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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XI. Rechtshilfe und Auslieferung

a. Rechtshilfe

    121. Im Berichtsjahr trat das Übereinkommen über den Beitritt Spaniens und Portugals zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung rechtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen der EWG (Brüsseler Übereinkommen) und dem Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof in Kraft.277 Mit Gesetz vom 30. September 1994 stimmte der Bundestag darüber hinaus dem Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Abkommen) zu,278 das sich inhaltlich stark an das Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 anlehnt und einheitliche Regelungen auf dem Gebiet der Zuständigkeit und der Vollstreckung von Urteilen im Verhältnis auch zu den Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) schafft. Das Abkommen bestimmt für alle Streitigkeiten mit Auslandsbeziehungen in vermögensrechtlichen Angelegenheiten einheitlich die Zuständigkeit der Gerichte. Das Übereinkommen vereinfacht und vereinheitlicht ferner das Verfahren für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen, die in einem anderen Vertragsstaat erlassen worden sind. Das Übereinkommen trat am 1. März 1995 in Kraft. Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 14. Dezember 1994 hat Deutschland den in Art. IV Abs. 2 des Protokolls Nr. 1 zum Übereinkommen vorgesehenen Widerspruch erklärt.279

    122. Am 23. Juni 1994 trat der deutsch-marokkanische Vertrag über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen in Kraft.280

    123. Ebenfalls in Kraft trat das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen.281

    124. Gegenstand einer Parlamentarische Anfrage war im Berichtsjahr auch die Problematik internationaler Kindesentführungen ("legal kidnapping"). Die Bundesregierung führte aus, daß Grundlage der Rechtshilfe in diesem Bereich das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Haager Übereinkommen)282 und das Europäische Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (Europäisches Übereinkommen) sind.283 Auf der Grundlage dieser beiden Übereinkommen habe der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof insgesamt 75 Ersuche gestellt, von denen 71 Anträge Rückführungsverlangen nach dem Haager Übereinkommen und vier Fälle ein Ersuchen um Unterstützung bei der Durchsetzung des Umgangsrechts betrafen.284 Außerhalb des Geltungsbereichs der genannten Übereinkommen hätten sich Beteiligte � im Jahre 1994 insgesamt in 20 Fällen � an das Auswärtige Amt gewandt. Im Ausland durchzuführende Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren für deutsche Sorgerechtsentscheidungen seien regelmäßig zeit- und kostenaufwendig und verliefen, ebenso wie dort neu in Gang gebrachte Sorgerechtsverfahren, vor allem in Ländern mit anderer rechtlicher und kultureller Prägung häufig zum Nachteil des deutschen Staatsangehörigen. Entsprechend gering seien die Erfolge bei den Rückführungsbemühungen. Diese Situation könne nur verbessert werden, wenn die Staaten dazu bewegt werden könnten, das Haager Übereinkommen zu ratifizieren oder sonstige entsprechende Übereinkünfte im Sinne von Art. 11 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989285 zu schließen. Im Rahmen der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen habe die Bundesregierung darauf hingewirkt, daß die EG-Mitgliedstaaten ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären, sich an das Haager und das Europäische Übereinkommen zu binden. Bis auf Italien und Belgien hätten die jetzigen und künftigen EU-Staaten inzwischen auch beide Übereinkommen ratifiziert. Auch im Europarat sei eine entsprechende Ratifikationsempfehlung erarbeitet worden. Im übrigen habe die deutsche Präsidentschaft in der EU eine Initiative gegenüber den Staaten ergriffen, für die bislang die Übereinkommen nicht wirksam geworden sind. Die deutschen Botschaften in den betreffenden Staaten seien am 12. Dezember 1994 angewiesen worden, entsprechende Demarchen an die jeweiligen Außenministerien zu richten.286

    125. Zur Bekämpfung der Kinderprostitution komme der Abschluß bilateraler Rechtshilfeverträge nach der Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentarische Anfrage nur dann in Frage, wenn der potentielle Vertragsstaat nicht in der Lage sei, auf vertragsloser Basis Rechtshilfe zu leisten, wenn die Zahl der auftretenden Fälle den mit dem Abschluß eines bilateralen Vertrages verbundenen Arbeitsaufwand nebst parlamentarischer Befassung rechtfertigt und das Rechtssystem im potentiellen Vertragsstaat in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht menschenrechtlichen Mindestanforderungen Rechnung trägt.287 Weiter heißt es:

    "Hinsichtlich der letztgenannten Voraussetzung ist in jedem einzelnen Fall eine gründliche Prüfung erforderlich, um nicht durch Abschluß von Verträgen Verpflichtungen auch für die deutsche Seite zu begründen, deren Erfüllung rechtlich nicht vertretbar wäre, deren Nichterfüllung die Bundesregierung aber vor erhebliche politische Probleme stellte."
    Für die osteuropäischen Staaten sei auf das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 hinzuweisen, dem mittlerweile Ungarn sowie die Tschechische und Slowakische Republik beigetreten seien. Damit würden im Verhältnis zu diesen Staaten bilaterale Rechtshilfeverträge entbehrlich.288 Im Hinblick auf den sog. "Kindersextourismus" hätten die Botschaften in den Zielländern Weisung erhalten, gegenüber den jeweiligen Regierungen im Wege der Demarche auf die Verschärfung des deutschen Strafrechts in diesem Bereich hinzuweisen und um Mitteilung derartiger Straftaten und der vorliegenden Beweismittel zu bitten. Erkenntnisse darüber, ob die Änderung des deutschen Strafrechts (§ 5 Nr. 8 StGB) bereits zu einschlägigen Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben, lägen der Bundesregierung noch nicht vor. Zum Abschluß bilateraler Rechtshilfeverträge für diese Fälle führte die Bundesregierung weiter aus:
    "Die Bundesregierung bevorzugt die Zusammenarbeit mit den betroffenen Zielländern im Rahmen des vertragslosen Rechtshilfeverkehrs. Sie vollzieht sich auf der Grundlage der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen, die in fast allen Staaten die Stellung und Erledigung strafrechtlicher Rechtshilfeersuchen auch ohne den Abschluß eines bilateralen Rechtshilfeabkommens erlauben. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen sind die ausländischen Staaten, deren Mithilfe für eine erfolgreiche Strafverfolgung dort begangener Taten erforderlich ist, zu einer Zusammenarbeit im vertragslosen Verkehr willens und in der Lage."289
    Außerdem führte die Bundesregierung aus:
    "Die Teilnahme deutscher Beamter an Ermittlungen in den betroffenen Zielländern im Rahmen der Durchführung von Rechtshilfeersuchen deutscher Ermittlungsbehörden oder auf Ersuchen des jeweiligen Staates wird von der Bundesregierung grundsätzlich befürwortet und in Einzelfällen auch mit Erfolg praktiziert."290


    277 Beitrittsübereinkommen vom 26.5.1989, BGBl. 1994 II, 518; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/5841; Woche im Bundestag 2/94 vom 26.1.1994, 6; in Kraft getreten am 1.12.1994, BGBl. 1994 II, 3707.
    278 BGBl. 1994 II, 2658 ff.; BT-Drs. 12/6838.
    279 BGBl. 1995 II, 221. � Der Widerspruch bezieht sich auf die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates.
    280 Vom 29.10.1985, BGBl. 1988 II, 1054, Inkrafttreten: BGBl. 1994 II, 1192.
    281 BGBl. 1993 II, 1137, gemäß Art. 7 Abs. 1 des entsprechenden Ausführungsgesetzes � BGBl. 1993 I, 1407 � in Kraft getreten am 28.2.1994, BGBl. 1994 I, 342.
    282 In Kraft seit 1.12.1990, BGBl. 1990, II, 206, 220.
    283 In Kraft seit 1.2.1991, BGBl. 1991 II, 329, 392.
    284 Nach Angaben des Generalbundesanwalts sei in 16 Fällen die Rückführung des Kindes nach Deutschland angeordnet, in 12 Fällen seien die Kinder freiwillig zurückgegeben worden. In fünf Fällen hätten die Behörden der ersuchten Staaten den Rückführungsantrag gemäß Art. 27 des Haager Übereinkommens wegen offensichtlicher Unbegründetheit zurückgewiesen. Abgelehnt worden sei die Rückführung in einem einzigen Fall. Drei Fälle hätten sich durch Antragsrücknahme und sechs durch Vergleich erledigt. Ein Fall sei anderweitig erledigt und 25 Fälle seien bisher noch nicht abgeschlossen worden. In zwei Fällen lägen keine Informationen vor, BT-Drs. 13/160, 18.
    285 BGBl. 1992 II, 121, 990.
    286 Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 13/160, 17.
    287 BT-Drs. 12/6585, 6.
    288 Ibid.; Recht, Informationen des Bundesministeriums der Justiz, 1/94, 20.
    289 Recht, Informationen des Bundesministeriums der Justiz, 5/94, 91; Woche im Bundestag 8/94 vom 27.4.1994, 66; BT-Drs. 12/6585, 6.
    290 Recht, Informationen des Bundesministeriums der Justiz, 1/94, 20.