Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


Inhalt | Zurück | Vor

Kerrin Schillhorn


X. Europäische Gemeinschaften

6. Staatshaftungsfragen

      93. Über die Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches entschied der BGH mit Urteil vom 24.10.1996 (III ZR 127/91 = BGHZ 134, 30 = BayVBl. 1997, 218ff. = DVBl. 1997, 124ff. = NVwZ 1997, 206). Grundlage der Entscheidung war das Urteil des EuGH vom 5.3.1996 (Brasserie des Pêcheurs)102, in dem u.a. festgestellt wurde, daß es mit Art. 30 EWGV nicht vereinbar sei, die Vorschrift des § 10 BiersteuerG, wonach die Bezeichnung "Bier" dem nach dem Reinheitsgebot gebrauten Bier vorbehalten sei, auch auf in den anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte Biere anzuwenden. Weiterhin habe die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtung aus Art. 30 EGV verstoßen, indem sie es untersage, in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestelltes und in Verkehr gebrachtes Bier im Inland in den Verkehr zu bringen, wenn dieses Bier nicht den §§ 9 und 10 des BiersteuerG entspreche. Die Klägerin verlangte nunmehr von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Ersatz des ihr durch die Einfuhrbeschränkung in den Jahren 1981 bis 1987 entstandenen Schadens in Höhe eines Betrages von 1.800.000 DM. Das Gericht lehnte die Klage als unbegründet ab und führte hierzu aus, alleiniger Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Bundesrepublik Deutschland sei die Nichtanpassung der seinerzeitigen §§ 9 und 10 BiersteuerG an die höherrangigen Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts (legislatives Unrecht). Durch dieses Unterlassen sei jedoch keine drittgerichtete Amtspflicht i.S.d. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu Lasten der von der Importbeschränkung möglicherweise betroffenen ausländischen Bierbrauer verletzt. Soweit sich Amtspflichten darin erschöpften, den Allgemeininteressen zu dienen und keine besondere Beziehung zwischen den Amtspflichten und bestimmten Personen bestehe, kämen bei einer Verletzung solcher Amtspflichten Schadensersatzansprüche für außenstehende Dritte nicht in Betracht. Auch komme eine Haftung wegen eines enteignungsgleichen Eingriffes nicht in Betracht. Der Ausgleich von Nachteilen, die unmittelbar oder mittelbar durch ein gegen das europäische Gemeinschaftsrecht verstoßendes formelles Gesetz herbeigeführt werden, halte sich nicht mehr im Rahmen eines richterrechtlich geprägten und ausgestalteten Haftungsinstitutes, wie es der enteignungsgleiche Eingriff nach der Rechtsprechung des Senates darstelle. Schließlich prüfte der Senat, ob sich ein Anspruch der Klägerin unmittelbar aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht herleiten lasse. Zur Begründung führte der Senat aus, der EuGH habe im Urteil vom 19.11.1991103 die unmittelbare Haftung eines Mitgliedstaates gegenüber dem einzelnen betroffenen Bürger bei Nichtumsetzung einer Richtlinie bejaht und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß der Grundsatz einer Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, untrennbar zu der durch den EGV geschaffenen Rechtsordnung gehöre. In einem entsprechenden Vorlageverfahren habe der EuGH ausgeführt104, der Geschädigte habe einen Entschädigungsanspruch, wenn der Verstoß eines Mitgliedstaates gegen das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnen sei, der auf einem Gebiet tätig werde, auf dem er im Hinblick auf normative Entscheidungen über einen weiten Ermessensspielraum verfüge. Ein solcher Entschädigungsanspruch entstehe, sofern die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezwecke, ihm Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert sei und zwischen dem Verstoß und dem dem einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehe. Der BGH kam zu dem Ergebnis, daß die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall dazu führt, daß der Klägerin auch ein gemeinschaftsrechtlicher Schadensanspruch nicht zusteht. Insbesondere stehe das besonders weite Ermessen des Gesetzgebers hinsichtlich der Umsetzung des Gemeinschaftsrechtes einem Entschädigungsanspruch i.S.d. Entscheidung des EuGH entgegen.

      94. Mit Urteil vom 6.12.1996 (1 O 294/96 = NJW-RR 1997, 727ff. = EuZW 1997, 352) entschied das LG Bonn, daß die Bundesrepublik Deutschland nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 8.10.1996105 nicht für die Schäden solcher Urlauber hafte, die ihren Reisevertrag vor dem 1.1.1993 abgeschlossen, aber Zahlungen sowohl vor als auch nach diesem Termin geleistet hatten. Insbesondere verlange die Pauschalreise-Richtlinie 90/314/EWG in ihrem Art. 9 nicht von den Mitgliedstaaten, in bestehende Verträge einzugreifen.



      102 Rs. C-46/93.

      103 Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 = NJW 1992, 165, Fall Francovich.

      104 Urteil vom 5.3.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, NJW 1996, 1267.

      105 Dillenhofer, EuZW 1996, 654 = NJW 1996, 3141.