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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

I. Völkerrechtsquellen, Grundlagen der völkerrechtlichen Beziehungen

    1. Für die Europäische Union wies Deutschland in der Generalversammlung auf die Bedeutung von Menschenrechten und Demokratie hin:1

    "The European Union's position with regard to the interrelated and mutually reinforcing connections between democracy, human rights and development is well-known. We believe that the strengthening of democratic institutions which guarantee the rule of law, the promotion of the values of democracy and respect for human rights is of paramount importance. We think that these principles not only widen the possibilities for citizens to participate in political decisions but will also provide economic impetus to society."2

    2. Fragen der Nichteinmischung und Souveränität spielten im Berichtsjahr verschiedentlich eine Rolle. Im Hinblick gerade auf kleine Staaten betonte Deutschland für die Europäische Union:

    "... we adhere strictly and unequivocally to the principle of sovereignty and territorial integrity of all States, irrespective of their size, as well as all other principles enshrined in the United Nations Charter. It is our firm conviction that these principles apply to all States equally. Accordingly, the United Nations Charter rightly affirms the principle of 'equal rights of nations, large and small'."3
    Für die Europäische Union und Österreich begrüßte der deutsche Vertreter, daß die Vereinten Nationen den Abzug der ehemals sowjetischen Streitkräfte aus den baltischen Staaten erreicht hätten.4 Die Europäische Union begrüßte auch das Abkommen zwischen der Republik Moldau und der Russischen Föderation vom 21. Oktober 1994 über den Abzug der 14. Russischen Armee vom Hoheitsgebiet Moldaus und bekräftigte ihre Unterstützung für Moldaus Unabhängigkeit und territoriale Integrität.5 Der deutsche Außenminister betonte in einer Rede:
    "Rußland bleibt ein erstrangiger weltpolitischer Akteur: das belegt schon sein ständiger Sitz im Sicherheitsrat der VN. Jedoch: Altes Denken in Einflußzonen ist heute überholt. Der Begriff des 'nahen Auslands', den wir jetzt gelegentlich aus Moskau hören, ist mißverständlich, er paßt überhaupt nicht in eine Zeit globaler Interdependenz."6
    Erneut wies Deutschland für die Europäische Union darauf hin, daß die mit dem US-Wirtschafts- und Finanzembargo gegen Kuba verbundene extraterritoriale Anwendung US-amerikanischen Rechts die allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts und die Souveränität unabhängiger Staaten verletze.7
    Im 3. Ausschuß wandte sich Deutschland für die Europäische Union gegen einen Resolutionsentwurf mit dem Titel "Respect for the principles of national sovereignty and non-interference in the internal affairs of States in their electoral processes" und führte dazu aus:
    "In our opinion, this draft detracts from efforts made by many States throughout the world to genuinely enhance the effectiveness of the principle of periodic and genuine elections. The European Union is fully committed to the principles of the Charter, to which the draft resolution refers. The Union objects, however, to any selective use of the Charter to justify the denial to the people of their rights to free and democratic elections."8

    3. Im Hinblick auf die Agenda for Development führte Außenminister Kinkel vor der 49. Generalversammlung der Vereinten Nationen aus:

    "Für die Europäische Union lautet die angemessene Antwort auf diese globalen Herausforderungen:
    – Stärkung der VN und des Multilateralismus zur weltweiten Friedenssicherung
    – Ausbau der präventiven Diplomatie und der Konfliktverhütung in den VN und in regionalen Institutionen
    – Achtung der Menschenrechte in der Welt und Herrschaft des Rechts
    – Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit und der Zusammenarbeit in und zwischen den Regionen."9

    4. Deutschland hob namens der Europäischen Union weiterhin hervor, daß es eine klare Beziehung zwischen politischer Stabilität und Entwicklung gebe. Der deutsche Vertreter führte aus:

    "Peace as the foundation, the economy as the engine of progress, the environment as a basis for sustainability, justice as a pillar of society and democracy and good governance, these dimensions are the cornerstones and foundations for development. The respect for human rights including the right to development is a prerequisite for actions taken by governments."10
    "There is a need to recognize the increasing diversity of the developing world and the growing differentiation among developing countries. Several developing countries are now key actors in the world economy and should play an increased role in development cooperation efforts. There is also a need to recognize the role of new actors in development including non-governmental actors."11
    Im Namen der Europäischen Union begrüßte der deutsche Vertreter im 2. Ausschuß den Bericht des Generalsekretärs über die "agenda for development" und führte aus:
    "We support a broad vision of development encompassing the five dimensions peace, the economy, the environment, justice and democracy."12

