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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

II. Auswärtige Gewalt und Bundesländer

    7. Das Auswärtige Amt verbreitete mit einer an die diplomatischen Missionen und anderen Vertretungen in Bonn gerichteten Rundnote vom 17. Februar 1994 einen Vermerk über die "Vertragsabschlußkompetenzen von Bund und Ländern nach deutschem Staatsrecht".17 In Nr. 1 verweist der Vermerk auf die Bundeszuständigkeit nach Art. 32 GG und auf die mögliche Anhörung eines Bundeslandes durch den Bund, wenn dessen besondere Verhältnisse durch einen Vertrag berührt werden (Art. 32 Abs. 2 GG). Es heißt dort weiter:

    "Bei Verträgen, die die ausschließlichen Kompetenzen der Länder berühren (z.B. im Bereich Kultur), haben Bund und Bundesländer ein Verfahren zur Einholung der Zustimmung der Länder vereinbart, das vor Vertragsabschluß durch den Bund durchgeführt wird."
    In Ziff. 2 wird im Vermerk zur Vertragsabschlußkompetenz der Bundesländer Stellung genommen:
    "In bestimmten Fällen können die Bundesländer Verträge mit auswärtigen Staaten schließen. Diese Fälle liegen vor, wenn
    � die Länder für die gesamte Vertragsmaterie innerstaatlich zuständig sind (Art. 32 Abs. 3 GG) oder
    � Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen werden, soweit die Länder für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind (Art. 24 Abs. 1a GG)."
    Im Hinblick auf Verhandlungen und die Unterzeichnung eines Vertrages heißt es in Ziff. 3:
    "In beiden unter Ziff. 2 genannten Fällen ist eine Bevollmächtigung des Bundeslandes zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen nicht erforderlich. Das Bundesland kann den Vertrag jedoch nur unterzeichnen, wenn es zuvor die Zustimmung der Bundesregierung eingeholt hat. Die Zustimmung wird im Wege eines Beschlusses des Bundeskabinetts erteilt."
    Schließlich wird bei Zweifelsfragen die Kontaktaufnahme mit dem Auswärtigen Amt empfohlen (Ziff. 4). Ausdrücklich heißt es in diesem Zusammenhang:
    "Dies gilt auch dann, wenn unklar ist, ob eine ins Auge gefaßte Absprache als völkerrechtlicher Vertrag anzusehen ist."

    8. Anläßlich des Beitritts von Finnland, Österreich und Schweden zur Europäischen Union18 kam es zu einer Kontroverse über die Auslegung des Art. 23 des Grundgesetzes und die sich daraus ergebenden Beteiligungsrechte des Bundesrates.19 Am 29. Juni stimmte der Bundestag dem Vertragsgesetz über den Beitritt zu20 und stellte darüber hinaus fest, die verfassungsrechtliche Grundlage für die Ratifizierung sei der Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Durch den Beitritt würden weder Hoheitsrechte übertragen noch Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare Änderungen vorgenommen, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt werde oder solche Änderungen oder Ergänzungen möglich würden. Des weiteren werde ein erneuter Zustimmungsbedarf des Bundesrates auch insofern nicht ausgelöst, als der Vertrag über die EU allen europäischen Staaten den Beitritt eröffnet und diese Perspektive von Bundestag und Bundesrat bereits mit verfassungsändernden Mehrheiten gebilligt worden sei.21
    Eine weitere Kontroverse ergab sich im Hinblick auf die Ratifikation des Protokolls zum Beitritt Griechenlands zum Schengener Übereinkommen.22 Der Bundesrat vertrat die Ansicht, daß seine Zustimmung zu dem Ratifikationsgesetz nach Art. 84 Abs. 1 GG erforderlich sei, weil insbesondere die Vorschriften des Schengener Übereinkommens über die polizeiliche Zusammenarbeit, die Rechtshilfe in Strafsachen, die Auslieferung und den Vollzug des Waffenrechts das Verwaltungsverfahren von Landesbehörden regele und die Regelungen nunmehr erweitert würden.23 Die Bundesregierung teilte diese Auffassung nicht und führte aus:

    "Das Beitritts-Übereinkommen enthält selbst keine Regelung des Verwaltungsverfahrens der Länder im Sinne des Artikels 84 Abs. 1 GG; es führt lediglich zu einer Erweiterung des Geltungsbereiches der im Schengener Übereinkommen von 1990 vorgesehenen Verfahrensregelungen auf die beitretende Griechische Republik. Dieser Sachverhalt stellt keinen � eine Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes auslösenden � 'erneuten Einbruch in die Verwaltungszuständigkeit der Länder' dar (BVerfGE 75, 108, 153)."24


    17 Rundnote vom 17.2.1994, Auswärtiges Amt, 510-510.03 2/94.
    18 Siehe dazu unten, unter Ziff. 244 ff.
    19 Woche im Bundestag 12/94 vom 22.6.1994, 95.
    20 BT-Drs. 12/7977, Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, 12/8188.
    21 Woche im Bundestag 14/94 vom 6.7.1994, 56.
    22 Siehe unten, IV, Ziff. 12.
    23 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/8048 Anlage 2.
    24 Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 12/8048 Anlage 3.