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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

2. Allgemeines Diskriminierungsverbot

       116. Mit der Wirkung von Art. 6 EGV im Urheberrecht befaßte sich das OLG Frankfurt a.M. in seinem Urteil vom 19.4.1997 (11 U 23/96 - GRURInt. 1997, 1006 [nicht rechtskräftig]). Der klagende Bühnen- und Musikverlag besitzt im Bereich der Bundesrepublik Deutschland die Aufführungsrechte an der Oper "La Bohème" des italienischen Komponisten Giacomo Puccini, der im Jahre 1924 verstorben ist. Der Kläger verlangt vom beklagten Land Schadensersatz wegen der im Staatstheater Wiesbaden ohne Zustimmung des Verlages vorgenommenen Aufführungen dieser Oper in den Jahren 1993 und 1994. Das beklagte Land war der Auffassung, daß der urheberrechtliche Schutz für die Werke Puccinis bereits 1980 abgelaufen sei. Demgegenüber bemißt sich nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. die Dauer des Schutzes für die Werke des Komponisten Giacomo Puccini nach der 70-jährigen Schutzfrist des deutschen Urheberrechts und endet deshalb nicht nach der kürzeren italienischen Schutzfrist von 56 Jahren. Diese Beurteilung folge aus der auch für Fälle der vorliegenden Art maßgeblichen und zugrundezulegenden Entscheidung des EuGH vom 20.10.1993 - Phil Collins -85. Nach dieser Entscheidung kommt der Schutzfristenvergleich im Verhältnis zu Bürgern eines EU-Mitgliedstaates nicht zur Anwendung, weil derartige Reziprozitätsvorbehalte nationaler Schutzvorschriften diskriminierend i.S.d. Art. 6 EGV wirken. Daher könne sich ein Urheber oder ausübender Künstler eines anderen Mitgliedstaates oder derjenige, der Rechte von ihm ableitet, vor dem nationalen Gericht unmittelbar auf das in dieser Bestimmung niedergelegte Diskriminierungsverbot berufen, um Gewährung des Schutzes zu verlangen, der inländischen Urhebern und ausübenden Künstlern vorbehalten ist. Damit ergebe sich bei Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EGV i.S. dieser Entscheidung ein unmittelbarer Anspruch auf Gleichbehandlung mit inländischen Urhebern im Bereich der EG-Mitgliedsländer. Zudem sei dieser Entscheidung zu entnehmen, daß der urheberrechtliche Schutz für EU-Bürger in der Bundesrepublik Deutschland nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob inländischen Künstlern im Herkunftsland des Schutzsuchenden vergleichbarer Schutz gewährt wird (sog. Reziprozität). Daher sei auch der Schutzfristenvergleich nach Art. 7 Abs. 8 RBÜ im Verhältnis zu EU-Urhebern unzulässig. Die abweichenden Regelungen des nationalen deutschen Urheberrechts stünden dem nicht entgegen, weil der Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen unmittelbar auf Grund des Art. 6 EGV bestehe. Dabei gelte das allgemeine Diskriminierungsverbot auch mit ex tunc-Wirkung. Aus deutscher Sicht bedeute dies konkret, daß alle belgischen, britischen, französischen und insbes. auch italienischen Urheber jedenfalls in Deutschland in den Genuß der 70-jährigen Schutzfrist post mortem auctoris gemäß § 64 Abs. 1 Urhebergesetz gelangt sind. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß Giacomo Puccini bereits im Jahre 1924 verstorben ist und deshalb ersichtlich nicht mehr EU-Bürger werden konnte. Maßgeblich sei, daß Puccini Angehöriger eines Staates - Italien - gewesen ist, der mit Inkrafttreten der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1958 unmittelbar deren Mitglied geworden ist, sich deshalb das damals in diesem Land bereits angelegte Urheberrecht fortgesetzt hat und somit das Diskriminierungsverbot auch auf den Urheber durchgreift, der zu Lebzeiten noch nicht Staatsbürger eines EG-Landes gewesen ist. Nach Auffassung des Gerichts legt der Umstand, daß im 3. Urheberrechtsänderungsgesetz vom 23.6.1995 Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der EU deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt werden und damit direkt nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz behandelt werden, die Annahme nahe, daß auch der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß das Diskriminierungsverbot, wie es nach der Phil-Collins-Entscheidung zu verstehen ist, auch für Werke derjenigen Urheber gelte, die zu Lebzeiten noch die Staatsangehörigkeit eines Landes besaßen, das erst später und nach deren Ableben Mitglied der EU geworden ist. Bei dieser Sachlage lasse sich deshalb die Auffassung rechtfertigen, daß Werke bereits verstorbener Urheber, die Staatsangehörige eines Landes waren, das mit Inkrafttreten des EWG-Vertrages Mitglied der EU geworden ist, aufgrund des Diskriminierungsverbots in Art. 6 EGV der 70-jährigen Schutzfrist nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz unterliegen, auch wenn sie nach dem Schutzfristenvergleich bereits frei geworden wären.

       117. In seinem Urteil vom 23.4.1997 (19 B 96.763 - BayVBl. 1998, 278) untersuchte der Bayerische VGH, ob die Nichtanerkennung ausländischer Jägerprüfungen gegen Art. 6 EGV verstößt. Nach Auffassung des Gerichts findet das europarechtliche Diskriminierungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 EGV bei der Versagung eines Jagdscheins keine Anwendung. Dieses Diskriminierungsverbot gelte nur im Anwendungsbereich des EGV, also nur in den Sachbereichen, in denen die Gemeinschaft Aufgaben wahrnimmt. Der Bereich des Jagdrechts als nationales Sicherheitsrecht falle nicht in den Aufgabenkreis der Gemeinschaft. Der Anwendungsbereich des EGV erfasse deshalb auch nicht die Erteilung von Jagdscheinen.

      



      85 GRUR 1994, 280 ff.