Pächter erfaßt werden. Die §§ 8 und 12 GewStG knüpften zwar nicht förmlich an die Ausländereigenschaft des Vermieters oder Pächters an, sie beträfen aber in erster Linie jene Fälle, in denen der Vermieter oder Verpächter Ausländer sei. Eine Vergleichbarkeit mit inländischen Vermietern oder Verpächtern, die im Inland ansässig, hier jedoch ausnahmsweise von Gewerbesteuer befreit sind, sei so gut wie nicht gegeben. Damit bestehe die Gefahr, daß der freie Dienstleistungsverkehr innerhalb der EG behindert werde.

      77. Mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Remailing durch einen ausländischen Anbieter hatte sich das OLG Frankfurt/M. in seinem Urteil vom 25.6.1996 (11 U (Kart) 6/96 = WuW 1997, 448ff.) zu befassen. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob das Remailing (sog. ABB-Remailing, bzw. ABC-Remailing) durch einen ausländischen Anbieter mit § 2 des PostG vereinbar sei. Neben wettbewerbs- und kartellrechtlichen Überlegungen prüfte das OLG auch die Vereinbarkeit des § 2 PostG mit den Art. 59ff. EGV. Dazu führte es aus, eine Behinderung bei Ausübung der Dienstleistungsfreiheit sei dann zulässig, wenn eine Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit oder Niederlassungsort nicht erfolge, die Behinderung zwingenden Gründen des Allgemeininteresses diene und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, notwendig und verhältnismäßig sei. Diese Voraussetzungen seien hinsichtlich des § 2 PostG erfüllt. Es gehe nicht um rein wirtschaftliche Erwägungen, sondern um die Erhaltung des Systems flächendeckender Postdienste zu sozialverträglichen Preisen, die aus zwingenden Gründen im allgemeinen Interesse lägen und den - nicht nur gegen Unternehmen und Angehörige anderer Mitgliedstaaten gerichteten - Beförderungsvorbehalt unverzichtbar machten. Insbesondere stünden mildere Mittel nicht zur Verfügung, um der Klägerin als Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost die Einnahmen zu verschaffen, die sie benötige, um aus Gründen des Allgemeinwohls auch unrentable Dienstleistungen erbringen und finanzieren zu können. Angesichts der bereits existierenden Rechtsprechung des EuGH zu diesem Bereich hielt der Senat eine Vorlage an den EuGH für nicht erforderlich.



      91 BGBl. 1990 I, 1349ff.

      92 Vom 21.5.1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs.

      93 Vgl. auch Anmerkung von Kaefer, EWS 1997, 288.