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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Kai Peter Ziegler


X. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

g) Schutz der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 10 und 11 EMRK)

       82. Nach Ansicht des BVerwG in dem Beschluß vom 4.6.1998 (2 DW 3/97 - NJW 1999, 1649) rechtfertigt eine Entscheidung des EGMR, die einen Konventionsverstoß feststellt, in einem Fall ähnlicher Art nicht die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahrens. Der Antragsteller war wegen Verletzung seiner politischen Treuepflicht i.S.d. § 52 Abs. 2 BBG durch Aktivitäten für die DKP aus dem Dienst entfernt worden. Kraft Gnadenentscheids des Bundespräsidenten wurde der frühere Beamte wieder in seine Rechte ein- und später in den Ruhestand versetzt. Er beantragte nun die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ziel des Freispruchs. Nach Auffassung des BVerwG kommt eine Wiederaufnahme aber weder unmittelbar noch analog § 97 Abs. 2 Nr. 1 BDO in Betracht, weil ein Urteil des EGMR, das bei einem ähnlichen Sachverhalt einen Verstoß gegen Art. 10 und 11 EMRK festgestellt habe,101 keine neue Tatsache i.S.d. § 97 Abs. 2 Nr. 1 BDO darstelle. Nur die Erschütterung der für die rechtliche Subsumtion maßgeblichen tatsächlichen Urteilsgrundlagen, nicht aber ihre rechtliche Bewertung, könne eine Wiederaufnahme rechtfertigen. Weiter komme § 97 Abs. 1 BVerfGG analog nicht in Betracht, weil eine Konventionswidrigkeit mit der Verfassungswidrigkeit einer Norm wegen des Rangunterschiedes der Referenznormen nicht gleichzusetzen sei. Aus der EMRK ergebe sich nichts anderes, da die Vertragsstaaten nach Art. 53 EMRK zwar zur Beachtung der Urteile des EGMR verpflichtet seien, der EGMR aber Hoheitsakte der Vertragsstaaten nicht aufheben könne und seine Urteile nicht kassatorische, sondern nur feststellende Wirkung hätten. Auch lasse sich aus Art. 50 EMRK folgern, daß die Fortgeltung konventionswidriger Maßnahmen sich nach innerstaatlichem Recht richte und rechtskräftige Entscheidungen folglich nicht angetastet werden müßten, da andere Formen der Wiedergutmachung gewählt werden könnten. Auch das BVerfG habe verfassungsrechtlich und völkerrechtlich gebilligt, daß den Entscheidungen des EGMR keine unmittelbar gestaltende Wirkung in der innerstaatlichen Rechtsordnung zukomme.102 Der Beschwerdeführer sei durch Gnadenentscheid des Bundespräsidenten von den belastenden Folgen der Entfernung aus dem Dienst hinreichend befreit worden. Schließlich lasse sich auch aus Art. 13 EMRK keine Pflicht zur Wiederaufnahme ableiten, da diese Vorschrift lediglich eine wirksame Beschwerdemöglichkeit vor einer nationalen Instanz garantiere, die der Beamte gehabt habe.

