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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Lars-Jörgen Geburtig


VII. Fremdenrecht

2. Ausweisung und Abschiebung

       40. Mit dem Inhalt der Verweisung auf die EMRK in § 53 Abs. 4 AuslG befaßte sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11.11.1997 (9 C 13/96 - NVwZ 1998, 526 = DVBl 1998, 282 = VBlBW 1998, 216 = FamRZ 1998, 611 = InfAuslR 1998, 121). § 53 Abs. 4 AuslG verbietet eine Abschiebung, soweit sich aus der EMRK ergibt, daß sie unzulässig ist. Diese ihrem Wortlaut nach offene Vorschrift verweise jedoch lediglich insoweit auf die EMRK, als sich aus ihr Abschiebungshindernisse ergeben, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde ("inlandsbezogene" Vollstreckungshindernisse), fielen dagegen nicht unter § 53 Abs. 4 AuslG. Die Beschränkung des § 53 Abs. 4 AuslG auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse folge schon aus seiner systematischen Stellung im Gesetz. Die übrigen in § 53 AuslG geregelten Abschiebungshindernisse stellten nämlich nach ihrem Wortlaut eindeutig ausschließlich auf Gefahren ab, die dem Ausländer in dem Staat drohen, in den er abgeschoben werden soll. Der Gesetzgeber habe den in § 53 AuslG enthaltenen Regelungen die Überschrift "Abschiebungshindernisse" vorangestellt. Entscheidendes Merkmal der Abschiebung sei die Entfernung des Ausländers aus Deutschland und die Verbringung in einen anderen Staat. Der Begriff "Abschiebungshindernisse" deute darauf hin, daß der Gesetzgeber hier nicht allgemeine Vollstreckungshindernisse, sondern nur diejenigen in den Blick genommen hat, die der Verbringung des Ausländers in einen bestimmten Staat entgegenstehen. Auch die Entstehungsgeschichte des § 53 AuslG bestätige diese Auslegung. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs zum Ausländergesetz 1990 regele § 53 nunmehr "die sog. materiellen Abschiebungshindernisse, nämlich die im Ausland drohende individuell-konkrete Gefahr der Folter, der Todesstrafe und einer sonstigen Gefahr für Leib, Leben und Freiheit".42 Demgegenüber könnten zu einer Duldung nach § 55 AuslG auch andere als die in § 51 und 53 AuslG genannten Gründe führen, die einer Abschiebung zeitweise entgegenstehen, wie etwa die inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse. Diese seien daher nicht vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Asylverfahren, sondern von den für den Vollzug der Abschiebung weiterhin zuständigen Ausländerbehörden zu berücksichtigen.

       41. Demgegenüber war der Hessische VGH in seinem Beschluß vom 18.9.1997 (10 UZ 482/97.A - InfAuslR 1998, 194) der Auffassung, daß § 53 Abs. 4 AuslG auch nicht ziellandbezogene Abschiebungshindernisse erfaßt. Aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 4 AuslG lasse sich nicht die Beschränkung auf solche Abschiebungshindernisse entnehmen, die sich aus drohenden ziellandsbezogenen Menschenrechtsverletzungen ergeben.43 Auch eine Auslegung der Norm führe zwingend zu dem gefundenen Ergebnis. Zutreffend weise der VGH Baden-Württemberg darauf hin, daß mit § 53 Abs. 4 AuslG sichergestellt werden soll, daß ausländerrechtliche Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland nicht gegen die EMRK verstoßen. Diese Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, sich völkerrechtsmäßig zu verhalten, gelte aber sowohl bei mittelbar als auch bei unmittelbar drohenden Menschenrechtsverletzungen. Eine Beschränkung auf ziellandbezogene Abschiebungshindernisse sei daher unsinnig, weil die Konvention die Signatarstaaten in erster Linie verpflichte, die Menschenrechte in ihrem eigenen Hoheitsbereich zu wahren. Sie verbiete somit vor allem unmittelbare Menschenrechtsverletzungen.

       42. In seinem Urteil vom 25.11.1997 (9 C 58/96 - NVwZ 1998, 524 = DVBl 1998, 284 = InfAuslR 1998, 189) bestätigte das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil vom 11.11.1997, wonach § 53 AuslG auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse beschränkt ist. Gleichzeitig betonte das BVerwG, daß die Entscheidung über alle zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse, die ein Asylsuchender geltend macht, allein dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge obliegt. Die Ausländerbehörde sei insoweit beim Vollzug der Abschiebung, also auch bei der Entscheidung über Duldungsgründe nach § 55 Abs. 2 Alt. 1 AuslG, an die positive oder negative Entscheidung des Bundesamtes gebunden (§ 42 AsylVfG).

