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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XII. Zusammenarbeit der Staaten

e. Entwicklungs- und Finanzhilfe

    176. Fragen der Entwicklungs- und Finanzhilfe wurden von deutschen Vertretern im Namen der Europäischen Union im Rahmen der Vereinten Nationen verschiedentlich angesprochen. Davon wurden insbesondere die Bezüge zu Fragen der Menschenrechte, zu Fragen der humanitären Hilfe und Aufbauhilfe, zur politischen Zusammenarbeit und im Hinblick auf Umweltfragen deutlich gemacht. So heißt es z.B.:

    "The European Union continues to give strong support to the development efforts, particularly of the poorer countries. We remain committed to the Rio-Agreements. The EU is a main contributor to development cooperation and will maintain this position despite the budgetary constraints."382
    "The highly successful International Conference on Population in Development has emphasized the central importance of an integrated approach to population issues. The international community has moved from the previous emphasis on democracy and population control to a focus on sustainable development, consumption and production patterns, individual responsibility, women's rights and their freedom to choose with regard to child spacing and reproductive health."383
    "The improvement of the human condition has become the center of all approaches to development. Democracy and human rights are closely linked with development, especially of human resources. Sound economic policies must therefore be accompanied by positive approaches that promote respect for human rights and encourage democracy."384

    177. Gegenstand von Stellungnahmen der deutschen Vertreter in den Vereinten Nationen waren auch Fragen der Verschuldung der Entwicklungsländer. Für die Europäische Union wies der deutsche Vertreter darauf hin, daß eine Reihe von Entschuldungsmaßnahmen bereits ergriffen worden seien. Er führte aus:

    "It is increasingly recognized that a durable solution of the debt problem of some low income countries calls for even more favorable terms of debt forgiveness, including a reduction of the stock of debt."385

    178. Die Bundesregierung hat im Jahre 1994 im Rahmen der United Nations Pledging Conference for Development Activities Beiträge zur multilateralen Entwicklungshilfe zugesagt.386 Im Rahmen des sog. Nominal-Null-Konzepts, zu dem der Haushaltsausschuß die Bundesregierung verpflichtet hat, bemüht sich das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Anteil multilateraler Zusammenarbeit im Etat des Ressorts auf höchstens 30% zurückzuführen. Das Ministerium will dieses Ziel dadurch erreichen, daß Verpflichtungen im multilateralen Bereich zwar erfüllt, die Leistungen gegenüber den letzten Zusagen aber nicht mehr gesteigert werden. Auf diese Weise sollen die jährlichen multilateralen Leistungen auf Dauer sinken. Die Bundesregierung hat aber andererseits darauf hingewiesen, daß bei zunehmender Globalisierung die multilaterale und europäische Entwicklungszusammenarbeit zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Entwicklungspolitik geworden sei. Nur mit Hilfe leistungsfähiger internationaler Organisationen sei eine faire Lastenverteilung unter den Geberländern abzusichern und seien Programme zu verwirklichen, die über die Leistungsfähigkeit einzelner Länder hinausgehen. Nur so könne auch privates Kapital mobilisiert werden, das die von den Regierungen eingezahlten Summen oft erheblich übersteige.387

    179. Die Bundesregierung führte in einer Unterrichtung über den Bericht "Globale Umweltveränderungen" aus:

    "Als Maß für die entwicklungspolitische Handlungsbereitschaft von Regierungen wird seit dem Beschluß der 'Welthandels- und Entwicklungskonferenz I' (UNCTAD) 1964 in Genf für die offizielle Entwicklungshilfe ein Anteil von 0,7% am jeweiligen Bruttosozialprodukt herangezogen. Auf der UNCTAD in Rio hat die Bundesregierung dieses Ziel als für sie verbindlich bekräftigt, ohne jedoch ein Zeitziel zu nennen. In eine Gesamtbilanz müßten dann auch die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas aufgenommen werden. ... Auch der deutsche Beitrag zur Global Environment Facility (GEF) der Vereinten Nationen ist ein Element der weltweiten deutschen Entwicklungs- und Umweltpolitik. Auch die Schuldenerlasse der Bundesregierung aus Krediten der Entwicklungshilfe in Höhe von 9,4 Milliarden DM seit 1978 sind Maßnahmen, um die Selbsthilfekräfte der Entwicklungsländer zu stärken und deren Möglichkeiten für eine möglichst umweltverträgliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu erweitern. Deshalb wird sich die Bundesregierung international für weitere Schuldenerleichterungen aktiv einsetzen und auch selbst zu weiteren Erlassen bereit sein."388

    180. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung führte anläßlich eines Vortrages aus, daß sich Art und Umfang der deutschen Entwicklungszusammenarbeit an fünf Kriterien orientierte:

    "Die Beachtung der Menschenrechte, die Teilhabe der Bevölkerung am politischen Prozeß, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, die Errichtung einer marktfreundlichen Wirtschaftsordnung und die Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns in unseren Partnerländern."389
    Er hob hervor, daß der Erfolg entscheidend davon abhänge, daß die Entwicklungsländer ihre Ressourcen effizient und nachhaltig zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung einsetzten. In diesem Zusammenhang ging er insbesondere auf Militärausgaben ein. Dazu heißt es weiter:
    "Das BMZ analysiert deshalb die Rüstungs- und Sicherheitspolitik unserer Partnerländer und richtet die Entwicklungszusammenarbeit daran aus. Zur Bestimmung von Überrüstung dient uns dabei ein zusammen mit Fachwissenschaftlern und Konfliktforschern entwickelter Kriterienkatalog, der einem zweistufigen Ansatz folgt. ... Das BMZ hat maßgeblich daran mitgewirkt, daß in den letzten Jahren eine internationale Debatte über Abrüstung, Sicherheit und Entwicklung in Gang gekommen ist. ... Obwohl sich dieser Bereich deutscher Entwicklungszusammenarbeit erst im Aufbau befindet, ist das Thema Abrüstung bereits ein wesentlicher Bestandteil unserer Konsultationen mit den Regierungen der Entwicklungsländer. In verschiedenen Fällen hat sich das Rüstungskriterium schon bei der Festlegung der Größenordnung unserer Entwicklungszusammenarbeit ausgewirkt. In Pakistan und einzelnen afrikanischen Staaten beispielsweise werden die finanziellen Zuwendungen wegen überzogener Rüstungsetats heruntergefahren. In Uganda, Äthiopien, Nicaragua und El Salvador unterstützen wir mit konkreten Projekten wie z.B. gezielten Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen, Ausbildungsprogrammen und Gewerbeförderung die Demilitarisierung und Eingliederung ehemaliger Soldaten. Weitere neue Projekte oder Projektkomponenten mit vergleichbarer Zielsetzung in Mosambique und Vietnam werden demnächst anlaufen."390

    181. Im Deutschen Bundestag wurden Fragen der Entwicklungszusammenarbeit im Berichtszeitraum ausführlich behandelt. Dabei ging es um den 9. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung391, den Vorrang der Eigenverantwortung und des Subsidiaritätsprinzips392, die Entwicklung und den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen in den Entwicklungsländern393, die Förderung von Frauen in Entwicklungsländern394 und um ein Gesetz zur Entwicklungspolitik.395

    182. Ihre Ausfuhrgarantien in Form von staatlichen Deckungszusagen (Hermes-Bürgschaften) hat die Bundesregierung vom 1. Juli an nach Länderrisiken differenziert. Sie hat dazu fünf Kategorien gebildet, wobei die Entgelte für Geschäfte mit risikoreichen Ländern in den Kategorien vier und fünf verteuert und solche für risikoärmere Länder in Kategorien eins und zwei verbilligt werden sollen. Es ist allerdings nicht vorgesehen, daß eine Länderliste als Ganzes veröffentlicht werden soll.396 Zu Fragen der Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung für Rüstungsexporte nahm die Bundesregierung ausführlich Stellung.397

    183. Die Forderungen der Bundesrepublik aus finanzieller Zusammenarbeit, Bürgschaften und Garantien beliefen sich im Berichtszeitraum auf 121 Milliarden DM.398 Die Bundesregierung habe in zahlreichen Fällen einen Schuldenerlaß ausgehandelt.399

    184. Im Berichtsjahr sind zahlreiche bilaterale Abkommen über Finanz- und Kapitalhilfe und finanzielle Zusammenarbeit geschlossen worden.400 Daneben hat die Bundesregierung zu entwicklungspolitischen Fragen im Hinblick auf bestimmte Länder bzw. Ländergruppen Stellung genommen.401 So hat die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe für Ruanda angesichts der innenpolitischen Lage vorläufig eingefroren.402 Im Bundestag wurde die Entwicklungshilfe für die Staaten Libanon403, die Republik Jemen404, Nicaragua405 und Somalia406 behandelt. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Hilfe an osteuropäische Staaten.407


    382 Deutschland 1994 (Anm. 1), 2. Ausschuß, 15.
    383 Ibid., 17.
    384 Ibid.
    385 Deutschland 1994 (Anm. 1), 2. Ausschuß, 20.
    386 Deutschland 1994 (Anm. 1), Plenum, 182.
    387 Woche im Bundestag 9/94 vom 4.5.1994, 34.
    388 BT-Drs. 12/7144.
    389 Bull. Nr. 18 vom 25.2.1994, 165.
    390 Ibid.
    391 BT-Drs. 12/409; Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, BT-Drs. 12/6659; Walter (Anm. 29), Ziff. 154.
    392 BT-Drs. 12/7619.
    393 BT-Drs. 12/7616; Woche im Bundestag 9/94 vom 4.5.1994, 75.
    394 BT-Drs. 12/7628.
    395 BT-Drs. 12/7603.
    396 Woche im Bundestag 8/94 vom 27.4.1994, 43; siehe auch Woche im Bundestag 7/94 vom 20.4.1994, 60.
    397 BT-Drs. 12/6865; Woche im Bundestag 6/94 vom 16.3.1994, 50.
    398 Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/8580.
    399 Woche im Bundestag 17/94 vom 17.11.1994, 49. Siehe z.B. auch den Vertrag mit Kambodscha über den Schuldenerlaß im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit, BGBl. 1994 II, 1035.
    400 Vgl. dazu im einzelnen BGBl. 1995 II, Fundstellennachweis B.
    401 Siehe auch oben Ziff. 180 ff. im Hinblick auf eine Begrenzung der Entwicklungshilfe im Falle einer vermuteten Überrüstung der Empfängerländer bzw. bestimmte Konversions- und Abrüstungsprogramme.
    402 Woche im Bundestag 7/94 vom 20.4.1994, 117.
    403 BT-Drs. 12/8611, 32.
    404 BT-Drs. 12/8578.
    405 BT-Drs. 12/8326, 33 (Paraphierung eines bilateralen Umschuldungsabkommens am 6.7.1994), 34.
    406 BT-Drs. 12/7058, 61.
    407 Woche im Bundestag 7/94 vom 20.4.1994; Woche im Bundestag 6/94 vom 16.3.1994, 41; BT-Drs. 12/7063.