       83. Der VGH Kassel urteilte am 7.5.1998 (24 DH 2498/96 - NVwZ 1999, 904), daß die politische Treuepflicht es mit Rücksicht auf Art. 5 und 9 GG sowie Art. 10 und 11 EMRK nicht gebiete, eine politische Partei bereits beim Auftreten erheblicher verfassungsfeindlicher Tendenzen zu verlassen. Ein Beamter war nach § 83 hess. DiszO vorläufig des Dienstes enthoben worden, weil er durch die Übernahme von Ämtern für die Partei "Die Republikaner" schuldhaft gegen die politische Treuepflicht nach § 67 Abs. 2 hess. BG verstoßen habe. Der VGH war hingegen der Auffassung, daß der Sachverhalt die Maßnahmen nicht rechtfertige und führte dazu u.a. aus, daß die politische Treuepflicht des Beamten in einem Spannungsverhältnis zu den Rechten auf freie Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK und der Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 EMRK stehe. Nach Rechtsprechung des EGMR könne die aktive Mitarbeit eines Beamten in einer verfassungsfeindlichen Partei zwar seine Entlassung rechtfertigen, doch müsse das Dienstvergehen im Licht der Art. 10 und 11 EMRK so erheblich sein, daß die vorgesehene disziplinarische Ahndung in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich sei.103 Setze sich ein Beamter aber dafür ein, die verfassungsfeindlichen Tendenzen einer Partei auf Dauer nachhaltig zu unterbinden, so sei sein Verbleiben in der Partei kein Verstoß gegen die Treuepflicht, wenn seine Bemühungen noch Aussicht auf Erfolg hätten und der verfassungstreue Parteiflügel nicht lediglich als Tarnung für überwiegend verfassungsfeindliche Parteitendenzen diene. Aufgrund der grundgesetzlich und konventionsrechtlich geschützten Meinungsäußerungs- und Vereinigungsfreiheit gebiete die politische Treuepflicht es dem Beamten nicht, eine politische Partei bereits beim Auftreten erheblicher verfassungsfeindlicher Tendenzen zu verlassen. Er habe vielmehr das Recht, für den Erhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung innerhalb der Partei zu kämpfen, solange Aussicht auf Erfolg bestehe. Erst das bewußte Verbleiben in einer Partei, die höchstrichterlich als überwiegend verfassungsfeindlich bezeichnet worden sei, stelle i.d.R. einen Verstoß gegen die politische Treuepflicht dar, die nicht durch wenig aussichtsreiches Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in der Partei gerechtfertigt werden könne. Ein solcher diziplinarrechtlich zu ahnender Fall liege hier aber nicht vor.

       84. Laut Urteil des VG Sigmaringen vom 19.3.1998 (8 K 1034/96 - NVwZ 1998, 1104) erfaßt die EMRK nicht das Recht auf Einstellung in den öffentlichen Dienst, so daß eine Entscheidung des EGMR über die Rechtswidrigkeit der Entlassung einer Beamtin wegen Mitgliedschaft in der DKP für ein erneutes Einstellungsbegehren in anderer Sache ohne rechtliche Bedeutung sei. Der Kläger stellte nach Ablegen der Prüfung für das Lehramt an Gymnasien einen Antrag auf Einstellung als Studienassessor, der abgelehnt wurde, da der Kläger aufgrund seiner Mitgliedschaft und Funktionen in der DKP nicht die erforderliche Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Unter Berufung auf das Urteil des EGMR Vogt./.Deutschland104 beantragte der Kläger erneut erfolglos seine Einstellung. Auch seine Klage wurde abgewiesen. Das VG führte dazu u.a. aus, daß in der Entscheidung des EGMR kein Wiederaufgreifungsgrund zu sehen sei, da sie keine bedeutsame Änderung der Rechtslage mit sich bringe. Richterliche Rechtsanwendung ändere schon grundsätzlich nicht das zugrundeliegende materielle Recht. Im übrigen sei die Entscheidung nicht einschlägig, da der EGMR ausdrücklich klargestellt habe, daß das Recht auf Einstellung in den öffentlichen Dienst bewußt nicht in die Konvention aufgenommen worden und folglich ein Konventionsverstoß ausgeschlossen sei. Die Würdigung des EGMR, daß eine Entlassung einer Beamtin auf Lebenszeit wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP unverhältnismäßig sei, lasse sich daher ungeachtet des Bezuges zu Art. 10 und 11 EMRK nicht auf die Entscheidung über die Einstellung eines Beamten übertragen.

      



      101 EGMR, Urteil vom 29.9.1995, Vogt./.Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1995, 590.
      102 BVerfG, Beschluß vom 11.10.1985, NJW 1986, 1425.
      103 EGMR, Urteil vom 29.9.1995, Vogt./.Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1995, 590.
      104 Ibid.