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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Kerrin Schillhorn


X. Europäische Gemeinschaften

5. Vorabentscheidungsverfahren

a) Verfahrensrechtliche Aspekte des Vorlageverfahrens

      89. Die Vorlagepflicht von Oberverwaltungsgerichten im Rahmen einer Normenkontrolle war Gegenstand des Beschlusses des BVerwG vom 30.1.1996 (3 NB 2/94 = NVwZ 1997, 178ff. = BayVBl. 1996, 473ff. = NJW 1997, 1251). Die Antragsteller und Beschwerdeführer in dem Verfahren hatten im Wege der Normenkontrolle vor dem VGH die Ungültigerklärung eines berufsordnungsrechtlichen Verbotes bestimmter Werbemaßnahmen außerhalb von Apotheken begehrt. Der VGH hatte das Verfahren ausgesetzt und bestimmte Fragen dem BVerwG zur Vorentscheidung, sowie dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 36 i.V.m. Art. 30 EGV dahin gehend auszulegen sei, daß die Regelung in einer Berufsordnung gerechtfertigt sei, mit der eine Landesapothekerkammer den Apotheken in ihrem Zuständigkeitsbereich die Werbung außerhalb der Apotheke auch für den Vertrieb apothekenüblicher Waren i.S.v. § 25 ApBetrO verbiete. Nach der Entscheidung des EuGH sei Art. 30 EGV dahin auszulegen, daß er nicht auf eine von der Apothekerkammer eines Mitgliedstaates erlassene Standesregel anwendbar sei, hatten die Antragsteller die Einholung einer weiteren Vorabentscheidung des EuGH zur Vereinbarkeit von Werbebeschränkungen mit Art. 85 EGV beantragt. Diesen Antrag hatte der VGH abgelehnt. Das BVerwG entschied, eine Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO, wenn die Normenkontrolle die Auslegung von Gemeinschaftsrecht erfordere, da Fragen des Gemeinschaftsrechts aufgeworfen würden, die durch die Rechtsprechung des EuGH noch nicht beantwortet worden und in ihrer möglichen Beantwortung unzweifelhaft seien, oder wenn in einer das Gemeinschaftsrecht betreffenden Frage von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen werde. Lege das Normenkontrollgericht in einer das Gemeinschaftsrecht berührenden, von ihm für entscheidungserheblich gehaltenen Frage die Sache weder dem EuGH noch dem BVerwG vor, so habe das BVerwG auf die Nichtvorlagebeschwerde die Rechtsfrage zu entscheiden, nämlich die Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen. Werde dabei festgestellt, daß die das Gemeinschaftsrecht betreffende Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des EuGH noch nicht beantwortet oder in ihrer möglichen Beantwortung nicht unzweifelhaft sei, so habe das BVerwG seinerseits eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 Abs. 3 EGV einzuholen. Hinsichtlich des konkreten Falles entschied das BVerwG, die von den Antragstellern für vorlagepflichtig gehaltene Rechtsfrage, ob die Apothekerkammer in ihrer Funktion als Satzungsgeberin von Wettbewerbsbeschränkungen als Unternehmen oder Unternehmensvereinigung i.S. von Art. 85 EGV anzusehen sei, stelle sich nicht, da Art. 85 EGV für die Beurteilung der angegriffenen Satzungsbestimmungen nicht einschlägig sei. Dies ergebe sich zweifelsfrei aus der Rechtsprechung des EuGH, ohne daß es hierzu der Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 177 EGV bedürfe. Dies gelte insbesondere, wenn bestimmte Verkaufsmodalitäten nicht geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern. In einem solchen Falle fehle es an dem Bezug, der die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln des Art. 85 EGV in Betracht kommen lasse.

      90. Über die Vorlagepflichten des FG und des BFH entschied der BFH mit Urteil vom 2.4.1996 (VII R 119/94 = RIW 1996, 792ff. = BB 1996, 1974ff. = DStR 1996, 1245 = EWS 1996, 327ff.). Dabei kam der BFH zu dem Ergebnis, daß das FG als nicht letztinstanzliches Gericht zur Vorlage an den EuGH nach Art. 177 Abs. 2 und 3 EGV nicht verpflichtet, sondern nur befugt sei. Unterlasse das FG die Einholung einer Vorabentscheidung zur Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts, so liege darin weder ein Verstoß gegen Verfahrensrecht noch werde einem Beteiligten dadurch sein gesetzlicher Richter entzogen. Dies gelte selbst dann, wenn sich für das FG Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben könnten.