       43. Der VGH Baden-Württemberg hatte sich in seinem Beschluß vom 17.3.1997 (11 S 3301/96 - VBlBW 1997, 310 = NVwZ-Beilage 1997, 33 = InfAuslR 1997, 259) damit auseinanderzusetzen, ob der Abschiebung eines bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen serbischer Volkszugehörigkeit, der keine Bindungen zu seinem Heimatland hat, Abschiebungshindernisse entgegenstehen. Der VGH verneinte das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses aus § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK, da dem Antragsteller keine konkrete Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung durch die Machthaber in der sog. Republik Srpska drohe. Die allgemein schwierige Situation in Bosnien-Herzegowina stelle ebenfalls kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG dar. Insoweit fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine gezielte staatliche Vorgehensweise. Die Abschiebung sei jedoch gemäß § 55 Abs. 2 AuslG vorläufig zeitweise abzusetzen, weil gegenwärtig vieles dafür spreche, daß einer Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien-Herzegowina das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entgegensteht. Zwar würden Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, im Zielstaat der Abschiebung allgemein ausgesetzt sei, gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG grundsätzlich ausschließlich bei einer generellen Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG berücksichtigt. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasse nach dieser Auslegung allgemeine Gefahren auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret oder in individualisierbarer Weise betreffen. Die Bürgerkriegsfolgen in Bosnien-Herzegowina seien solche allgemeinen Gefahren. Allerdings sei § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform dahin auszulegen und anzuwenden, daß von der Abschiebung eines unter diese Bestimmung fallenden Ausländers nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abzusehen ist, wenn das Verfassungsrecht dies gebietet.44 Ein solcher Fall sei nach der Rechtsprechung des BVerwG gegeben, wenn die oberste Landesbehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung nach § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht hat, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Zu diesen extremen Gefahren für Leib und Leben dürften nach Ansicht des VGH auch Gefahren gehören, die infolge völliger Unterversorgung der Bevölkerung mit dem elementaren Bedarf des täglichen Lebens entstehen, denn auch ein solcher extremer Mangel könne die Existenz der davon Betroffenen in lebensbedrohlicher Weise gefährden. Lägen die genannten Voraussetzungen vor, würden es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebieten, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG Abschiebungsschutz zu gewähren. Dabei komme es nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird. Der Senat gehe nach heutigem Erkenntnisstand davon aus, daß der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina im gegenwärtigen Zeitpunkt sehenden Auges den oben beschriebenen hochgradigen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Aufgrund der dem Senat vorliegenden Erkenntnisse über die wirtschaftliche und politische Lage in der sog. Republik Srpska stehe einer Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien-Herzegowina gegenwärtig das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entgegen. Seine Abschiebung sei gemäß § 55 Abs. 1 AuslG zeitweise auszusetzen.

       44. Der VGH Baden-Württemberg bestätigte diese Rechtsprechung in seinem Beschluß vom 7.4.1997 (11 S 102/97 - VBlBW 1997, 314 = NVwZ-Beilage 1997, 51 = InfAuslR 1997, 265) und betonte, daß die Feststellung eines zwingenden Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG eine Gesamtschau der allgemeinen Lage im Abschiebezielstaat und der persönlichen Situation des einzelnen Ausländers erfordert. Er stellte gleichzeitig fest, daß einem bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen kroatischer Volkszugehörigkeit aus dem kroatisch dominierten Föderationsgebiet Bosnien-Herzegowinas bei seiner Rückkehr allein aufgrund der allgemeinen Lage in Bosnien-Herzegowina keine extremen Gefahren für Leib, Leben und Freiheit drohen.

