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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XII. Zusammenarbeit der Staaten

d. Polizeiliche Zusammenarbeit

    167. Für die Europäische Union nannte der deutsche Vertreter in der Generalversammlung folgende Prioritäten im Hinblick auf die Bekämpfung der Kriminalität:

    "International cooperation and technical assistance in the field of crime prevention and criminal justice, the fight against transnational organized crime, the control of the proceeds of crime, violence against women, violence against children, including the international traffic of minors, the role of criminal law in the protection of the environment, the prevention of urban crime ... the organized smuggling of illegal migrants across national borders."369
    Er erwähnte außerdem die Problematik der Geldwäsche und hob hervor, daß der Europarat erwäge, eine "convention on environmental crime" zu erarbeiten.370
    Im Hinblick auf die internationale Drogenbekämpfung führte die Bundesregierung für die Europäische Union aus:
    "In this context a typical misunderstanding should be avoided: In our view, a more forceful and determined joint action against drugs does not necessarily divert resources from other development activities. Quite to the contrary: The concept of alternative development, for instance, not only aims at supply reduction, but at creating the economic, administrative and cultural structures for a generally secure and legal way of early incomes for those who could, hitherto, earn their living only through drug plant cultivation � in short, for sustainable development instead of a drug-based economy with all its well-known adverse effects. ... It remains a high priority to promote universal accession to the existing international instruments and to help states that so request devise the necessary legislative and institutional arrangements for the application at the national level ... ."371
    In beiden Stellungnahmen wird darauf hingewiesen, daß die Europäische Union im Begriff ist, eine Europäische Polizeibehörde (EUROPOL) zu schaffen.

    168. Auf Initiative der Vereinten Nationen fand im November in Neapel eine "World Ministerial Conference on Organized Transnational Crime" statt. Dort nahm die Bundesregierung für die Europäische Union zu deren Bemühungen um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität wie folgt Stellung:

    "Die internationale strafrechtliche Zusammenarbeit, insbesondere die Auslieferung von Straftätern und die sonstige Unterstützung von im Ausland anhängigen Strafverfahren, würde selbstverständlich erheblich vereinfacht werden, wenn es einen gemeinsamen Straftatbestand zur Bekämpfung des internationalen organisierten Verbrechens gäbe. Da es aber schon an einer gemeinsamen Definition des Phänomens der organisierten Kriminalität fehlt, ist es aufgrund der erheblichen Unterschiede in den Rechtsordnungen der einzelnen Staaten erst recht kaum vorstellbar, einen gemeinsamen Straftatbestand zu schaffen. Als zweckmäßig und vorrangig wurde es deshalb angesehen zu prüfen, ob eine Erleichterung der Bedingungen für die justitielle Zusammenarbeit im Bereich des internationalen organisierten Verbrechens eine befriedigende Lösung zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Staaten in diesem Bereich darstellen könnte. Als weiteren Schwerpunkt bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben die Staaten der Europäischen Union erkannt, daß die Aussagebereitschaft von Zeugen in größtmöglichem Maße erhöht werden muß. Eine Überführung der Täter vor Gericht aufgrund von Zeugenaussagen setzt voraus, daß Zeugen in jeder Phase der strafrechtlichen Ermittlungen möglichst frei von Angst für sich und ihre Angehörigen sein müssen. Polizeiliche Zeugenschutzmaßnahmen und gerichtliche Verfahrensvorschriften, die dem Zeugen unter Wahrung des Grundsatzes des fair trial den größtmöglichen Schutz bieten, sind daher von immenser Bedeutung."372

    169. Am 8. September 1994 fand in Berlin auf Einladung der deutschen Präsidentschaft der EU eine Konferenz über die regionale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität statt, an der neben den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die mittel- und osteuropäischen Staaten Bulgarien, Polen, Rumänien, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik und Ungarn sowie die Beitrittsländer Finnland, Norwegen, Österreich und Schweden teilnahmen. Dabei ging es u.a. um die illegale Herstellung und den illegalen Handel mit Rauschgift und psychotropen Stoffen und die Kriminalität im Zusammenhang mit radioaktiven und nuklearen Substanzen, den Menschenhandel, die Schleuserkriminalität, die Kraftfahrzeugverschiebung und die mit diesen Kriminalitätsformen zusammenhängende Geldwäschekriminalität. Die Konferenz sprach sich insbesondere für eine Intensivierung der operativen Zusammenarbeit, des Informationsaustausches und der Koordination der Beratungs-, Ausstattungs- und Ausbildungshilfe aus.373

