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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

8. Wettbewerbs- und Kartellrecht

       130. In seinem Beschluß vom 7.10.1997 (KVR 14/96 - NJW-RR 1998, 764 = BB 1998, 759 = RIW 1998, 393 = WuW 1998, 477 = GRURInt. 1998, 710) hatte sich der Bundesgerichtshof mit einer Untersagungsverfügung auseinanderzusetzen, mit der das Bundeskartellamt dem betroffenen Reiseveranstalter die Verwendung einer in Bettenbuchungsverträgen enthaltenen Klausel untersagt hatte, durch die der Hotelier verpflichtet wird, einzelnen namentlich genannten Mitbewerbern des Veranstalters kein Bettenkontingent zur Verfügung zu stellen92. Auf die Rüge der fehlenden Zuständigkeit der nationalen Kartellbehörde zur Anwendung von Art. 85 Abs. 1 EGV führte der BGH aus, daß die Zuständigkeit des Bundeskartellamts für die Anwendung des Art. 85 Abs. 1 EGV nicht auf reine Inlandssachverhalte beschränkt ist. Sie sei jedenfalls auch dann gegeben, wenn sich die Wettbewerbsbeschränkung schwerpunktmäßig im Inland auswirke und die EG-Kommission im Hinblick auf die dezentrale Zuständigkeit von der Einleitung eines Verfahrens absehe. Grundlage der dezentralen Zuständigkeit der nationalen Kartellbehörde sei die auf Art. 88 EGV gestützte Regelung des Art. 9 Abs. 3 Verordnung Nr. 17/62, die den Behörden der Mitgliedstaaten unter anderem die Befugnis einräumt, Vereinbarungen daraufhin zu überprüfen, ob sie mit Art. 85 Abs. 1 EGV in Einklang stehen. Diese Kompetenzzuweisung umfasse gerade auch grenzüberschreitende Sachverhalte; denn sie war in erster Linie für die Zeit bis zum Inkrafttreten der Verordnung Nr. 17/62 gedacht, in der die Kommission über entsprechende Kompetenzen noch nicht verfügt hat und die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages allein den innerstaatlichen Behörden oblag. Dieser Regelungszusammenhang lasse es als ausgeschlossen erscheinen, daß sich die aus Art. 88 EGV abgeleitete dezentrale Kompetenz der innerstaatlichen Behörden ausschließlich auf reine Inlandssachverhalte bezieht. In der Sache bejahte der Bundesgerichtshof, daß die beanstandeten Klauseln gegen Art. 85 Abs. 1 EGV verstoßen. Eine spürbare Beeinträchtigung des Wettbewerbs sei gegeben. Diese Wettbewerbsbeschränkung habe die Betroffene bezweckt. Die von der Betroffenen vereinbarten Ausschließlichkeitsklauseln seien auch geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen. Eine Freistellung der beanstandeten Klauseln nach Art. 85 Abs. 3 EGV komme nicht in Betracht. Es sei nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht die Vereinbarung einer selektiven Exklusivität zu einer objektiven Verbesserung der Reiseleistungen unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn führen könnte. Der von der Betroffenen während des Verfahrens bei der EG-Kommission gestellte Antrag auf Erteilung eines Negativattestes gebiete keine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung der Kommission über den Antrag. Zum einen habe es die Kommission im Hinblick auf das vor den deutschen Gerichten anhängige Verfahren ausdrücklich abgelehnt, den Antrag zu behandeln, solange das Verfahren noch anhängig sei. Zum anderen entspreche die Auffassung des Gerichts auch der vorläufigen Einschätzung durch die Kommission.