       45. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte in seinem Urteil vom 15.4.1997 (9 C 15.96 - BVerwGE 104, 254 = NVwZ 1997, 1131 = DÖV 1997, 783 = InfAuslR 1997, 379) seine Rechtsprechung, wonach Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG eine staatliche oder quasi-staatliche Verfolgung voraussetzt.45 § 51 Abs. 1 AuslG erfordere ebenso wie Art. 16 a GG grundsätzlich, daß die dem Ausländer drohende Verfolgung aus der staatlichen Gebietshoheit erwächst. Für den in den Schutzbereich des § 51 AuslG einbezogenen Personenkreis der Flüchtlinge und Verfolgten i.S.v. Art. 1 A Nr. 2, Art. 33, Nr. 1 des Abkommens vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge46 gelte dies gleichfalls.47 Die nach Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention48 vorrangigen Gesichtspunkte der gewöhnlichen Bedeutung der Vertragsbestimmungen in ihrem Zusammenhang sowie deren Ziel und Zweck ergäben unter Berücksichtigung insbesondere des überkommenen völkerrechtlichen Verständnisses, daß grundlegendes Merkmal der Flüchtlingseigenschaft die Staatlichkeit der befürchteten Verfolgung war und ist. Wie der Senat ferner bereits dargelegt habe, existiere weder entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht noch eine abweichende allgemeine Übung der Vertragsstaaten. Der Senat sehe sich in seiner Ansicht, daß das von ihm gefundene Auslegungsergebnis auch heute noch der Auffassung der Regierung in den meisten Vertragsstaaten und der überwiegenden Staatenpraxis entspricht, schließlich durch den "gemeinsamen Standpunkt" des Rates der EU betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 4.3.199649 bestätigt.50 Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG komme deshalb nur in Betracht, wenn die Kläger bei einer Rückkehr von Verfolgung durch eine staatsähnliche Organisation landesweit bedroht wären. Quasi-staatlich sei eine Gebietsgewalt nur, wenn sie auf einer organisierten, effektiven und stabilisierten Herrschaft beruht. Dabei erforderten Effektivität und Stabilität eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates. Derartige staatsähnliche Organisationen hätten in Somalia zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Berufungsverhandlung nicht existiert. In Somalia habe es zu diesem Zeitpunkt drei "Präsidenten" gegeben, die nicht in der Lage gewesen seien, das ganze Land unter Kontrolle zu bringen, aber dennoch stark genug, jedweden Versuch einer friedlichen Beendigung des andauernden Bürgerkrieges zu torpedieren. Daraus resultiere ein instabiles Gleichgewicht mit Phasen relativer Ruhe und begrenzter Stabilität, das allerdings jederzeit und überall wieder in bewaffnete Auseinandersetzungen umschlagen könne. Eine dauerhafte territoriale Herrschaftsgewalt habe sich somit nicht etabliert.