    5. Im Hinblick auf den Terrorismus führte Deutschland für die Europäische Union in der Generalversammlung aus:

    "The European Union has emphasized time and again that, no matter how legitimate a cause may be, it can never justify acts of terrorism. What is more, such acts detract from the cause, however just, that the perpetrators claim to be championing. In addition, terrorist acts negatively affect relations among States and thereby endanger the stability of the international order."13
    "These acts endanger and cause the loss of human lives, undermine human dignity, democracy and the rule of law."14
    Deutlich widersprach der deutsche Vertreter für die Europäische Union dem Vorschlag, Terrorismus in einer Konvention oder Erklärung zu definieren und zu diesem Zwecke eine Arbeitsgruppe oder Konferenz einzuberufen und führte aus:
    "Furthermore, the organization of such a conference might perpetuate the misconception that there is a link between terrorism and the exercise of the right to self-determination."15

    6. Für die Europäische Union begrüßte Deutschland den erfolgreichen Abschluß des Entwurfs der Völkerrechtskommission zu einem Statut für einen ständigen internationalen Strafgerichtshof.16


    1 Die jährlich vom Auswärtigen Amt herausgegebene Sammlung der Redebeiträge der Vertreter Deutschlands in der Generalversammlung der Vereinten Nationen bzw. ihren Unterorganen erschien 1994 unter dem Titel "Deutschland 1994." Dabei wurden die Äußerungen im Plenum bzw. den Ausschüssen jeweils getrennt paginiert. Seitenangaben werden deswegen jeweils mit Bezug zu dem entsprechenden Ausschuß oder mit dem Vermerk "Plenum" zitiert. Im zweiten Halbjahr 1994 hatte Deutschland die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union inne, siehe unten, Ziff. 256. In dieser Funktion äußerte sich Deutschland in der Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) bzw. ihren Unterorganen für die Europäische Union und zum Teil zusätzlich für weitere Staaten, insbesondere Staaten, die der Europäischen Union im Berichtsjahr beitreten wollten oder beigetreten sind, s.u. Ziff. 244 ff. Es ist jeweils angegeben, in wessen Namen die Stellungnahmen abgegeben worden sind. Sofern eine solche Angabe fehlt, hat sich Deutschland nur im eigenen Namen geäußert. Für die Europäische Union hat Außenminister Kinkel vor der Generalversammlung am 27.9.1994 das Wort ergriffen. Aus diesem Anlaß wurde ein Memorandum by the European Union at the 49th UN General Assembly verteilt (im folgenden: EU-Bericht). In dem Memorandum wird auf folgendes hingewiesen: "It forms part of that speech. Austria as an acceding State associates itself with this memorandum."
    2 Deutschland 1994 (Anm. 1), Plenum, 158, siehe auch: GA Res. 49/30 vom 22.12.1994.
    3 Deutschland 1994 (Anm. 1), 4. Ausschuß, 2.
    4 Deutschland 1994 (Anm. 1), Plenum, 46; siehe auch den Bericht des Generalsekretärs, UN Doc. A/49/419 vom 22.9.1994, GA Res. 48/18 vom 15.11.1993; Christine Langenfeld, VRPr. 1992, ZaöRV 54 (1994), 814-1022, Ziff. 17.
    5 Presseverlautbarung des Vorsitzes vom 28.11.1994, Bull. Nr. 111 vom 30.11.1994, 1020. Der Erklärung haben sich Österreich, Finnland und Schweden angeschlossen.
    6 Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, Rede des Bundesaußenministers in Sigmaringen, 29.4.1994, Bull. Nr. 40 vom 5.5.1994, 349.
    7 Deutschland 1994 (Anm. 1), Plenum, 39.
    8 Deutschland 1994 (Anm. 1), 3. Ausschuß, 56; UN Doc.A/C.3/49/L.34.
    9 Rede des Vorsitzenden des Rates der Europäischen Union, Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen, anläßlich der 49. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 27.9.1994 in New York.
    10 Deutschland 1994 (Anm. 1), Plenum, 129.
    11 Ibid., 130.
    12 Deutschland 1994 (Anm. 1), 2. Ausschuß, 3.
    13 Deutschland 1994 (Anm. 1), 6. Ausschuß, 53.
    14 EU-Bericht (Anm. 1), Ziff. 19.
    15 Deutschland 1994 (Anm. 1), 6. Ausschuß, 57. Siehe auch unten, IX. b., Ziff. 85.
    16 EU-Bericht (Anm. 1), Ziff. 22. Siehe im einzelnen unten, unter XVI. a., Ziff. 286.