       131. Mit der Frage einer Markenverletzung durch den Weitervertrieb von im Wege des Parallelimports eingeführten und umverpackten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln befaßte sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 10.4.1997 (I ZR 65/92 - EuZW 1997, 476). Im Rahmen des Rechtsstreits war zu entscheiden, ob der der Markeninhaberin zustehende markenrechtliche Schutz erschöpft ist (§ 24 Abs. 1 Markengesetz). Bei der Auslegung von § 24 Markengesetz orientierte sich der Bundesgerichtshof an einer Entscheidung des EuGH zu Art. 7 Abs. 1 Marken-Richtlinie93. Der EuGH habe Art. 7 Marken-Richtlinie dahin ausgelegt, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch das Kennzeichnungsrecht des Markeninhabers der Erschöpfung unterliege. Von diesem Verständnis der Erschöpfungsregelung sei nunmehr - entgegen der Regelungsabsicht des Gesetzgebers - für Fallgestaltungen der vorliegenden Art auch bei der Auslegung von § 24 Markengesetz auszugehen. Zwar würden die aufgrund des Art. 177 EGV ergangenen Vorabentscheidungen grundsätzlich nur die im Ausgangsverfahren befaßten Gerichte binden. Jedoch könnten die Entscheidungen auch in anderen Verfahren eine tatsächlich rechtsbildende Kraft entfalten, um eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen. So seien jedenfalls die letztinstanzlichen Gerichte im Sinne des Art. 177 Abs. 3 EGV gehalten, das Gemeinschaftsrecht in der vom EuGH gegebenen Auslegung anzuwenden oder aber erneut vorzulegen. Mit der Bestimmung des § 24 Abs. 1 Markengesetz habe der deutsche Gesetzgeber die Vorschrift von Art. 7 Abs. 1 Marken-Richtlinie umgesetzt, indem er deren Wortlaut unverändert übernommen habe. Daher stelle sich bei der Auslegung der nationalen Bestimmungen die Frage, ob die konkrete Auslegung einer an sich nationalen Bestimmung mit der Regelung der Marken-Richtlinie zu vereinbaren ist. Daher sei bei der Auslegung des § 24 Abs. 1 Markengesetz für den Streitfall die vom EuGH zu Art. 7 Marken-Richtlinie vorgenommene Auslegung zugrunde zu legen. Danach sei davon auszugehen, daß das Kennzeichnungsrecht aus der Marke erschöpft sein kann, sofern nicht die Klägerin sich der Benutzung der Klagemarke im Zusammenhang mit dem weiteren Vertrieb der Arzneimittel durch die Beklagte aus berechtigten Gründen im Sinne von § 24 Abs. 2 Markengesetz widersetzt. Hier habe die Beklagte die nach der Rechtsprechung für den Fall des weiteren Vertriebs umgepackter und wieder markierter Arzneimittel erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen sich der Markeninhaber dem weiteren Vertrieb nicht widersetzen kann. Deshalb könne hier von einer Erschöpfung des Markenrechts nicht ausgegangen werden, so daß der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht.

       132. Auf die Klage eines Parfümerie-Discounters auf Feststellung der Pflicht der beklagten Parfümherstellerin, mit der Klägerin einen Depot-Vertrag abzuschließen, stellte das OLG Frankfurt/M. in seinem Urteil vom 9.9.1997 (11 U [Kart] 58/96 - WuW 1998, 385) fest, daß das selektive Vertriebssystem, auf das sich die Beklagte beruft, mit Art. 85 Abs. 1 EGV vereinbar ist, da die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers, seines Personals und seiner sachlichen Ausstattung beziehen, und da diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden. Von den Discount-Parfümerien der Klägerin werde hierbei das auf die sachliche Ausstattung bezogene Erfordernis des Depot-Vertrages nicht erfüllt, denn es fehle an einem dem Image der Marke der Beklagten entsprechenden Umfeld. Die weitere Voraussetzung für die Vereinbarkeit mit Art. 85 Abs. 1 EGV, daß ein selektives Vertriebssystem im konkreten Fall auch erforderlich ist, sei ebenfalls erfüllt. Die Erhaltung des Charakters von Luxusprodukten, wie sie den Erzeugnissen der Beklagten zukomme, setze insbesondere voraus, daß der Verkauf in einem Rahmen erfolgte, der zu dem luxuriösen, exklusiven Produktimage paßt. Eine Unvereinbarkeit mit Art. 85 EGV könne danach allenfalls noch daraus folgen, daß die Zahl der selektiven Vertriebssysteme keinen Raum mehr für andere Vertriebsformen läßt oder aber zu einer Erstarrung der Preisstruktur führt. Hierfür lägen aber keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr zeigten gerade die Discount-Angebote der von der Beklagten belieferten Vertragshändler, daß auch auf dem Markt der Luxusparfüms Preiswettbewerb stattfindet.