       46. Das VG Gießen setzte sich in seinem Urteil vom 20.8.1997 (10 E 11561/92 - NVwZ-Beilage 1998, 15 = InfAuslR 1997, 480) mit der Relevanz des mit der Türkei bestehenden Strafnachrichtenaustausches auf das Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter in § 51 Abs. 1 AuslG auseinander. Die Kläger sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Ihre Asylanträge wurden vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt. Dieses stellte gleichzeitig fest, daß die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht vorliegen. Die Kläger wurden zur Ausreise aufgefordert und ihnen wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage haben die Kläger vorgetragen, daß der Kläger zu 1) sich nach seiner Einreise ins Bundesgebiet exilpolitisch betätigt habe und daß die Kläger zu 1) und 2) an einer Autobahnblockade teilgenommen hätten, weswegen der Kläger zu 1) rechtskräftig verurteilt worden sei. Davon habe die türkische Auslandsvertretung Kenntnis. Das Gericht verpflichtete das Bundesamt, hinsichtlich aller Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen. Das Gericht ist davon überzeugt, daß der Kläger zu 1) wegen der Teilnahme an der Blockade der Bundesautobahn nicht nur bei der deutschen Auslandsvertretung der Türkei, sondern auch bei den Sicherheitskräften innerhalb der Türkei bekannt ist. Hinzu komme, daß nach Auskunft des Bundesministeriums der Justiz zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland ein regelmäßiger Strafnachrichtenaustausch stattfinde. Dies bedeute, daß jeder Staat den anderen von allen dessen Staatsangehörige betreffenden strafrechtlichen Verurteilungen, die in das Strafregister beim Bundeszentralregister eingetragen worden sind, unterrichtet. Dies werde auch durch schriftsätzliche Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim BGH an das VG Gießen bestätigt, worin er ausführe, daß im Rahmen des zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland vereinbarten Strafnachrichtenaustausches wechselseitig quartalsweise Strafnachrichten übermittelt werden. Eine entsprechende gesetzliche Regelung zum Strafnachrichtenaustausch enthalte das Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) nicht. In § 57 BZRG sei lediglich geregelt, daß an Stellen eines anderen Staates Auskunft aus dem Register erteilt werden könne nach den hierfür geltenden Gesetzen und Vereinbarungen. Unter Vereinbarung seien insoweit völkerrechtliche Vereinbarungen zu verstehen, welche durch förmliches Gesetz in nationales Recht transformiert worden sind. Damit handele es sich bei den "Vereinbarungen" nach § 57 BZRG um nichts anderes als um "Gesetze" im formellen und materiellen Sinne. Eine solche gesetzliche Grundlage für einen Nachrichtenaustausch aus dem Bundeszentralregister zum türkischen Staat liege jedoch nicht vor. Zwar regele Art. 22 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.195951 - für die Türkei in Kraft getreten am 22.9.1969 -, daß jeder Vertragsstaat den anderen von allen, dessen Staatsangehörige betreffenden strafrechtlichen Verurteilungen und nachfolgenden Maßnahmen, die in das Strafregister eingetragen worden sind, benachrichtigt. Diese völkerrechtliche Verpflichtung treffe aber lediglich die Bundesregierung und dort das Bundesjustizministerium zur jährlichen Strafnachrichtenübermittlung. Eine entsprechende Regelung zur Ermächtigung der Übermittlung aus dem Bundeszentralregister fehle jedoch. Insoweit habe die Bundesrepublik Deutschland sich völkerrechtlich zu einem Strafnachrichtenaustausch verpflichtet, diese Verpflichtung innerstaatlich jedoch nicht umgesetzt. Regierungs- oder zwischenstaatliche Verwaltungsvereinbarungen genügten aber für einen staatlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG nicht, was spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz vom 15.12.198352 klargestellt sei. An einer gesetzlichen Grundlage für die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fehle es hier offensichtlich. Eine Regeldatenübermittlung sei auch nicht nach dem Bundesdatenschutzgesetz zulässig, denn auch nach diesem Gesetz sei eine Verarbeitung personenbezogener Daten und deren Nutzung nur zulässig, wenn dies ein Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift erlaube oder anordne oder der Betroffene eingewilligt habe (§ 4 Abs. 1 BDSG). Insoweit sei zwar eine Datenübermittlung nach Art. 22 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen seitens der Bundesregierung zwingend erforderlich, mangels innerstaatlicher gesetzlicher Grundlage jedoch nicht möglich. Hinzu komme, daß die Übergangsfrist für den Gesetzgeber nach nunmehr fast 14 Jahren (Anm.: seit dem Urteil des BVerfG zum Volkszählungsgesetz) abgelaufen sei und insoweit auch eine übergangsweise Duldung des rechtswidrigen Handelns nicht mehr zulässig sei. Fehle es damit an einer innerstaatlichen Rechtsgrundlage, so erweise sich der turnusmäßige Strafnachrichtenaustausch mit der Türkei als rechtswidrig und grundrechtsverletzend in bezug auf den Betroffenen und bilde durch aktives Zutun deutscher Stellen einen beachtlichen Nachfluchtgrund, der eine Abschiebung des Betroffenen in sein Herkunftsland vereitele. Es stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, daß die rechtskräftige Verurteilung des Klägers zu 1) wegen der Teilnahme an der Autobahnblockade den türkischen Behörden bekannt ist, und daß diese aufgrund der Angaben in der Strafnachricht der Teilnahme des Klägers zu 1) an der Blockade eine politische Komponente zugrunde legen. Damit stehe aber zur Überzeugung des Gerichts gleichzeitig fest, daß der Kläger zu 1) im Falle seiner Rückkehr in die Türkei für die dortigen Sicherheitskräfte von besonderer Bedeutung ist und daß der türkische Staat ein gesteigertes Interesse an ihm hat. Aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse drohten dem Kläger zu 1) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Maßnahmen i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG. Aufgrund der engen familiären Beziehung zum Kläger zu 1) haben nach Auffassung des Gerichts auch die übrigen Kläger asylerhebliche Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte zu befürchten, so daß die Beklagte zu verpflichten ist, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich aller Kläger festzustellen.