    170. Auf einer Sitzung der Innen- und Justizminister der EU zog der Bundesinnenminister am 1. Dezember 1994 über die bisher geleistete Arbeit der deutschen Präsidentschaft Bilanz. Er hob hervor, daß unter deutschem Vorsitz ein vollständiger Entwurf der EUROPOL-Konvention ausgearbeitet und eingehend beraten worden sei. Dabei habe man über eine Vielzahl von Punkten Einigung erzielt, wobei allerdings noch nicht alle Probleme gelöst seien. Offen seien die Fragen der Ausgestaltung der Datenverarbeitungssysteme im Rahmen von EUROPOL, der parlamentarischen Kontrolle, des Rechtsweges und der Rechnungsprüfung. Im Hinblick auf die Bekämpfung der Schleuserkriminalität sei während der Präsidentschaft ein Mustertext für ein bilaterales Rückübernahmeabkommen mit einem einheitlichen Heimreisedokument erarbeitet worden. Durch eine einheitliche Visumsmarke der Mitgliedstaaten solle künftig ein weiterer Schritt hin zu einem gleich hohen Standard bei der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung getan werden.374 Weiterhin sei in dieser Hinsicht der Um- und Ausbau des bisher lediglich als Arbeitsgruppe bestehenden Informations-, Reflektions- und Austauschzentrums für Fragen im Zusammenhang mit dem Überschreiten der Außengrenzen (CIREFI) zu einem operativen Instrument zu nennen. Eine ständige Konferenz von Experten der Mitgliedstaaten, unterstützt durch einen logistischen Unterbau beim Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union werde künftig monatlich die einschlägigen Informationen zusammenführen und einer Analyse unterziehen.375

    171. Am 28. Februar 1994 trat das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 30. November 1993 gab Deutschland die folgende Erklärung ab:

    "Nach dem Verständnis der Bundesrepublik Deutschland können die in Art. 3 Abs. 2 genannten Grundzüge der Rechtsordnung einem Wandel unterliegen."376

    172. Ebenfalls in Kraft trat das Deutsch-Bulgarische Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Rauschgiftkriminalität.377

    173. Im Berichtszeitraum stimmte der Bundestag dem Übereinkommen vom 15. Juli 1993 über den Rechtsstatus des Internationalen Suchdienstes in Arolsen zu.378

    174. Zur Rheinschiffsuntersuchungsordnung und zur Rheinschiffahrtspolizeiverordnung379 siehe oben, V.b., Ziff. 38; zum Einsatz deutscher Ermittler im Ausland im Hinblick auf die Bekämpfung der Kinderprostitution, siehe oben, XI.a., Ziff. 125.

    175. Im Hinblick auf das Abkommen von Schengen wird auf die Ausführungen oben unter IV., Ziff. 15 verwiesen. Zu der Frage, ob der Abzug der Zollbeamten zu einer Zunahme der Kriminalität geführt habe, teilte die Bundesregierung mit, daß die bisherigen Erfahrungen nur bedingte Schlußfolgerungen zuließen.380 Zum Umfang der Schlepperkriminalität und die dagegen vorgenommenen Maßnahmen nahm die Bundesregierung auf Anfrage ausführlich Stellung.381


    369 Deutschland 1994 (Anm. 1), 3. Ausschuß, 16, 18.
    370 Ibid.
    371 Deutschland 1994 (Anm. 1), 3. Ausschuß, 31.
    372 Recht, Informationen des Bundesministeriums der Justiz, 6/94, 94 (95).
    373 Ibid.
    374 Siehe oben, Ziff. 69.
    375 Innenpolitik VI/94, 2 f.
    376 Zustimmungsgesetz vom 22.7.1993, BGBl. 1993 II, 1136; Inkrafttreten: BGBl. 1994 II, 496. Art. 3 Abs. 2 des Übereinkommens, auf den sich die deutsche Erklärung bezieht, lautet: "Jede Vertragspartei trifft vorbehaltlich ihrer Verfassungsgrundsätze und der Grundzüge ihrer Rechtsordnung die notwendigen Maßnahmen, um nach ihrem innerstaatlichen Recht den Besitz, den Kauf oder den Anbau von Suchtstoffen oder Psychodrogenstoffen für den persönlichen Verbrauch ..., wenn vorsätzlich begangen, als Straftat zu umschreiben." Für die EG ist das Abkommen bereits am 31.3.1991 in Kraft getreten.
    377 Abkommen vom 14.9.1992; in Kraft getreten am 11.4.1994, BGBl. 1994 II, 1025.
    378 Gesetz vom 7.10.1994, BGBl. 1994 II, 2750; siehe Walter (Anm. 29), Ziff. 147.
    379 BGBl. 1994 II, 3822 bzw. 3816.
    380 Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/7528, 10.
    381 BT-Drs. 12/8342, 3 ff.