       133. Der Bundesgerichtshof legte mit Beschluß vom 11.3.1997 (KZR 2/96 - EuZW 1997, 381) dem EuGH Fragen zur Vereinbarkeit von Gasversorgungsmonopolen mit Art. 85 EGV vor.94 Die Stadt D hatte in einem Wegenutzungsvertrag mit einem Gasversorgungsunternehmen ein Verbot der Versorgung von Erdgasabnehmern im Stadtgebiet unmittelbar mittels Erdgasfernleitung vereinbart, wodurch der Wettbewerb zugunsten der Stadtwerke D beschränkt werden sollte. Diese Wettbewerbsbeschränkung ist nach Auffassung des BGH geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und könnte daher nach Art. 85 EGV nichtig sein. Sie reihe sich ein in die Abschottung des gesamten deutschen Erdgasmarktes zur Versorgung von Endabnehmern gegenüber Gasversorgern aus anderen Mitgliedstaaten. Jedenfalls sei die Abrede mit dem Drittunternehmen dann unzulässig gewesen, wenn es bereits gegen Art. 85 EGV verstößt, daß die Stadt ihren Stadtwerken das ausschließliche Recht eingeräumt hat, die öffentlichen Verkehrswege zur Verlegung von Erdgasleitungen zu nutzen. Der BGH bat daher um Entscheidung der Fragen, ob Art. 85 EGV der Gewährung des Versorgungsmonopols an die Stadtwerke entgegensteht, ob weiterhin mit Rücksicht auf dieses Monopol Art. 85 EGV der Wettbewerbsbeschränkung in dem Vertrag mit dem Versorgungsunternehmen entgegensteht und ob ggf. Umstände gegeben sind, die diese Vereinbarung im Hinblick auf Art. 90 Abs. 2 EGV als zulässig erscheinen lassen.

       134. In einem Nichtannahmebeschluß vom 7.10.1997 (KZR 36/96 - WuW 1998, 55) führte der Bundesgerichtshof aus, daß das Berufungsgericht die Remailing-Tätigkeit der Bekl. zu Recht als rechtswidrig angesehen habe. Der Beförderungsvorbehalt zugunsten der Kl. in § 2 PostG sei mit Art. 90 Abs. 2 EGV vereinbar. Voraussetzung dafür sei nicht, daß andernfalls die wirtschaftliche Existenz des Universalpostdienstes gefährdet wäre, sondern es komme nach der Auslegung des Art. 90 Abs. 2 EGV durch den EuGH95 darauf an, daß die Wettbewerbsbeschränkung notwendig ist, um dem Inhaber des ausschließlichen Rechts zu ermöglichen, seine im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe unter wirtschaftlich tragbaren, ausgewogenen Bedingungen zu erfüllen. Diese Voraussetzungen habe das Berufungsgericht fehlerfrei festgestellt.

       135. Das OLG Frankfurt/Main war in seinem Vorlagebeschluß vom 25.3.1997 (11 U [Kart] 31/96 - WuW 1997, 916) der Auffassung, daß sich aus Art. 25 § 3 des Weltpostvertrages in Verbindung mit dem deutschen Zustimmungsgesetz ein Anspruch der Deutschen Post AG auf Zahlung des Inlandsportos für die Zustellung von im Ausland eingereichten Briefsendungen an in Deutschland ansässige Empfänger ergibt, wenn der Inhalt der Schreiben in Deutschland festgelegt und im Wege elektronischen Datentransfers zum Ausdruck und zur Einlieferung beim dortigen Postdienst an ein Unternehmen im Ausland übermittelt wird (Non-physical Remailing). Es legte dem EuGH mehrere Fragen dahin gehend vor, ob das Gemeinschaftsrecht (insbesondere Art. 90, 30ff., 56ff. EGV) der Inanspruchnahme des Absenders entgegensteht.96 Nach Auffassung des Senates dürften die Grundsätze der Corbeau-Entscheidung des EuGH97 nicht herangezogen werden können, da die Klägerin auf den Anspruch auf Zahlung der Inlandsgebühren zusätzlich zu den bereits vereinnahmten Endvergütungen zur Aufrechterhaltung eines Universaldienstes nicht angewiesen ist, weil sie auf diese Weise insgesamt höhere Einnahmen hätte als bei Beförderung regulärer Inlandspost.

      



      92 Zur Entscheidung der Vorinstanz vgl. Röben (Anm. 2), [99].
      93 EuGH, NJW 1997, 1627 - Bristol - Myers Squibb u.a./Paranova.
      94 Das Verfahren war zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Berichts als Rechtssache C- 187/97 noch beim EuGH anhängig.
      95 Slg. 1993, I-2563, 2569 Rn. 16 f. - Corbeau.
      96 Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Berichts war dieses Verfahren als Rechtssache C- 147/97 noch beim EuGH anhängig.
      97 Slg. 1993, I-2563.