       47. Das VG Frankfurt/Main bestätigte mit Beschluß vom 27.8.1997 (9 G 50507/97.A(2) - InfAuslR 1998, 84) sein Urteil vom 28.3.199453, wonach der Schutz durch § 51 Abs. 1 AuslG weiter geht als der des Asylgrundrechts, da die Verfolgung im Sinne des § 51 Ausländergesetz keinen politischen Charakter im Sinne des Asylgrundrechts tragen muß und wonach § 51 Abs. 1 AuslG für den Bereich des Abschiebungsschutzes die Übernahme der Abschiebungsbeschränkung in Art. 33 GK darstellt, wenn auch unter Verzicht auf die Voraussetzung des Art. 33 Nr. 1 GK, daß es sich um einen Flüchtling im Sinne des Art. 1 GK handeln muß. Es hatte damals festgestellt, daß bei Flüchtlingen, die diese Eigenschaft aufgrund von Art. 1 A Nr. 2 GK besitzen, sich der Abschiebungsschutz nach Art. 33 GK, § 51 Abs. 1 AuslG nach den Maßstäben bemißt, die für den Erwerb der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 A Nr. 2 GK gelten, wobei der Flüchtlingsbegriff des Art. 1 A Nr. 2 GK im Gegensatz zu Art. 16 a Abs. 1 GG nicht verlange, daß eine politische Verfolgung im Sinne des Asylgrundrechts vorliegt. Ergänzend weist das VG nun darauf hin, daß die Maßgeblichkeit der Genfer Konvention für die Auslegung des unterverfassungsrechtlichen Flüchtlingsrechts durch Art. K 2 des Vertrages über die Europäische Union vom 7.2.1992 - Maastricht-Vertrag -54 wie auch durch Art. 28 des Übereinkommens "Schengen II" vom 19.6.199055 und den gemeinsamen Standpunkt des Rates der EU vom 4.3.199656 bestätigt worden sei. Danach sei diese Konvention die Grundlage des innerstaatlichen wie auch des zwischen den Staaten der Europäischen Union zu praktizierenden Flüchtlingsrechts. Daraus folge zugleich, daß bei der Auslegung der Konvention wie auch des die Konvention umsetzenden innerstaatlichen sonstigen Rechts die Praxis und die Rechtsprechung der anderen Vertragsstaaten zur Genfer Konvention zu berücksichtigen seien. Dies habe insbesondere eine qualifizierte Berücksichtigung der Rechtsprechung aus den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich zur Folge, was für die Anwendung der Genfer Konvention in der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Auswirkung bleiben könne, da den genannten Abkommen aus den 90er Jahren die Überzeugung zugrunde liege, zu einer gemeinsamen, also auch inhaltlich im Kern übereinstimmenden Flüchtlingspolitik zu kommen. Dementsprechend sei eine einheitliche Auslegung anzustreben, der die Auffassung der Kammer zum Umfang des Schutzes durch § 51 Abs. 1 AuslG näher stehe als diejenige des Bundesverwaltungsgerichts, die es in seinem Urteil vom 18.1.199457 vertreten hat, wonach § 51 Abs. 1 AuslG nur vor politischer Verfolgung schützt. Das VG bejahte daher einen Anspruch des somalischen Antragstellers auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG aufgrund der drohenden Verfolgung im Rahmen der anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Ethnien.

      



      42 BT-Drs. 11/6321, 49; Hervorh. durch das BVerwG.
      43 So früher auch VGH Baden-Württemberg, vgl. Urt. vom 15.10.1996 - 16 S 1/96 - InfAuslR 1997, 124; vgl. jetzt aber unten [76].
      44 BVerwG, NVwZ 1996, 476.
      45 BVerwGE 95, 42 (44 ff.) und BVerwG, InfAuslR 1997, 37.
      46 BGBl. 1953 II, 559, Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -.
      47 In diesem Sinne jetzt auch BVerfGE 94, 49 (97), wonach das deutsche Ausländerrecht mit § 51 Abs. 1 AuslG dem "refoulement-Verbot" des Art. 33 GFK Rechnung trägt.
      48 BGBl. 1985 II, 926.
      49 ABl.EG vom 13.3.1996, Nr. L 63/2.
      50 Vgl. dort Nr. 5.1., 5.2. und Nr. 6 Abs. 2.
      51 BGBl. 1964 II, 1369, 1386; 1976 II, 1799.
      52 BVerfGE 65, 1 ff.
      53 NVwZ-RR 1994, 358 ff.; vgl. Ress (Anm. 2), [60]; rechtskräftig.
      54 ABl.EG C 191 vom 29.7.1992, 1.
      55 BGBl. 1993 II, 1003, 1010.
      56 ABl.EG 1996 Nr. L 63/2.
      57 InfAuslR 1994, 196.